Handbuch Eigentumswohnung. Werner Siepe
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GEBRAUCHTE WOHNUNG ODER NEUBAU?
Ein britischer Ökonom hat einmal über die Deutschen gesagt: „Ihr Deutschen seid wirklich komisch. Eure Wohnung, in der Ihr Euch täglich 14 und mehr Stunden aufhaltet, und das 350 Tage im Jahr, Eure Wohnung mietet Ihr. Aber Euer Auto, das Ihr täglich vielleicht für zwei Stunden benutzt, manchmal weniger und an vielen Tagen des Jahres gar nicht, Euer Auto kauft Ihr.“
Abgesehen von dem Preisunterschied, der zwischen einem Automobil und einer Eigentumswohnung besteht, hatte der Mann Recht. Grundsätzlich ist es wirtschaftlich sinnvoller, eine Sache als Eigentum zu erwerben, die man regelmäßig und dauerhaft benutzt, und eine Sache, die man nur gelegentlich und kurzzeitig benutzt, stattdessen zu mieten. Dass es sich in Deutschland anders darstellt, hat historische Wurzeln. Deutschland wurde aufgrund der späten, aber schnellen Industrialisierung und des raschen Wachstums der Großstädte ein Mieterland. Und Deutschland ist das Geburtsland des Automobils, hier hat das Auto einen hohen Stellenwert und eine immaterielle Aura, die sich oft über wirtschaftliche Erwägungen hinwegsetzt. Seit einigen Jahren zeichnet sich aber eine Trendwende ab, sowohl hinsichtlich der Autovermietung, des Car-Sharings und ähnlicher Geschäftsmodelle als auch hinsichtlich des Immobilienmarkts.
Wer heute eine Wohnung kauft, folgt in der Regel nicht einer spontanen Eingebung, sondern handelt nach reiflicher Überlegung. Nicht immer sind es gleich Lebensentscheidungen, wie sie mit dem Bau oder Kauf eines eigenen Hauses verbunden sind. Aber folgende Entscheidungen grundsätzlicher Art müssen getroffen werden:
Für die Selbstnutzer geht es um eine Entscheidung für den Ort, an dem man dauerhaft leben möchte; eine Immobilie ist nicht nur immobil, das heißt an ihr Grundstück gebunden, sie macht unter Umständen auch den Eigentümer immobil. Hier könnte die Entscheidung für den Erwerb einer Wohnimmobilie mit den Mobilitätsforderungen kollidieren, die das Berufsleben häufig an die heutige Generation der Erwerbstätigen stellt.
Dem Selbstnutzer fordert die Standortfrage die Entscheidung für eine bestimmte, meist städtische Lebensweise ab. Damit verbunden sind oft die Fragen der Familien- und Karriereplanung. Und bei der Entscheidung sollte man schon von Anfang an berücksichtigen, dass sich Wohnbedürfnisse in verschiedenen Lebensphasen und unter verschiedenen Lebensumständen verändern können und dass das Häuschen im Grünen, das einmal eine Traumimmobilie war, eines Tages als Klotz am Bein empfunden werden kann.
Aber auch für den Kapitalanleger, der seine Eigentumswohnung nicht (oder nicht mehr oder noch nicht) selbst nutzen möchte, ist die Standortfrage relevant. Denn eine Wohnung als Kapitalanlage wirft nur dann Rendite ab, wenn sie von einem solventen Mieter bewohnt wird, der regelmäßig den Mietzins bezahlt. Solvente Mieter sind aber bei allen Vermietern beliebt. Überwiegt auf dem lokalen oder regionalen Mietwohnungsmarkt das Angebot die Nachfrage, entbrennt ein Wettbewerb um die solventen Mieter. Und in diesem Wettbewerb spielt die Frage des Standorts eine entscheidende Rolle. Sie dominiert andere Faktoren wie beispielsweise die Ausstattung. Warum? Die Ausstattung einer Wohnung lässt sich mit baulichen Maßnahmen verändern und aufwerten, der Standort nicht.
Wenn die grundsätzliche Entscheidung für eine Eigentumswohnung gefallen ist, steht die Frage an, ob es eine Neubau- oder eine Bestandsimmobilie werden soll.
Der Immobilienerwerb zieht die Entscheidung für eine große finanzielle Investition nach sich, die den einen oder anderen Immobilienkäufer bis an die Grenzen seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit führen kann.
Die Entscheidung gegen ein Haus und für die scheinbar „kleine Lösung“, eben für eine Wohnung, kann die Nachteile der Immobilität teilweise kompensieren und auch die finanzielle Belastung vermindern.
