Kinderärztin Dr. Martens Box 1 – Arztroman. Britta Frey
Ich bin schon glücklich, dass ich bis jetzt alles so gut überstanden habe. Ich verspreche dir, dass ich darüber nachdenken werde … Beruhigt?«
»Ja, ich bin beruhigt. Du hast Zeit genug, es dir zu überlegen, denn bis zum Ende der Woche, das sind noch fünf Tage, bleibe ich bei euch. Danach fahre ich wieder zu Vater zurück, denn allzu lange möchte ich ihn nicht allein lassen.«
»Du bist ein Schatz, Mutti. Noch fünf Tage, dann haben Kay und ich ja noch etwas von dir. Weißt du, ich fühle mich ganz gut, und ich möchte eigentlich morgen hinauf in unsere Wohnung, da haben wir beide es etwas gemütlicher. Ich kann über den Tag auf der Couch liegen und mich von dir verwöhnen lassen. Außerdem können wir für die restlichen Tage noch ein zweites Bett in mein Schlafzimmer stellen lassen. Es würde mir guttun, dich einmal ganz in meiner Nähe zu haben, nicht nur hier im Krankenzimmer. Ich werde nachher, wenn Kay kommt, mit ihm darüber reden.«
»Ist es nicht noch ein wenig zu früh, Liebes?«
»Warum sollte es, Mutti? Ich bin heute schon den zweiten Tag fieberfrei. Außerdem habe ich doch Ärzte genug in unmittelbarer Nähe. Ich werde mir bestimmt noch nicht zu viel zumuten.«
»Das will ich wohl auch hoffen, Hanna«, kam da Kays Stimme von der Tür her. Er hatte das Zimmer unbemerkt betreten und die letzten Worte Hannas mitbekommen.
»Schön, dass es dir wieder besser geht. Ich möchte jedoch heute zur Kontrolle noch eine Lungenaufnahme machen. Ich denke doch, dass du mit dieser Maßnahme einverstanden bist. Noch einmal möchte ich die vergangenen Tage, vor allen Dingen die ersten fünf Tage, nicht durcherleben.«
»Natürlich bin ich einverstanden. Sag mir nur Bescheid, wann, dann stehe ich dir zur Verfügung. Ich möchte auch in unsere Wohnung hinauf, damit Mutti es für die paar Tage, die sie ja noch bei uns ist, ein wenig bequemer hat. Liegen kann ich auch oben.«
»Von mir aus, Hanna. Ich weiß ja, dass du jemanden bei dir hast, der schon dafür sorgen wird, dass du dir noch nicht zu viel zumutest. Nicht wahr, Mutti?«
Leonore Martens nickte nur zustimmend, dann sagte sie: »Ich wollte eigentlich noch etwas anderes zur Sprache bringen. Ihr wohnt zwar oben in eurer Wohnung recht gemütlich, aber reicht es euch auf die Dauer gesehen? Vater sagte doch vor einiger Zeit, dass ihr vorhabt zu bauen. Wie sieht es denn mit diesem Vorhaben aus? An den Finanzen kann es doch nicht liegen, oder? Ihr habt beide die Klausel in Opas Testament erfüllt, habt euch eure Existenz aufgebaut. Ihr könnt euch jederzeit euer Erbe auszahlen lassen. Und wir sind ja schließlich auch noch da.«
»Zum nächsten Frühjahr ist Baubeginn, Mutti. Wir haben schon vor längerer Zeit die ersten Vorgespräche mit einem Architekten geführt. Und zwar wollten wir hinten, hinter dem Klinikpark, einen Zweifamilienbungalow bauen lassen. Das Grundstück gehört auch zum Klinikgebäude, also uns. Aber gut Ding will Weile haben. Du kennst das alte Sprichwort, Mutti. Natürlich brauchen wir dazu auch unser Erbteil von Opa. Unsere jetzige Wohnung kann dann von einem unserer Mitarbeiter oder für Pflegepersonal genutzt werden. Bist du zufrieden mit dieser Auskunft?«
»Prima, mein Junge, mehr wollte ich auch nicht wissen«, gab Leonore Martens ihrem Sohn lächelnd zur Antwort.
