Ach, das liebe Geld!. Franziska zu Reventlow

Ach, das liebe Geld! - Franziska zu Reventlow


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alle möglichen Fragen, dann blieb er mitten im Wege stehen, sah mich enthusiastisch an und stellte fest: Ich litte an einem schweren Geldkomplex, und den könne man nur durch psychoanalytische Behandlung heilen, die er am liebsten selbst übernehmen wollte. Im weiteren Verlauf des Gesprächs schlug er mir vor, ich solle mich einstweilen in die Anstalt seines väterlichen Freundes, Professor X., begeben, er selbst habe die Absicht, seine Ferien dort zu verbringen, und werde also nachkommen. Dem Professor X. möchte ich nur um Gottes willen nicht von der geplanten Behandlung sagen, denn er sei ein erbitterter Gegner allen Freudianertums. Ich könnte mich ja auf irgendeine fixe Idee hinausreden und ein wenig simulieren.

      Anfangs war ich etwas unschlüssig und ziemlich erschrocken über den Gedanken, mit einer pathologischen Sache behaftet zu sein. Das heißt, ich hatte wohl selbst schon geahnt, dass es nicht mehr ganz richtig mit mir war. Andererseits aber hatte der Gedanke, diesen Zustand wieder loszuwerden, vieles für sich – das fürchterliche Rechnen und die beständigen Geldgedanken mussten mich binnen kurzem ganz zugrunde richten. Wenn es in dieser Weise fortging, war ich sowieso nicht imstande, mich ernstlich mit der Ordnung meiner Angelegenheiten zu befassen.

      Als ich kurz darauf die Nachricht von der schweren Erkrankung des alten Erbherrn bekam, war mein Entschluss gefasst, denn nun auch noch mit positiven Kapitalsmöglichkeiten zu rechnen, das ging, weiß Gott, über meine Kraft.

      So stellte ich meine Angelegenheiten, meine Gläubiger, und alles übrige in Gottes Hand, fuhr hierher und tat sowohl der Welt wie mir selbst gegenüber, als ob ich nicht mehr existierte.

      Aber selbst die Erinnerungen greifen mich noch zu sehr an, und ich glaube, wir haben für heute beide genug ... ein andermal mehr.

      2

      Wie mir denn hier zumut ist, willst du wissen? – Einstweilen ist es so ziemlich die dümmste Situation, die mir das Leben bisher serviert hat, und mit törichten Situationen war es freigebig genug.

      Ich war noch nie in einem Sanatorium und habe noch nicht recht heraus, wie man sich hier zu benehmen hat. Der Professor nahm mich natürlich eingehend ins Verhör, und ich war in einiger Verlegenheit, was ich ihm sagen sollte. Da ich nun am ersten Abend meine Mitpatienten ziemlich unsympathisch fand, gab ich an, ich litte an krankhafter Menschenscheu – so konnte ich mich doch wenigstens ruppig benehmen, wenn mir die Leute ernstlich auf die Nerven fielen. Aber er meinte, dann wolle er mich lieber vorläufig isolieren. Ich sollte die Mahlzeiten alleine auf meinem Zimmer nehmen usw. – Nein, um Gottes willen, das wollte ich nicht, zuviel Alleinsein machte mich vollends verrückt. – Nun, er wolle mir gern möglichste Freiheit lassen, soweit ich nicht störend auf andere einwirke, etwa die Abneigung gegen meine Mitmenschen in auffallender Weise äußern sollte. – Nein, nein, das würde ich ganz gewiss nicht tun, sagte ich voller Überzeugung – er sah mich daraufhin ganz erstaunt an und schüttelte den Kopf. – Pause – angestrengtes Nachdenken. Dann beklagte ich mich über Schlaflosigkeit, Depressionszustände und was mir gerade in den Sinn kam. – Wie sich die äußerten – nämlich die Depressionen –, ob ich etwa oft und ohne Grund Neigung zum Weinen fühle? Darüber fiel ich wieder aus der Rolle und musste über dieses merkwürdige Ansinnen herzlich lachen. Aber er hielt das, Gott sei Dank, für nervös, legte mir väterlich die Hand auf die Schulter und meinte, ich hätte am Ende irgendwelche schweren seelischen Erschütterungen durchgemacht ... ach, du lieber Gott, auch ohne den Geldkomplex zu erwähnen, konnte ich ihm doch nicht gut sagen: ja gewiss – aber sie lagen ausschließlich auf pekuniärem Gebiet – ich war mein Leben lang allen menschlichen und seelischen Konflikten gewachsen, nur den wirtschaftlichen nicht. Weder glückliche noch unglückliche Liebe, weder Ehe noch Ehebruch, sondern ausschließlich Gläubiger, Hausherren und Lieferanten haben es dahin gebracht, mich psychisch zu zerrütten.

      Schwerlich hätte der Professor das richtige Verständnis gehabt, und ihm wären höchstens Bedenken über meine Zahlungsfähigkeit aufgestiegen.

