Die Erde. Emile Zola

Die Erde - Emile Zola


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hinzu: „Sie ist nicht bösartig, die Coliche. Bloß seit heute früh ist es zum Rasendwerden mit ihr, weil sie hitzig ist ... Ich bringe sie zum Bullen nach La Borderie.“

      „Nach La Borderie“, wiederholte Jean. „Das trifft sich gut, ich gehe dahin zurück, ich begleite dich.“ Er fuhr fort, sie zu duzen, und behandelte sie wie ein kleines Mädchen, so zierlich war sie noch für ihre vierzehn Jahre.

      Wichtigtuerisch schaute sie mit ernster Miene diesen kräftigen kastanienbraunen Burschen mit dem kurzgeschorenen Haar, dem vollen und gleichmäßigen Gesicht an, der mit seinen neunundzwanzig Jahren für sie ein alter Mann war.

      „Oh, ich kenne Euch, Ihr seid der Korporal, der Tischler, der als Knecht bei Herrn Hourdequin geblieben ist.“

      Bei diesem Beinamen, den ihm die Bauern gegeben hatten, mußte der junge Mann lächeln; und nun betrachtete er sie, war überrascht, festzustellen, daß sie beinahe schon Frau war mit ihrem kleinen festen Busen, der sich zu runden begann, ihrem länglichen Gesicht mit den tiefschwarzen Augen, den dicken Lippen und dem frischen und rosigen Fleisch reifender Früchte. Sie war mit einem grauen Rock und einem Mieder aus schwarzer Wolle bekleidet, trug eine runde Haube auf dem Kopf und hatte eine sehr braune, von der Sonne verbrannte und vergoldete Haut.

      „Aber du bist ja Vater Flieges Jüngste!“ rief er aus. „Ich habe dich gar nicht wiedererkannt ... Nicht wahr, deine Schwester war Geierkopfens Liebste im letzten Frühjahr, als er zusammen mit mir auf La Borderie arbeitete?“

      Sie antwortete einfach:

      „Ja, ich bin Françoise ... Das ist meine Schwester Lise, die mit Vetter Geierkopf ging und die jetzt im sechsten Monat schwanger ist ... Er hat sich aus dem Staube gemacht, er ist jetzt in der Gegend von Orgères auf dem Pachthof La Chamade.“

      „Ganz richtig“, sagte Jean abschließend. „Ich habe sie zusammen gesehen.“

      Und einen Augenblick lang standen sie sich stumm gegenüber; und er lachte bei dem Gedanken, daß er eines Abends die beiden Verliebten hinter einem Heuschober überrascht hatte, während sie immer noch ihr zerschundenes Handgelenk benetzte, als habe die Feuchtigkeit ihrer Lippen das Brennen gelindert; die Kuh riß inzwischen in einem benachbarten Feld seelenruhig Luzernebüschel aus. Der Fuhrknecht und die Egge waren davongefahren, wobei sie einen weiten Bogen machten, um die Landstraße zu erreichen. Man hörte das Krächzen zweier Raben, die in stetem Fluge um den Kirchturm kreisten. Die drei Glockenschläge des Angelus klangen in der leblosen Luft.

      „Wie! Schon Mittag!“ rief Jean. „Beeilen wir uns!“ Als er dann Coliche im Feld erblickte, fügte er hinzu: „He, deine Kuh richtet Schaden an. Wenn man sie sieht ... Warte, du Luder, ich werd dir’s heimzahlen!“

      „Nein, laßt nur sein“, sagte Françoise, die ihn zurückhielt. „Dies Stück gehört uns. Auf unserem Grund und Boden hat mich die Schlampe umgelegt! – Das ganze Ufer bis Rognes gehört zur Familie. Wir, wir reichen von hier bis da runter; nebenan das gehört dann unserm Onkel Fouan; dann, das Stück dahinter, der Großen, meiner Tante.“ Während sie mit einer Handbewegung die Landstücken bezeichnete, hatte sie die Kuh auf den Pfad zurückgebracht. Und erst da, als sie sie wiederum am Strick hielt, fiel es ihr ein, dem jungen Mann zu danken. „Trotzdem muß ich mich bei Euch ganz schön bedanken! Also, schönen Dank, recht herzlichen Dank!“

      Sie hatten auszuschreiten begonnen und folgten dem schmalen Weg, der längs der Talsenke verlief, bevor er tief in die Äcker hineinführte. Der letzte Glockenschlag des Angelus war soeben verklungen, allein die Raben krächzten immer noch. Und hinter der am Strick zerrenden Kuh einhergehend, redete keiner von beiden mehr, waren sie zurückgesunken in jenes Schweigen der Bauern, die Seite an Seite Meilen zurücklegen, ohne ein Wort zu wechseln. Sie warfen einen Blick auf eine Sämaschine zu ihrer Rechten, deren Pferde in der Nähe wendeten. Der Fuhrknecht rief ihnen „Guten Tag!“ zu, und sie antworteten „Guten Tag!“, im gleichen ernsten Ton. Unten, zu ihrer Linken, zogen immer noch Wägelchen die Landstraße nach Cloyes entlang, da der Markt erst um ein Uhr begann. Sie wurden derb gerüttelt auf ihren beiden Rädern, sahen wie Grashüpfer aus, waren so winzig in der Ferne, daß man die Hauben der Frauen nur noch als weißen Punkt unterscheiden konnte.

