Felsig, karg und hoffnungsgrün. Hildi Hari-Wäfler

Felsig, karg und hoffnungsgrün - Hildi Hari-Wäfler


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innerhalb kürzester Zeit, trotz des hochgewachsenen Grases, das die Arbeit erschwerte. Es war glücklicherweise die Scheune, die lichterloh brannte. Die Feuerwehrleute spritzten auf die Scheune, jedoch nicht, um sie zu retten. Ihre Sorge galt dem Wohnhaus, das dicht daneben stand. Dessen Wände hatten sich bereits auf der dem Feuer zugewandten Seite von der Hitze schwarz verfärbt. So wurden auch auf sie Wasserschläuche gerichtet. Inzwischen warfen freiwillige Helfer den Hausrat planlos über den Sims der Laube ins Freie. Da lagen Bettwäsche, Bettgestelle, Matratzen, Kochgeschirr, kleinere Möbel, Kleider und viele andere Gegenstände wirr durcheinander im Gras und bildeten ein unglaubliches Chaos.

      Als ich von der Schule kam, hatte ich bereits unterwegs etwas vom Brand vernommen. Mir bot sich ein Bild der Verwüstung. Von der Scheune waren nur noch Umrisse zu erkennen, ein hohles, brennendes Gerüst mit Teilen des Daches, der Wände und des Zwischenbodens. Mit fürchterlichem Krach stürzten einzelne Balken Funken stiebend zu Boden. „Gib acht, Hildi“, rief meine vorübereilende Mutter mir zu. „Halte dich fern von der Brandstelle; es ist viel zu gefährlich, in die Nähe zu kommen.“ Es blieb mir keine Zeit, die Frage zu stellen, wie so etwas nur passieren konnte. Auch im Wohnhaus gab es kein ruhiges Plätzchen für mich. Alles schien außer Kurs geraten, nichts funktionierte mehr wie früher. Trotz der vielen Leute um mich herum fühlte ich mich in diesem Moment einsam und verlassen.

      Wie gut, dass es windstill war, sonst wäre es wohl um das Haus geschehen gewesen. Endlich, endlich schienen die Feuerwehrleute das Feuer im Griff und die Gefahr gebannt zu haben.

      Der Rest der Scheune sank in sich zusammen. Glühende Überreste, bereit, beim leisesten Windhauch wieder in Feuer auszubrechen, ragten in die Luft. Ein flüchtiger Blick auf das, was übrig blieb, bestätigte: Da ist nichts mehr zu retten, nichts mehr zu gebrauchen, außer einigen angekohlten Balken, die eventuell noch als Brennholz verwertet werden können, und einigen Dachziegeln, die noch ganz sind.

      Mein Vater arbeitete zu der Zeit in Kandersteg, im Nebental, als ihn die Nachricht erreichte: „Bei dir zu Hause brennt es!“ Er überlegte nicht lange, bestieg sein Fahrrad – mit Rücktrittbremse und ohne Gangschaltung – und sauste die kurvenreiche Straße hinunter in Richtung Frutigen. Dort legte er sich in die Pedale, um die gut 500 Meter Höhendifferenz bis nach Adelboden zu überwinden. Bei unserem Wohnhaus angekommen, stieg er atemlos von seinem „Göppel“. Er hatte die fast dreißig Kilometer, von denen die Hälfte ein steiler Aufstieg war, zurückgelegt, ohne einmal abzusteigen. Mit großem inneren Schmerz musste er sich vom Ausmaß der Katastrophe überzeugen.

      Wie nur konnte dieser Brand ausbrechen? Mutter Rosina war für einen Augenblick außer Haus gewesen. Willi, dem es ohne seine Schwester, die vor kurzem die Schule begonnen hatte, wohl langweilig wurde, beschäftigte sich selbst in einem Nebenraum der Scheune. Da waren so viele interessante Gegenstände und Werkzeuge aller Art beieinander. Plötzlich fiel sein Blick auf einen Haufen Späne, die kürzlich aus der Sägerei geholt worden waren. Mit diesen würde es sich gut spielen lassen. Die mussten ja auch leicht brennen. Nur schnell sehen, wie das funktioniert. Zündhölzer waren in der Küche, etwas erhöht aufbewahrt, mit einem Stuhl erreichbar. Aus dem Spielchen wurde bitterer Ernst.

      Mein Bruder erschrak heftig. Nie hätte er das Ausmaß seines Handelns erahnt. So schnell ihn seine kurzen Beine trugen, sprang er taleinwärts. Nur fort, fort von allem! Die kleine, rundliche Tresi, des Postgodis Frau mit dem lachenden Gesicht und den Grübchen in den Wangen, hielt den verängstigten Buben auf. „Willi, hast du es so eilig? Wohin willst du? Komm doch für einen Augenblick zu mir in die Stube. Ich habe gern Gesellschaft. Du hast sicher Hunger?“ Tresi war ohne Kinder geblieben, aber liebte sie. Beruhigend sprach sie auf Willi ein und stellte ihm ein dick bestrichenes Butterbrot und eine Tasse Milch auf den behäbigen, schweren Tisch aus Eichenholz. Es war eine gemütliche Stube mit einem Trittofen, der im Winter herrlich wärmte und zum Sitzen einlud. Dicke, schwere Balken trugen die Decke. Kleine Fenster mit winzigen Scheiben erhellten den Raum. Rechts oben in der Ecke des Fensters stand mit Zierschrift auf der Scheibe geschrieben: „Anna Zürcher, geb. im Jahre 1759!“

