Die Erde. Emile Zola
während Geierkopf unter dem Vorwand, daß die bestellbare Schicht zum Abhang hin dünner und dünner werde, verlangte, daß die Streifen senkrecht zu dieser Talsenke genommen wurden. Auf diese Weise würde jeder seinen Teil vom schlechten Ende haben, statt daß die dritte Parzelle ganz und gar von schlechterer Qualität wäre, was sonst der Fall sein würde. Aber Fouan wurde böse, schwor, daß der Grund überall der gleiche sei, erinnerte daran, daß die damalige Teilung zwischen ihm, Fliege und der Großen in der Richtung stattgefunden habe, die er angebe; und der Beweis war, daß Flieges zwei Hektar an diese dritte Parzelle grenzten. Delhomme machte seinerseits eine entscheidende Bemerkung: selbst wenn man einräume, daß die Parzelle weniger gut sei, wäre der Besitzer an dem Tage damit vorteilhaft bedacht, da man den Weg anlegen würde, der sich an dieser Stelle längs des Feldes hinziehen sollte.
„Ach ja“, rief Geierkopf, „der famose direkte Weg von Rognes nach Châteaudun über La Borderie! Das ist was, worauf Ihr lange warten werdet!“
Als man sich dann trotz seiner Beharrlichkeit darüber hinwegsetzte, erhob er mit zusammengepreßten Zähnen Einspruch.
Sogar Jesus Christus war herzugetreten, alle versanken in Nachdenken, während sie zuschauten, wie Grosbois die Teilungslinien zog; und sie paßten mit scharfem Auge auf ihn auf, als hätten sie geargwöhnt, er wolle um einen Zentimeter zugunsten eines der Teile mogeln. Dreimal legte Delhomme sein Auge an den Spalt des Visierinstruments, um ganz sicher zu sein, daß der Faden genau den Absteckpfahl schneide. Jesus Christus schimpfte auf den verdammten Schlingel, weil er die Kette schlecht halte. Aber vor allem Geierkopf folgte dem Verfahren Schritt um Schritt, zählte die Meter, stellte die Berechnungen mit zitternden Lippen noch einmal auf seine Weise an. Und in diesem Verlangen nach Besitz, in der Freude, die er empfand, endlich in die Erde hineinzubeißen, wuchs die Verbitterung, die dumpfe Wut, nicht alles zu behalten. Dieses Stück war so schön, diese zwei zusammenhängenden Hektar! Er hatte die Teilung verlangt, damit niemand das Stück habe, wenn er es nicht haben konnte, er; und dieses Gemetzel brachte ihn nun zur Verzweiflung.
Mit herabhängenden Armen hatte Fouan wortlos zugesehen, wie sein Besitz zerstückelt wurde.
„Das ist erledigt“, sagte Grosbois. „Macht zu, das hier oder das da, man wird nicht ein Pfund mehr darin finden!“
Auf der höher gelegenen Fläche waren noch vier Hektar Äcker, aber aufgeteilt in etwa zehn Stücke, von denen jedes weniger als einen Arpent umfaßte; eine Parzelle zählte sogar weniger als zwölf Ar, und da der Landvermesser grinsend gefragt hatte, ob auch das zerschnippelt werden solle, begann die Auseinandersetzung wieder von vorn.
Geierkopf bückte sich instinktiv, nahm eine Handvoll Erde, die er nahe an sein Gesicht hielt, um sie gleichsam zu kosten. Mit einem seligen Krausziehen der Nase schien er sie dann für die beste aller Erden zu erklären; und nachdem er sie sacht hatte durch seine Finger rinnen lassen, sagte er, falls man ihm die Parzelle überlasse, sei er’s zufrieden, sonst würde er die Teilung fordern.
Gereizt lehnten Delhomme und Jesus Christus ab, wollten ebenfalls ihren Teil. Ja, ja, jedem vier Ar, nur das war gerecht. Und man teilte alle Stücke; so hatten sie die Gewißheit, daß keiner der drei etwas haben konnte, was die anderen beiden nicht hatten.
„Gehen wir zum Weinberg“, sagte Fouan.
Aber als man wieder zur Kirche zurückging, warf er einen letzten Blick auf die unermeßliche Ebene, hielt einen Augenblick inne bei den fernen Gebäuden von La Borderie. In einem Aufschrei untröstlichen Bedauerns sagte er dann, auf die einst verpaßte Gelegenheit mit dem Nationalbesitz anspielend:
„Ach, wenn der Vater gewollt hätte, würdet Ihr das alles zu vermessen haben, Grosbois!“
Die beiden Söhne und der Schwiegersohn wandten sich mit einer jähen Bewegung um, und es gab einen neuen Aufenthalt, sie ließen langsam den Blick über die vor ihnen verstreut liegenden zweihundert Hektar des Gehöfts schweifen.
