Die Erde. Emile Zola

Die Erde - Emile Zola


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daß er auf dem Gymnasium ein Faulpelz gewesen war und nicht die Vorlesungen an einer jener Landwirtschaftsschulen gehört hatte, über die sich sein Vater und er lustig zu machen pflegten. Wie viele unnütze Versuche, fehlgeschlagene Experimente, und die Maschinen, die sein Gesinde aus den Fugen gehen ließ, und der Kunstdünger, bei dem der Handel betrog! Dabei war sein Vermögen draufgegangen, La Borderie brachte ihm kaum genug ein, daß es zum Brotessen langte, bis die Agrarkrise ihn vollends erledigen würde. Einerlei, er würde der Gefangene seiner Erde bleiben, er würde in ihr seine Knochen beerdigen, nachdem er sie bis zum Schluß als Frau behalten hatte.

      Sobald er an diesem Tage draußen war, erinnerte er sich an seinen Sohn, den Hauptmann. Sie beide, sie hätten so gute Arbeit geleistet! Aber er schob die Erinnerung an diesen Dummkopf beiseite, der lieber einen Säbel schleppte. Er hatte kein Kind mehr, er würde einsam enden. Dann kam ihm der Gedanke an seine Nachbarn, an die Coquarts vor allem, Grundbesitzer, die selber ihr Gehöft in Saint-Juste bewirtschafteten, der Vater, die Mutter, drei Söhne und zwei Töchter, und die kaum mehr Glück hatten. Auf La Chamade düngte Robiquet, der Pächter, dessen Pachtvertrag ablief, nicht mehr, ließ den Besitz verkommen. So war’s, überall stand es schlecht, man mußte sich totarbeiten und durfte sich nicht beklagen. Nach und nach übrigens stieg eine einschläfernde Lieblichkeit von den großen grünen Stücken Land auf, an denen er entlangging. Leichte Regenfälle im April hatten die Futtersaaten gut aufgehen lassen. Der hochrote Klee beglückte ihn, er vergaß alles übrige. Nun kürzte er über die Sturzäcker den Weg ab, um einen raschen Blick auf die Arbeit seiner zwei Pferdeknechte zu werfen; die Erde klebte an seinen Füßen, er fühlte, sie war fett und fruchtbar, als wolle sie ihn mit einer Umarmung zurückhalten; und sie nahm ihn ganz und gar wieder, er fand die Manneskraft von einst, als er in den Dreißigern war, die Stärke und die Freude wieder. Gab es denn andere Frauen außer ihr? Zählte so was denn, Weiber wie die Cognette, diese oder jene, der Teller, von dem alle essen, mit dem man sich wohl begnügen muß, wenn er einigermaßen sauber ist? Eine so triftige Entschuldigung für seine Feigheit, von dieser Hure nicht lassen zu können, munterte ihn vollends auf. Er wanderte drei Stunden, er scherzte mit einem Mädchen, ausgerechnet mit der Magd von Coquarts, die auf einem Esel aus Cloyes zurückkam und dabei ihre Beine sehen ließ.

      Als Hourdequin nach La Borderie heimkehrte, erblickte er Jacqueline im Hof, die von den Katzen des Gehöfts Abschied nahm. Es war immer eine ganze Schar Katzen vorhanden, zwölf, fünfzehn, zwanzig, man wußte nicht genau wie viele; denn die Katzen jungten in unbekannten Strohlöchern, und wenn sie wieder zum Vorschein kamen, spazierten fünf oder sechs Junge hinterdrein. Danach trat sie an die Hütten der beiden Schäferhunde, Empereur und Massacre, heran; aber die knurrten, sie konnten sie nicht ausstehen.

      Trotz des Abschieds von den Tieren verlief das Abendessen wie alle Tage. Der Herr aß, plauderte in seiner gewohnten Weise. Als dann der Arbeitstag beendet war, war keine Rede mehr davon, daß irgend jemand fortzöge. Alle gingen schlafen, das Dunkel umhüllte das stille Gehöft.

      Und noch in dieser Nacht schlief Jacqueline im Zimmer der verstorbenen Frau Hourdequin. Das schöne Zimmer war das, mit seinem großen Bett hinten im rot ausgeschlagenen Alkoven. Ein Schrank stand darin, ein Tischchen, ein Lehnsessel; und über einem kleinen Mahagonischreibtisch glänzten, eingerahmt und unter Glas, die Medaillen, die Hourdequin in Landwirtschaftsvereinen erhalten hatte. Als die Cognette im Hemd in das Ehebett stieg, spreizte sie sich darin, machte Arme und Schenkel breit, um es ganz und gar zu halten, und lachte dabei ihr Turteltaubenlachen.

      Jean stieß sie am anderen Morgen zurück, als sie ihm um den Hals fiel. Da das mit dem Herrn nun ernst wurde, war das mit ihm bestimmt nicht sauber, und er wollte nicht mehr.