      „Da unten ist ja mein Onkel Fouan mit meiner Tante Rose, die zum Notar wollen“, sagte Françoise, die Augen auf ein nußschalengroßes Gefährt gerichtet, das in mehr als zwei Kilometer Entfernung dahineilte. Sie hatte jenen raschen Matrosenblick, jenen weitreichenden Blick der Leute aus der Ebene, der, auf Einzelheiten gerichtet, imstande ist, einen Menschen oder ein Tier in dem kleinen unruhigen Fleck zu erkennen, zu dem ihre Umrisse zusammengeschrumpft sind.

      „Ach ja, man hat mir davon erzählt“, erwiderte Jean. „Es ist also abgemacht, der Alte teilt seinen Besitz zwischen seiner Tochter und seinen beiden Söhnen auf?“

      „Es ist abgemacht, sie treffen sich heute bei Herrn Baillehache.“ Sie sah immer noch zu, wie das Wägelchen enteilte. „Uns, uns ist das Wurst, das macht uns weder fetter noch magerer ... Bloß, da ist Geierkopf. Meine Schwester denkt, daß er sie vielleicht heiratet, wenn er sein Teil bekommt.“

      Jean fing an zu lachen.

      „Dieser verdammte Geierkopf, wir waren Kumpels ... Ach, dem fällt es nicht gerade schwer, den Mädchen etwas vorzuschwindeln! Er braucht eben welche, er nimmt sie mit Faustschlägen, wenn sie nicht nett sind und nicht gleich wollen.“

      „Klar, das ist ein Schwein!“ erklärte Françoise mit überzeugter Miene. „Man tut seiner Kusine so eine Schweinerei nicht an, sie mit dickem Bauch sitzenzulassen.“ Aber jäh von Wut gepackt, unterbrach sie sich: „Wart, Coliche! Ich werd dich kirre kriegen! – Da fängt sie wieder an, sie ist rasend, die Coliche, wenn das über sie kommt!“ Mit einem heftigen Ruck hatte sie die Kuh zurückgebracht.

      An dieser Stelle verließ der Weg den Rand der höher gelegenen Fläche. Das Wägelchen verschwand, die beiden aber schritten weiter über das ebene Land und hatten dabei vor sich und links und rechts nur noch die endlos sich breitenden Felder. Zwischen den Sturzäckern und den Koppeln zog sich der Pfad hin, ganz eben, ohne einen Strauch, und führte auf das Gehöft zu, das man meinte, mit der Hand berühren zu können, und das unter dem Aschehimmel zurückwich. Sie waren in ihr Schweigen zurückgesunken, sie machten den Mund nicht mehr auf, gleichsam vom nachdenklichen Ernst dieser so traurigen und so fruchtbaren Beauce überkommen.

      Als sie anlangten, war der große viereckige Hof von La Borderie, der auf drei Seiten von den Stallungen, den Schafställen und den Scheunen abgeschlossen wurde, menschenleer. Aber sofort erschien auf der Schwelle der Küche eine junge Frau, die ziemlich klein war und dreist und hübsch aussah.

      „Was denn, Jean, wird heute vormittag nicht gegessen?“

      „Ich komm ja schon, Madame Jacqueline!“

      Seitdem die Tochter Cognets, des Chausseewärters von Rognes, die Cognette, wie man sie nannte, als sie mit zwölf Jahren das Geschirr auf dem Gehöft abwusch, in den Rang einer Haushälterin aufgerückt war, verlangte sie despotisch, als Dame behandelt zu werden.

      „Ach, du bist’s, Françoise“, fuhr sie fort. „Du kommst wegen des Bullen ... Na schön! Du kannst warten. Der Schweizer ist mit Herrn Hourdequin in Cloyes. Aber er wird bald zurückkommen. Er müßte schon hier sein.“ Und da sich Jean entschloß, in die Küche zu gehen, faßte sie ihn um die Hüften und drückte sich lachend an ihn, ohne sich etwas daraus zu machen, daß sie gesehen wurde, denn sie war unersättlich in der Liebe, und der Herr allein genügte ihr nicht.

      Allein geblieben, wartete Françoise geduldig auf einer Steinbank vor der Mistgrube, die ein Drittel des Hofes einnahm. Gedankenlos betrachtete sie eine Schar Hühner, die mit dem Schnabel pickten und sich die Füße auf der niedrigen Dungschicht wärmten, aus der ein leichter blauer Dampf in die schon recht kühle Luft aufstieg.

      Als Jean nach einer halben Stunde, noch an einer Butterschnitte kauend, wieder erschien, hatte sie sich nicht von der Stelle gerührt. Er setzte sich neben sie, und da die Kuh unruhig wurde, sich brüllend mit dem Schwanz schlug, sagte er schließlich:

      „Das ist ärgerlich, daß


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