„Bah!“ murrte Geierkopf dumpf und begann wieder weiterzugehen. „Was haben wir schon von dieser Geschichte! Muß es denn nicht so sein, daß uns die Stadtleute immer fressen!“
Es schlug zehn Uhr. Sie beschleunigten den Schritt, denn der Wind hatte sich gelegt, eine große schwarze Wolke hatte soeben einen ersten Platzregen losgelassen. Die paar Weinberge von Rognes befanden sich jenseits der Kirche auf dem Hang, der bis zum Aigre hinabreichte. Einst erhob sich das Schloß mit seinem Park an dieser Stelle; und es war kaum mehr als ein halbes Jahrhundert her, daß die Bauern, durch den Erfolg der Weinbauern von Montigny bei Cloyes ermutigt, sich hatten einfallen lassen, diesen Hang mit Weinstöcken zu bepflanzen, der sich mit seiner Lage nach Süden und seiner steilen Böschung ausgezeichnet dazu eignete. Der Wein von dort war dürftig, aber von einer angenehmen Herbheit und erinnerte an die geringen Weine aus dem Orléanais. Übrigens erntete davon jeder Einwohner kaum ein paar Stückfässer voll; der reichste, Delhomme, besaß sechs Arpents Wein; die Bodennutzung in der Gegend war ganz auf Getreide und Futterpflanzen eingestellt. Sie bogen hinter der Kirche ab, gingen hintereinander am ehemaligen Pfarrhaus entlang; dann schritten sie zwischen den schmalen, schachbrettartig aufgeteilten Anpflanzungen talwärts. Als sie ein felsiges, mit Sträuchern bestandenes Gelände durchquerten, schrie eine schrille Stimme, die aus einem Loch hochklang: „Vater, ’s regnet jetzt, ich bring meine Gänse raus!“ Das war Bangbüx, die Tochter von Jesus Christus, eine Göre von zwölf Jahren, mager und nervig wie ein Stechpalmenzweig, mit blonden struppigen Haaren. Ihr großer Mund war nach links schiefgezogen, ihre grünen Augen starrten einen so dreist an, daß man sie ebensogut für einen Jungen hätte halten können; statt eines Kleides trug sie einen alten, um die Hüfte mit einer Strippe zusammengeschnürten Kittel ihres Vaters. Und wenn man sie Bangbüx nannte, obwohl sie den schönen Namen Olympe hatte, so kam das daher, daß Jesus Christus, der sie von morgens bis abends anbrüllte, sie nicht anreden konnte, ohne hinzuzufügen: „Warte nur! Warte nur! Ich werd dir’s heimzahlen, dreckige Bangbüx!“
Er hatte diesen Wildling von einer Landstraßenhure bekommen, die er nach einem Jahrmarkt auf einer Grabenböschung aufgelesen und zum großen Ärgernis von Rognes in seinem Loch untergebracht hatte. Fast drei Jahre hindurch hatte sich das Ehepaar schrecklich verprügelt; dann war die Schlampe, von einem anderen Mann mitgenommen, auf und davon gegangen, wie sie gekommen war. Das kaum abgestillte Kind war wie Unkraut munter gewachsen; und seit die Kleine gehen konnte, machte sie ihrem Vater, den sie fürchtete und anbetete, das Essen. Ihre Leidenschaft aber waren ihre Gänse. Anfangs hatte sie nur zwei gehabt, einen Ganter und eine Gans, die sie als ganz kleine Küken hinter der Hecke eines Pachthofes gestohlen hatte. Dann hatte sich dank ihrer mütterlichen Pflege die Herde vermehrt, und zur Zeit besaß sie zwanzig Tiere, die sie durch Plündern ernährte.
Als Bangbüx, die Gänse mit Gertenhieben vor sich her scheuchend, mit ihrem frechen Ziegenschnäuzchen auftauchte, brauste Jesus Christus auf: „Du weißt, geh heim wegen dem Essen, oder nimm dich in acht! – Und dann, dreckige Bangbüx, verschließ mir ja das Haus wegen der Diebe!“
Geierkopf grinste, Delhomme und die anderen konnten ebenfalls nicht umhin zu lachen, so schrullig kam ihnen diese Vorstellung vom bestohlenen Jesus Christus vor. Man mußte das Haus gesehen haben, ein ehemaliger Keller, drei in der Erde wiedergefundene Mauern, ein richtiger Fuchsbau zwischen Kieselsteingeröll unter einer Gruppe alter Linden. Das war alles, was von dem Schloß übriggeblieben war; und als sich der Wilddieb nach einem Streit mit seinem Vater in diesen felsigen Winkel geflüchtet hatte, der der Gemeinde gehörte, hatte er, um den Keller zu schließen, ohne Mörtel eine vierte Mauer bauen müssen, in der er zwei Öffnungen gelassen hatte, ein Fenster und die Tür. Brombeersträucher rankten herab, ein großer Wildrosenbusch verdeckte das Fenster. In der Gegend nannte man dies das Schloß.
Ein neuer Regenguß pladderte los. Glücklicherweise lag der Arpent Wein in der Nähe, und die Teilung in drei Parzellen wurde rasch durchgeführt, ohne daß jemand Einspruch erhob. Es waren nur noch drei Hektar Wiese unten am Ufer des Aigre aufzuteilen; aber in diesem Augenblick wurde der Regen so stark, ging eine solche Sintflut nieder, daß der Landvermesser, als man am Gittertor eines Anwesens vorüberkam, vorschlug hineinzugehen.
„Na, wollen wir uns eine Minute bei Herrn Charles unterstellen?“
Zögernd war Fouan