Für den Kapitalanleger, der sich eine Eigentumswohnung als Vermietungsobjekt zulegt, spielen neben dem Standort auch Finanzierungsbedingungen und steuerliche Aspekte eine wichtige Rolle.
Solche Grundsatzentscheidungen können in unterschiedlichen Lebensphasen anstehen. Manche Menschen treffen eine Immobilienentscheidung schon sehr früh, etwa zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn. In manchen Fällen liegen familiäre Entscheidungen zugrunde, wenn es zum Beispiel darum geht, die eigenen Kinder zu unterstützen und etwa am Studienort der Tochter oder des Sohnes eine kleine Eigentumswohnung zu erwerben. Manche treffen ihre Immobilienwahl erst später, wenn die Familie wächst und man überlegen muss, ob man eine größere Wohnung mietet oder lieber in „etwas Eigenes“ investiert, ein Haus baut oder eine Wohnung kauft. Andere treffen ihre Entscheidung spät, auf dem Höhepunkt ihrer beruflichen Laufbahn – oder schon mit Blick auf den bevorstehenden Ruhestand. Oft ist die Entscheidung für den Wohnungskauf auch mit einer beruflich bedingten Ortsveränderung verbunden. Gerade dann, wenn man sich nicht auf einen aufwendigen Eigenheimbau einlassen will, ist die Wohnung – egal ob als Neubau oder aus zweiter Hand – die erste Wahl.
Wenn die grundsätzliche Entscheidung für eine Eigentumswohnung (das heißt zugleich gegen eine andere Immobilien- und Wohnform) gefallen ist, steht die Frage an, ob eine Neubau- oder eine Bestandsimmobilie erworben werden soll.
Als Sonderfall der Neubauwohnung kann man noch die projektierte, das heißt noch nicht fertiggestellte Wohnung in die Überlegungen einbeziehen, ebenso wie man als Sonderfall der Bestandsimmobilie die unsanierte Wohnung, deren Sanierung aber bereits geplant wird, einbeziehen kann. Als weiterer Sonderfall kann die Denkmalimmobilie in die Überlegungen aufgenommen werden.
Alle fünf Fälle haben unbestreitbare Vorzüge. Leider haben sie auch Nachteile, die von Verkäufern und/oder Maklern oft verschwiegen oder schöngeredet werden.
1. Bestandsimmobilien haben „Jahresringe“. Diese Jahresringe lassen sich in Gestalt typischer Bauformen, der verwendeten Baumaterialien und der Ausführungsqualität regelrecht lesen (siehe „Besichtigung und Prüfung“, Seiten 55 ff.). Am beliebtesten unter den Bestandsimmobilien ist der sanierte Altbau. Er verbindet das Wohngefühl gediegener Bürgerlichkeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit den Komfortansprüchen des 21. Jahrhunderts. Jedenfalls erwarten genau das die meisten Immobilienkunden, die sich für eine sanierte Altbauwohnung interessieren. Die Bauzeit der Originalsubstanz liegt in der Regel zwischen 1880 und 1915. Wer es hochwertig liebt, der fahndet in den Immobilienangeboten am besten gleich nach dem Begriff „Stilaltbau“. Dieser Begriff lässt zwar meistens offen, um welchen Stil es sich dabei handelt – oft geht auch der fragwürdigste architektonische Eklektizismus noch als „Stil“ durch –, der Begriff schafft aber einen gewissen Abstand zum Massenwohnungsbau der Zeit um 1900, den sogenannten Mietskasernen.
Was an den Bestandsimmobilien häufig am meisten fasziniert, ist zunächst ihre Lage in innerstädtischen Wohngebieten, sodann sind es Raumgrößen und Raumhöhen, die heute bei einem Neubau gar nicht mehr wirtschaftlich herstellbar wären. Auch die Bauausführung – Fassadenschmuck oder Stuckdecken, kunsthandwerklich gearbeitete Türen und Treppen, Holztäfelungen und Ähnliches – kann zu den Qualitätsmerkmalen zählen, die im Neubau üblicherweise nicht mehr zu finden sind. Zu den Nachteilen kann der Zustand der Bausubstanz gehören – dabei weniger die Schäden und Abnutzungen, die man auf den ersten Blick erkennt (Undichtigkeit der Fenster, veraltete Heizungsanlage, Feuchtigkeit im Keller, fehlende Dämmung der Keller- und der obersten Geschossdecke oder Schäden am Dach), sondern jene, die man nicht sofort erkennt (beispielsweise Wärmebrücken