Die Erde. Emile Zola
fehlte der Ansporn, für sein Geschlecht zu arbeiten. Aber wenn die Wunde auch in der Tiefe blutete, er blieb auf den Beinen, blieb heftig und herrschsüchtig. Angesichts der Bauern, die über seine Maschinen grinsten, die den Ruin dieses Bürgers herbeiwünschten, der verwegen genug war, sich in ihrem Beruf zu versuchen, wurde er starrsinnig. Und was sollte er übrigens tun? Er wurde immer mehr der Gefangene seiner Erde: die angehäufte Arbeit und das hineingesteckte Kapital schlossen ihn jeden Tag enger ein, fortan war kein anderer Ausweg möglich, als durch ein Unheil da herauszukommen.
Hourdequin mit seinen vierschrötigen Schultern und seinem breiten hochroten Gesicht, der von seiner bürgerlichen Verfeinerung nur kleine Hände zurückbehalten hatte, war stets ein despotisches Mannestier für seine Mägde gewesen. Sogar als seine Frau noch da war, wurden alle genommen; und das ganz natürlich, ohne weiteres, wie eine ihm zustehende Sache. Wenn sich auch armer Bauern Töchter, die schneidern gehen, mitunter retten, so entgeht doch keine von denen, die sich auf den Gehöften verdingen, dem Mann, den Knechten oder dem Herrn. Frau Hourdequin lebte noch, als Jacqueline auf La Borderie aus Barmherzigkeit eingestellt wurde: Vater Cognet, ein alter Trunkenbold, verprügelte sie, und sie war so ausgemergelt, so schäbig, daß man durch ihre Lumpen hindurch die Knochen im Leibe sah. Obendrein hielt man sie für so häßlich, daß die Bengels hinter ihr her johlten. Man hätte sie auf keine fünfzehn Jahre geschätzt, obwohl sie fast achtzehn war. Sie half der Magd, man beschäftigte sie mit niederen Verrichtungen, mit Geschirrspülen, mit Hofarbeit, mit dem Säubern der Tiere, wobei sie, die ohnehin schon dreckig war, vollends verschmutzte. Nach dem Tode der Hofbesitzersfrau jedoch schien sie sich etwas zu mausern. Alle Knechte legten sie um im Stroh; kein Mann kam auf das Gehöft, der ihr nicht über den Bauch rutschte; und eines Tages, als sie den Herrn in den Keller begleitete, der sie bis dahin verschmäht hatte, wollte auch er von diesem unsauberen häßlichen Fratz kosten; aber sie wehrte sich wütend, kratzte ihn, biß ihn so sehr, daß er gezwungen war, sie loszulassen. Von da an war ihr Glück gemacht. Sie leistete sechs Monate lang Widerstand, gab sich dann allmählich hin und ließ ihn um jedes Stückchen ihrer nackten Haut betteln. Vom Hof war sie mit einem Sprung als richtige Magd in die Küche gelangt; dann stellte sie zu ihrer Hilfe eine Göre ein; dann bekam sie, die nun ganz und gar Dame war, ein Dienstmädchen, das sie bediente. Nun hatte sich die kleine Schlampe von einst zu einem tiefbrünetten Mädchen entwickelt, das schlau und hübsch aussah und den festen Busen und die biegsamen und kräftigen Glieder einer Frau hatte, die mager wirkt, ohne es zu sein. Sie legte eine verschwenderische Gefallsucht an den Tag, troff vor Parfüm, obwohl sie dabei einen Bodensatz von Unsauberkeit behielt. Die Leute von Rognes und die Landwirte der Umgebung waren deshalb nicht weniger verwundert über das Abenteuer: war das denn menschenmöglich, daß sich ein reicher Knopp in ein so schwächliches Ding, das nicht schön, nicht üppig war, kurzum in die Cognette vernarrt hatte, in die Tochter von Cognet, von diesem Säufer, den man seit zwanzig Jahren auf den Landstraßen Steine klopfen sah! Ach, ein großartiger Schwiegervater! Eine famose Nutte! Und die Bauern begriffen nicht einmal, daß diese Nutte ihre eigene Rache war, die Rache des Dorfes am Gehöft, die Rache des elenden Arbeiters der Scholle am reich gewordenen Bürger, der es zum Großgrundbesitzer gebracht hatte. Hourdequin, der sich mit seinen fünfzig Jahren im kritischen Alter befand, war ihr verfallen, da seine Sinne gefangen waren und er physisch Jacqueline brauchte, wie man Brot und Wasser braucht. Wenn sie sehr nett sein wollte, umschlang sie ihn mit einer katzenhaften Liebkosung, ohne Bedenken, ohne Ekel überfütterte sie ihn mit Ausschweifungen, wie die Dirnen sie nicht wagen; und für eine dieser Stunden demütigte er sich, flehte er sie an zu bleiben, nach Zankereien, nach furchtbarem Aufbegehren des Willens, bei dem er drohte, sie mit derben Fußtritten rauszuschmeißen.
Am Vorabend noch hatte er sie nach einem Auftritt geohrfeigt, den sie ihm gemacht hatte, weil sie in dem Bett schlafen wollte, in dem seine Frau gestorben war; und die ganze Nacht hatte sie sich ihm verwehrt, hatte ihm Klapse versetzt, sobald er näher kam; denn wenn sie sich auch weiterhin an den Knechten gütlich tat, ihn hielt sie knapp, peitschte ihn auf mit Enthaltsamkeit, um ihre Macht zu steigern. So wurde er denn auch an diesem Morgen, in dieser feuchten Stube, in diesem zerwühlten Bett, in dem er sie noch atmete, wieder von Wut und Begierde erfaßt. Seit langem witterte er ihre fortgesetzten Betrügereien. Mit einem Satz stand er auf, er sagte mit lauter Stimme: „Ah, du Luder, wenn ich dich schnappe!“ Rasch zog er sich an und ging hinunter.