      Es war nicht leicht, Willi zum Reden zu bringen. Dicke Tränen rollten seine Backen herunter. Aus den paar Worten, die nur stockend über seine Lippen kamen, konnte Tresi sich einige unklare Zusammenhänge reimen. Sie war froh, ihn wenigstens hier in Sicherheit zu haben, und teilte dies Mutter mit, damit sie sich nicht noch zusätzliche Sorgen zu machen brauchte. Was hätte wohl auf seiner Flucht alles geschehen können?

      Es war klar, die Scheune musste so bald wie möglich wieder aufgebaut werden. Spätestens im Herbst sollte das Vieh darin untergebracht werden können. Das Heu der bevorstehenden Ernte konnte vorübergehend zu Zuckerstockförmigen Tristen aufgeschichtet werden. Es gab viele zusätzlichen Umtriebe, Abklärungen mit den Versicherungen, langwierige, Zeit raubende Aufräumarbeiten und Pläne für den Neubau.

      Trotz allem atmeten alle erleichtert auf: „Wir hatten unerhörtes Glück. Der Bub ist mit dem Schrecken davon gekommen. Ihm ist glücklicherweise nichts zugestoßen. Wohl ist die Scheune total abgebrannt, aber das Wohnhaus erlitt keinen beträchtlichen Schaden. Die Hand des Höchsten war über uns und bewahrte uns vor Schlimmerem.“ Die Eltern vergaßen nicht, ein herzliches Dankeschön zum Himmel zu schicken.

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      Großmutter Marie Wäfler-Zurbrügg mit Willi und Hildi.

       Fester Halt

      Was meine Eltern in jenen aufregenden Jahren über Wasser hielt, war ihre Liebe zueinander, aber auch ihr unerschütterlicher Glaube an Gott. Meine Mutter hatte sich schon vor ihrem zwanzigsten Lebensjahr dafür entschieden, dass Jesus Christus der Herr über ihrem Leben sein sollte. Das war damals in einer Versammlung der Heilsarmee geschehen. Etwas später ließ sie sich in deren Reihen aufnehmen. Mein Vater kam erst durch Mutter mit dieser Bewegung in Berührung und traf als verheirateter Mann seine Entscheidung für Jesus Christus. Die Veranstaltungen der Heilsarmee fanden in Adelboden zunächst unter einem Zelt statt, später in dieser und jener Wohnstube, dann in einem gemieteten Raum des Restaurant Ochsen und seit 1949 im eigenen Haus am Ahornweg. Vor allem Mutter lehrte uns Kinder schon früh beten. Ihr bedeutete das Gebet sehr viel.

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      Hildi und Willi vor dem Elternhaus.

      Ich selbst machte mit fünf, sechs Jahren meine ersten eigenen Erfahrungen mit dem Gebet. An einem kalten Winterabend sprang ich ohne Kappe draußen herum. In die warme Stube zurückgekehrt, spürte ich heftiges Ohrenweh. Spontan fing ich an zu beten und war dann doch etwas erstaunt, als die Schmerzen augenblicklich verschwanden. Dieses Erlebnis ermutigte mich, Gott immer wieder um Hilfe anzugehen, wenn eine Situation brenzlig wurde. Häufig antwortete er spontan. Später fand ich heraus, dass Gott nicht nur in Notsituationen da war. Auch in guten Zeiten teilt er sich uns Menschen mit.

      Ferien im Engstligental

       Ein Dorf wacht auf

      Meine Eltern versuchten auf alle erdenkliche Art, ihre finanzielle Lage zu verbessern. Da der Fremdenverkehr den Menschen in Adelboden seit einiger Zeit ganz neue Möglichkeiten eröffnete, stellten sich meine Eltern die Frage, ob auch sie davon profitieren könnten.

      Kurz nach der Jahrhundertwende, als Wilhelm und Rosina geboren wurden, war Adelboden daran, sich zu einem bedeutenden Kurort zu entwickeln.

      Doch musste erst so manche schier unüberwindbare Hürde genommen werden, bis es so weit war. Der Weg vom unbekannten, weit abgelegenen, nur zu Fuß erreichbaren Ort im „Wald“ zuhinterst im Engstligental hin zum beliebten Kur- und Ferienort war weit.

      Der Münster Pfarrer Karl Rohr aus Bern und seine Frau waren die Ersten, die Adelboden im Jahr 1872 für sich entdeckten. In den darauf folgenden Jahren verbrachte er seinen Urlaub mit seiner kinderreichen Familie im alten Haus des Lehrers Christian Hari auf dem Schlegeli. Der Fremdenverkehr hatte seinen Anfang genommen.


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