Die Erde. Emile Zola

Die Erde - Emile Zola


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Käse.“

      „Oh, Papa!“ stöhnte Fanny schmerzlich und niedergeschmettert. „Oh, Papa!“

      Geierkopf ging darauf überhaupt nicht ein. Er war mit einem Satz aufgestanden, er ging mit schroffen Bewegungen auf und ab; er hatte sogar seine Schirmmütze aufgestülpt, um aufzubrechen.

      Jesus Christus hatte sich gleichfalls soeben von seinem Stuhl erhoben, beunruhigt bei der Vorstellung, daß alle diese Geschichten die Aufteilung zum Scheitern bringen könnten.

      Allein Delhomme zuckte mit keiner Miene, hatte einen Finger an seine Nase gepreßt und verharrte in einer Haltung tiefer Nachdenklichkeit und großer Langerweile.

      Da fühlte Herr Baillehache die Notwendigkeit, die Dinge ein wenig zu beschleunigen. Er schüttelte seine Schläfrigkeit ab, und seinen Backenbart mit rührigerer Hand durchwühlend, sagte er:

      „Ihr wißt, meine Freunde, daß der Wein und die Bündel Reisig ebenso wie die Käse und die Eier üblich sind ...“

      Aber er wurde durch eine Salve schriller Sätze unterbrochen.

      „Eier mit Hühnchen dran vielleicht!“

      „Trinken wir denn unsern Wein? Wir verkaufen ihn!“

      „Nichts machen und sich wärmen, das ist bequem, wenn die Kinder sich abplacken!“

      Der Notar, der schon ganz anderes gehört hatte, fuhr phlegmatisch fort:

      „Über alles das gibt’s überhaupt nichts zu reden ... Zum Donnerwetter! Jesus Christus, setzt Euch doch! Ihr nehmt das Licht weg, das bringt einen ja hoch! – Und das ist nun von euch allen vereinbart, nicht wahr? Ihr entrichtet die Naturalabgaben, weil man sonst mit Fingern auf euch zeigen würde ... Es ist also nur noch die Höhe des Jahresgeldes zu erörtern ...“

      Schließlich machte Delhomme ein Zeichen, daß er zu reden habe. Jeder nahm wieder seinen Platz ein; in die allgemeine Aufmerksamkeit hinein sagte er langsam:

      „Verzeihung, das scheint mir gerecht, was der Vater verlangt. Man könnte ihm achthundert Francs zahlen, denn für achthundert Francs würde er seinen Besitz verpachten ... Bloß wir, wir rechnen nicht so. Er verpachtet uns das Land nicht, er gibt es uns, und es muß eine Berechnung angestellt werden, um in Erfahrung zu bringen, was der Vater und die Mutter zum Leben brauchen ... Ja, was sie zum Leben brauchen, nicht mehr.“

      „In der Tat“, bekräftigte der Notar, „das ist gewöhnlich die Grundlage, die man nimmt.“

      Und ein neuer Streit zog sich ewig in die Länge. Posten um Posten wurde das Leben der beiden Alten durchwühlt, ausgebreitet, erörtert. Man wog das Brot, das Gemüse, das Fleisch ab; man schätzte die Kleidung ab und beschnitt dabei das Leinen und die Wolle; man ging sogar bis zu den kleinen Annehmlichkeiten hinunter, zu Vaters Rauchtabak, für den die zwei Sous täglich nach unendlichen Gegenvorwürfen auf einen Sou herabgesetzt wurden. Wenn man nicht mehr arbeitet, muß man sich einzuschränken wissen. Könnte die Mutter nicht auch ohne den schwarzen Kaffee auskommen? Ebenso war es mit dem Hund der beiden, einem alten Hund von zwölf Jahren, der unnütz viel fraß: es war höchste Zeit, daß man ihm einen Flintenschuß versetzte. Als die Berechnung fertig war, begann man wieder von vorn, suchte, was man noch streichen konnte: zwei Hemden, sechs Taschentücher im Jahr, einen Centime von dem, was man pro Tag für Zucker eingesetzt hatte. Und durch Beschneiden und Wiederbeschneiden, durch Ausschöpfen der winzigen Einsparungen gelangte man solcherweise zu einer Zahl von fünfhundertfünfzig und einigen Francs, was die Kinder aufregte, außer sich brachte, denn sie hatten es sich in den Kopf gesetzt, die runde Summe von fünfhundert Francs nicht zu überschreiten.

      Fanny indessen wurde es müde. Sie war keine schlechte Tochter, war mitleidiger als die Männer, weil ihr Herz und ihre Haut nicht durch das rauhe Dasein in der freien Luft verhärtet waren. Deshalb sprach sie davon, dem ein Ende zu machen, und schickte sich in Zugeständnisse. Jesus Christus seinerseits zuckte die Schultern, war sehr großzügig mit dem Geld, selber von einer Trunkenboldsrührung überkommen und bereit, einen Zuschuß von seinem Teil anzubieten, den er übrigens niemals gezahlt hätte.