Jacqueline war durch das stumme Haus geflitzt, das kaum von der anbrechenden Morgendämmerung erhellt wurde. Als sie den Hof überquerte, stutzte sie, weil sie den Schäfer erblickte, den alten Soulas, der bereits auf war. Aber ihr Begehren hielt sie so sehr gepackt, daß sie sich darüber hinwegsetzte. Da war eben nichts zu machen. Sie mied den Stall mit den fünfzehn Pferden, in dem vier von den Fuhrknechten des Gehöftes schliefen, gingnach hinten zum Hängeboden, der Jean als Bett diente: eine Schütte Stroh, eine Decke, nicht einmal ein Laken. Und während sie ihn, der ganz verschlafen war, umarmte, ihm mit einem Kuß den Mund verschloß, hauchte sie erschauernd und atemlos mit sehr leiser Stimme:
„Ich bin’s, großer Dummkopf. Hab keine Angst ... Schnell, schnell, beeilen wir uns!“
Aber er erschrak, nie und nimmer wollte er an dieser Stelle, in seinem Bett, weil er fürchtete, überrascht zu werden. Die Leiter zum Heuboden war dort in der Nähe, sie kletterten hinauf, ließen die Klappe offen, legten sich um im Heu.
„Oh, großer Dummkopf, großer Dummkopf!“ sagte Jacqueline, vor Wonne vergehend, immer wieder mit ihrem kehligen Gurren, das ihr aus dem Schoß emporzusteigen schien.
Seit fast zwei Jahren war Jean Macquart auf dem Gehöft. Als er aus dem Militärdienst ausschied, war er mit einem Kameraden, einem Tischler wie er, nach Bazoches-le-Doyen geraten, und er hatte bei dessen Vater, einem kleinen Dorftischler, der zwei oder drei Gesellen beschäftigte, wieder zu arbeiten begonnen; aber er spürte, daß er nicht mehr mit Lust und Liebe dabei war, die sieben Jahre Militärdienst hatten ihn ungelenkig gemacht, hatten ihn aus der Bahn gebracht, hatten ihm Säge und Hobel so sehr verekelt, daß er ein anderer Mensch geworden zu sein schien. Einst in Plassans schlug er tüchtig ein aufs Holz; obwohl es ihm nicht leichtfiel, etwas zu lernen, und er gerade nur lesen, schreiben und rechnen konnte, war er doch sehr nachdenklich, sehr arbeitsam und hatte den Willen, sich außerhalb seiner furchtbaren Familie eine unabhängige Stellung zu schaffen. Der alte Macquart hielt ihn in Abhängigkeit wie ein Mädchen, schnappte ihm seine Liebchen vor der Nase weg, ging jeden Sonnabend zur Tür seiner Werkstatt, um ihm seinen Lohn zu stehlen. Als die Schläge und die Erschöpfung seine Mutter umgebracht hatten, folgte er deshalb dem Beispiel seiner Schwester Gervaise, die eben mit einem Liebhaber nach Paris ausgekniffen war: er rückte seinerseits aus, um nicht diesen Faulpelz, seinen Vater, ernähren zu müssen. Und nun erkannte er sich nicht mehr wieder, nicht, daß er nun auch faul geworden wäre, aber das Soldatendasein hatte seinen Gesichtskreis geweitet: die Politik zum Beispiel, die ihn früher gelangweilt hatte, beschäftigte ihn heute sehr, brachte ihn dazu, über Gleichheit und Brüderlichkeit Betrachtungen anzustellen. Außerdem hatte er sich das Bummeln angewöhnt durch das beschwerliche und müßige Wachestehen, das schläfrige Leben in den Kasernen, das wilde Herumgehetze des Krieges. Da fielen ihm die Werkzeuge aus den Händen, er sann nach über seinen Feldzug in Italien, und ein großes Bedürfnis nach Ruhe machte ihn benommen, das Verlangen, sich im Gras auszustrecken und die Zeit zu vergessen.
Eines Morgens brachte ihn sein Meister wegen Instandsetzungsarbeiten nach La Borderie. Dort war für einen reichlichen Monat Arbeit vorhanden: Fußböden in den Zimmern zu legen, so ziemlich überall Türen und Fenster festzumachen. Er war glücklich und zog die Erledigung sechs Wochen lang hin. Unterdessen starb sein Meister, und der Sohn, der sich verheiratet hatte, ließ sich im Heimatort seiner Frau nieder. So war Jean als Tischler auf La Borderie geblieben, wo man immer verfaultes Holz entdecken würde, das zu ersetzen war, und er arbeitete dort tageweise auf eigene Rechnung; als dann die Ernte begann, griff er mit zu und blieb noch sechs Wochen, so daß ihn der Hofbesitzer schließlich ganz behielt, als er sah, wie sich Jean so gut in der Landwirtschaft einarbeitete. In weniger als einem Jahr wurde der ehemalige Tischlergeselle ein guter Ackerknecht, karrte, pflügte, säte, mähte in diesem Frieden der Erde, in dem er endlich sein Bedürfnis nach Ruhe zu stillen hoffte. Es war also aus mit Sägen und Hobeln! Und er schien für die Felder geboren zu sein mit seiner weisen Bedächtigkeit, seiner Liebe zu geregelter Arbeit, diesem Temperament eines Zugochsen, das er von seiner Mutter