      KAPITEL II

      Einige Tage danach kam Jean eines Abends zu Fuß aus Cloyes zurück, als ihn zwei Kilometer vor Rognes die Art, wie ein Bauernwägelchen vor ihm her nach Hause fuhr, in Verwunderung versetzte. Das Wägelchen schien leer zu sein, niemand saß mehr auf der Bank, und das Pferd, das sich selbst überlassen war, trottete als ein Tier, das seinen Weg kannte, zu seinem Stall zurück. Deshalb hatte der junge Mann es rasch eingeholt. Er brachte es zum Stehen, stellte sich auf die Zehenspitzen, um in den Wagen zu schauen; ein Mann lag auf dem Boden, ein dicker, untersetzter Mann von sechzig Jahren, der hintübergefallen und dessen Gesicht so rot war, daß es schwarz wirkte.

      Jeans Überraschung war so groß, daß er laut anfing zu reden: „He! Mann! – Schläft der denn? Hat der denn getrunken? – Sieh mal an, das ist ja der alte Fliege, der Vater von den beiden da drüben! – Ich glaube, Himmelsakrament, der hat ins Gras gebissen! Na, das ist mir eine Geschichte!“

      Aber Fliege, den ein Schlaganfall getroffen hatte, atmete noch mit einem schwachen mühsamen Schnaufen. Da setzte sich Jean, nachdem er ihn ausgestreckt und seinen Kopf hochgelegt hatte, auf die Bank und peitschte auf das Pferd ein, um den Sterbenden in raschem Trab nach Hause zu bringen, weil er Angst hatte, daß er ihm unter den Händen hinüberginge.

      Als er auf den Kirchplatz einbog, sah er gerade Françoise, die vor ihrer Tür stand. Der Anblick dieses Burschen, der in Vater Flieges Wagen saß und das Pferd lenkte, machte sie stutzig. „Was ist denn?“ fragte sie.

      „Deinem Vater geht’s nicht gut.“

      „Wo ist er?“

      „Da, schau rein!“

      Sie kletterte auf das Rad, schaute hinein. Einen Augenblick verharrte sie stumpfsinnig und schien nichts zu begreifen angesichts dieser blau angelaufenen Maske, deren eine Hälfte sich krampfartig verzerrt hatte, als sei sie gewaltsam von unten nach oben gerissen worden. Die Nacht sank herab, eine große fahle Wolke, die den Himmel gilbte, beleuchtete den Sterbenden wie den Widerschein einer Feuersbrunst. Dann brach Françoise auf einmal in Schluchzen aus, sie rannte davon, verschwand, um ihrer Schwester Bescheid zu sagen.

      „Lise! Lise! – Ach, mein Gott!“

      Jean, der allein geblieben, war unschlüssig. Man konnte jedoch den Alten nicht auf dem Boden des Wägelchens liegen lassen. Der Fußboden des Hauses lag drei Stufen tiefer als der Platz; und es erschien ihm wenig bequem, in dieses düstere Loch hinunterzusteigen. Dann fiel ihm ein, daß links von der Dorfstraße aus eine andere Tür zu ebener Erde zum Hof führte. Dieser Hof, der ziemlich geräumig war, wurde von einer grünen Hecke umzäunt; das fuchsrote Wasser eines Tümpels nahm zwei Drittel des Hofes ein, und ein Gemüse- und Obstgarten von einem halben Arpent schloß ihn ab. Da ließ Jean das Pferd los, das von selber heimging und vor seinem Stall stehenblieb, neben dem Kuhstall, in dem die beiden Kühe untergebracht waren. Aber unter Schreien und Tränen kamen Françoise und Lise angelaufen. Lise, die vor vier Monaten entbunden hatte, war überrascht worden, während sie den Kleinen stillte, und hatte ihn in ihrer Bestürzung auf dem Arm behalten. Françoise stieg wieder auf ein Rad, Lise kletterte auf das andere, beider Gejammer wurde herzzerreißend, während Vater Fliege auf dem Boden des Wägelchens immer noch mühselig pfeifend atmete. „Vater, antworte doch, sag doch was! – Was hast du denn? Sag doch! Was hast du denn? Mein Gott! – Du hast’s also im Kopf, daß du nicht einmal was sagen kannst? – Vater, Vater, sag doch was, antworte doch!“

      „Kommt runter, es ist besser, wenn wir ihn da rausnehmen“, bemerkte Jean umsichtig.

      Sie halfen ihm nicht, sie schrien noch lauter. Glücklicherweise zeigte sich endlich eine Nachbarin, die Frimat, die der Lärm herbeigelockt hatte. Das war eine lange, dürre, knochige Greisin, die seit zwei Jahren ihren gelähmten Mann pflegte und ihm das Brot verdiente, indem sie mit der Hartnäckigkeit eines Arbeitstiers selber den einzigen Arpent bestellte, den sie besaßen. Sie verlor nicht die Fassung, schien das Ereignis als natürlich anzusehen, und wie ein Mann legte sie Hand mit an. Jean packte Fliege bei den Schultern, zog ihn, bis ihn die Frimat an den Beinen fassen konnte. Dann trugen sie ihn weg, schafften ihn ins Haus.

      „Wo sollen wir ihn denn hinlegen?“ fragte die Alte.

      Die beiden Töchter, die hinterherkamen, waren kopflos und wußten es selber nicht. Ihr Vater bewohnte oben eine Kammer, die man vom Boden abgeteilt hatte; und es war kaum möglich, ihn hochzubringen. Unten war hinter der Küche die große Stube mit den zwei Betten, die er den Töchtern überlassen hatte. In der Küche herrschte stockfinstere Nacht, der


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