      „Seht mal“, fragte die Tochter, „geht das nicht mit fünfhundertfünfzig?“

      „Freilich, freilich“, antwortete er. „Sie müssen schon ein bißchen schwelgen, die Alten!“

      Die Mutter sah ihren Ältesten mit einem lächelnden und vor Zuneigung feuchten Blick an, während der Vater den Kampf mit dem Jüngsten fortsetzte. Er hatte nur Schritt um Schritt nachgegeben, zankte bei jeder Einschränkung herum und hielt eigensinnig an bestimmten Zahlen fest. Aber unter der kühlen Starrköpfigkeit, die er an den Tag legte, wuchs Zorn in ihm angesichts der Raserei seines eigen Fleischs und Bluts, sich noch zu seinen Lebzeiten mit seinem Fleisch zu mästen, ihm das Blut auszusaugen. Er vergaß, daß er seinen Vater ebenso aufgefressen hatte. Seine Hände hatten angefangen zu zittern, er schimpfte:

      „Ach, abscheuliche Brut! Wenn man bedenkt, daß man so was großgezogen hat und daß einem so was das Brot vom Munde wegnimmt! – Mich ekelt das an, auf Ehre! Ich möchte lieber schon in der Erde verfaulen ... Also es gibt keine Möglichkeit, daß ihr anständig seid, ihr wollt nur fünfhundertfünfzig Francs geben?“

      Er willigte ein, da zupfte ihn seine Frau abermals am Kittel und flüsterte ihm zu:

      „Nein, nein!“

      „Das ist nicht alles“, sagte Geierkopf nach einigem Zögern, „und das Geld von Euern Ersparnissen? – Wenn Ihr Geld habt, werdet Ihr unseres doch sicher nicht annehmen, nicht wahr?“ Er sah seinen Vater starr an, hatte diesen Schlag bis zum Schluß aufgehoben.

      Der Alte war ganz blaß geworden.

      „Was für Geld?“ fragte er.

      „Na, das Geld, das Ihr angelegt habt, das Geld von den Wertpapieren, die Ihr versteckt haltet.“

      Geierkopf, der den Schatz lediglich vermutete, wollte sich Gewißheit verschaffen. An einem bestimmten Abend hatte er zu sehen geglaubt, wie sein Vater hinter einem Spiegel eine kleine Rolle Papier vorholte. Am nächsten Tage und an den folgenden Tagen hatte er sich auf die Lauer gelegt; aber nichts war wieder zum Vorschein gekommen, es blieb nur das leere Loch.

      Fouan wurde, so bleich er eben noch war, plötzlich hochrot unter der Woge seines Zorns, der schließlich zum Ausbruch kam. Er stand auf, schrie mit einer wütenden Gebärde:

      „Ach! So was, Himmelsakrament! Jetzt durchwühlt ihr auch noch meine Taschen! Ich habe nicht einen Sou, nicht einen Liard angelegt. Dafür habt ihr zuviel gekostet, ihr schlechten Kerle! – Aber geht euch das was an, bin ich nicht der Herr, der Vater?“ Er schien zu wachsen in diesem Wiedererwachen seiner Autorität. Jahrelang hatten alle, die Frau und die Kinder, unter ihm, unter diesem rohen Despotismus des Oberhaupts der Bauernfamilie gezittert. Man täuschte sich, wenn man glaubte, es sei vorbei mit ihm.

      „Oh, Vater“, sagte Geierkopf feixend.

      „Schweig, Himmelsakrament!“ fuhr der Alte fort, die Hand noch immer erhoben. „Schweig, oder ich verprügel dich!“ Der Jüngste stammelte, machte sich ganz klein auf seinem Stuhl. Er hatte den Wind der Backpfeife gefühlt, er war wieder von seinen Kindheitsängsten erfaßt und hob den Ellbogen, um sich zu decken.

      „Und du, Hyacinthe, mach nicht ein Gesicht, als ob du lachst! Und du, Fanny, schlag die Augen nieder! – So wahr wie die Sonne uns bescheint, werd ich euch kirre kriegen, ich!“ Drohend stand er allein.

      Die Mutter zitterte, als habe sie Furcht vor verirrten Ohrfeigen. Unterworfen, bezähmt, muckten die Kinder sich nicht mehr, sagten keinen Ton mehr.

      „Hört ihr, ich will, daß sich das Jahresgeld auf sechshundert Francs beläuft ... Sonst verkaufe ich meine Erde, ich werde sie auf Leibrente setzen. Ja, um alles aufzuessen, damit ihr nicht ein Radieschen nach meinem Tode habt ... Gebt ihr sie, die sechshundert Francs?“

      „Aber, Papa“, murmelte Fanny. „Wir werden geben, was Ihr verlangt.“

      „Sechshundert Francs, es ist gut“, sagte Delhomme.


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