      Dann fuhr es mir plötzlich durch den Kopf: Gott im Himmel, wenn nun am Ende ein Wunder geschähe, der alte Erbherr sich wieder erholte und ich auch hier meinen pekuniären Verpflichtungen nicht nachkommen könnte! Die Geldgedanken, die ich seit ein paar Tagen fast vergessen hatte, fielen wieder über mich her wie ein Schwarm von Raben. Ich war außer Stande etwas zu sagen, was der Professor wohl auf die seelischen Erschütterungen schob und mich voller Teilnahme gehen ließ.

      Immerhin hatte ich den Eindruck, dass er mich für ziemlich übergeschnappt hielt.

      Du musst ja auch selbst sehen, Maria, wie es um mich steht. Ich bin nur noch ein Schatten meiner selbst ... habe ich mir früher je Gedanken gemacht, wie man sich am Ende irgendeines Aufenthaltes aus der Affäre ziehen würde? Vielleicht bin ich schon auf dem Wege zum Verfolgungswahn, denn ich habe längst angefangen in jedem Menschen den eventuellen Gläubiger zu sehen. Das geht nun auch hier schon wieder los. Der gute Professor ist wirklich sehr nett mit mir – aber eines Tages wird er mir unweigerlich als Gläubiger gegenüberstehen – die anderen Patienten – wer weiß, ob ich nicht in die Lage kommen werde, sie anpumpen zu müssen – und das Personal, das sicher fürstliche Trinkgelder erwartet ... nein, glaubt mir nur, die Bestie im Menschen, vor der so oft gewarnt wird, braucht man nicht halb so zu fürchten wie den Gläubiger im Menschen.

      Apropos, um die in M... habe ich mich nicht weiter bekümmert, mögen sie sich untereinander um meinen Nachlass zerfleischen. Die Flüche der ›Ausgesogenen und Betrogenen‹ hallen nur manchmal noch auf Umwegen zu mir herüber. Einige haben ihre Forderungen dem Verein ›Kreditreform‹ übergeben, und dieser schlug mir vor, mich gütlich mit ihnen zu einigen, sonst käme mein Name auf eine schwarze Liste, die an achtzigtausend Kaufleute versandt würde. Es war das einzige Schreiben dieser Art, das mich wirklich sympathisch berührte, und ich möchte jenen menschenfreundlichen Verein dafür segnen. Es ist wohltuend, zu denken, wie Schulden sich einfach dadurch erledigen, dass man auf eine Liste kommt und dass man mit jenen achtzigtausend Kaufleuten gar nichts zu tun hat, sie zum Mindesten nicht auch noch Geld von mir beanspruchen. Kurz nach Empfang dieses Schreibens hatte ich einen Traum: Ich war in einer Wüste, und die achtzigtausend Kaufleute kamen als Karawane auf mich zu, umringten mich, boten mir mit mildem Lächeln alles Mögliche an und wollten mir ein Kamel zum Reiten geben. Bis dahin war der Traum sehr schön, aber dann bemerkte ich plötzlich, dass das Kamel ein Menschengesicht hatte, und zwar sah es aus wie mein letzter Hausherr in M... Darüber erschrak ich so, dass ich ganz verstört aufwachte.

      Du musst wissen, dass die Freudianer sich im Interesse der Patienten auch mit Traumdeutung befassen. Dies war jedenfalls ein richtiger Komplextraum, und ich habe ihn mir deshalb notiert, um für Baumann Material zu sammeln. Womit soll ich ihn sonst beschäftigen?

      Vorläufig behandelt mich der Professor nach der hier üblichen Methode mit Tageseinteilung, Ruhestunden, Bädern, Wickeln und dergleichen mittelalterlichen Foltern. Es ist zum Gotterbarmen, und ich möchte wissen, ob die Leute ihre Seelenschocks oder Depressionen wirklich dadurch loswerden. Auf mich wirkt es gerade umgekehrt, ich fange jetzt erst an nervös zu werden.

      3

      Aus lauter Verzweiflung habe ich angefangen Bekanntschaften zu machen. Man erzählt sich seine Leiden, räsoniert über die Behandlung, vergleicht die jedem zugemessene Anzahl von Bädern und Packungen, kurz, man fachsimpelt auf Tod und Leben. Ich komme mir zwar immer noch sehr dilettantisch vor. Angstzustände, nervöse Herzgeschichten, Idiosynkrasien, Neurosen und Psychosen, die in diesem Milieu zum guten Ton gehören, sind mir bisher böhmische Dörfer gewesen, aber ich lerne doch allmählich, mich sachverständig darüber zu unterhalten.

      Wir haben da einen achtzehnjährigen Pastorensohn, der sich zum Atheismus durchgekämpft und darüber eine Psychose bekommen hat. Nun gibt es einen entlegenen Teil des Gartens mit einem kleinen Holzpavillon, und in dem Pavillon steht – ich weiß nicht, warum – eine Spieluhr. Eben dort geht der jugendliche Atheist ganze Nachmittage im glühendsten Sonnenschein tiefsinnig und barhäuptig auf und ab. Jedes Mal, wenn er zum Pavillon zurückkommt, zieht er die Spieluhr wieder auf. Ich habe ihm ein paar Mal schweigend zugesehen und ihm dann klarzumachen versucht, dass diese Betätigung unmöglich heilsam auf seine Nerven wirken könne. Er sollte lieber mit mir ins Dorf hinuntergehen und ein Glas Wein trinken – hier oben sind geistige Getränke


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