*
Dann war es so weit. Es war ein sonniger Herbstmorgen, als Hanna ihre Koffer verstaute, um ihre Reise in den Schwarzwald anzutreten.
Bis zuletzt war Kay dagegen, dass Hanna mit dem eigenen Wagen fuhr. Als sie schon die Koffer verstaut hatte, sagte er noch: »Ich bin nicht damit einverstanden, Hanna. So kräftig bist du noch nicht. Die lange Fahrt ist viel zu anstrengend für dich. Willst du es dir nicht noch überlegen und mit dem Zug fahren? Die Reise wäre für dich viel angenehmer und bequemer.«
»Lass nur. Ich bin mit dem Wagen unabhängiger. Außerdem kann ich ja längere Pausen einlegen. Mich treibt doch niemand«, erwiderte Hanna mit einem beruhigenden Lächeln.
»Du musst es wissen, es ist deine eigene Entscheidung. Aber pass gut auf dich auf. Ich möchte dich ja letztendlich gesund und fit wieder hier in Birkenhain erwarten können.«
Mit umwölkter Stirn sah Kay dem Wagen seiner Schwester nach, bis er seinen Blicken entschwunden war, dann ging er ins Klinikgebäude zurück.
Für ein paar Wochen musste es nun ohne Hanna gehen.
Hanna aber freute sich auf die vor ihr liegenden Wochen. Ihr Ziel war der Titisee im Hochschwarzwald, in der Nähe von Neustadt. Sie hatte zwar keine Vorbestellung für ein Zimmer, aber sie war sicher, als Einzelperson eine Unterkunft in einer gemütlichen Familienpension zu bekommen. Doch zunächst lag eine Strecke von etwa sechshundert Kilometern vor ihr.
Körperlich fühlte sich Hanna schon seit Tagen sehr gut, sie hatte keinerlei Beschwerden mehr. Sie fühlte sich nur manchmal noch etwas schwach, kraftlos, aber das würde sich in den kommenden Wochen bei viel Ruhe, guter Luft und kräftigem Essen auch noch geben, dessen war sie sicher.
Nachdem Hanna über die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht hatte, fühlte sie sich trotz der zwei über eine halbe Stunde dauernden Pausen doch ziemlich abgespannt. Sie entschied sich kurzerhand, von der Autobahn abzufahren, in einem hübschen Ort zu übernachten und erst am kommenden Morgen die restliche Strecke bis zum Titisee zu fahren.
Ruhlbach hieß das Dörfchen, in dem sie schließlich halt machte und wo sie sich in einem kleinen Gasthaus des Ortes ein Zimmer nahm.
Sie bestellte sich zuerst eine warme Mahlzeit und legte sich anschließend für zwei Stunden hin. Gegen Abend unternahm sie dann einen langen Spaziergang durch die landschaftlich sehr hübsche Umgebung. Das Dörfchen lag in einem weiten Tal, umgeben von viel Wald. Ein kleines Flüsschen schlängelte sich malerisch mitten durch den Ort. Hanna bedauerte, ihren Fotoapparat nicht mitgenommen zu haben, so hübsch fand sie alles. Als die Dämmerung hereinbrach, ging sie langsam zum Gasthaus zurück. Nach einer leichten Mahlzeit zog sie sich auf ihr Zimmer zurück und legte sich zu Bett, um am nächsten Morgen schon sehr früh frisch und ausgeruht ihre Fahrt fortzusetzen.
Gegen Mittag war sie dann endgültig am Ziel. Der Titisee breitete sich vor ihr aus.
»Zimmer frei«, las Hanna, und über der Tür des hübschen Fachwerkhauses mit den blumengeschmückten Balkonen stand in verschnörkelter Schrift »Pension Waldfrieden«.
Wunderhübsch, dachte Hanna. Sie brachte ihren Wagen zum Stehen und stieg aus. Sie sah sich genau um. Dicht an einem Waldrand geschmiegt lag die Pension. Alles sah recht malerisch aus. Was Hanna jedoch am meisten begeisterte, war der Blick, den man von dieser Stelle aus über den blau schimmernden Titisee hatte. Sie schätzte die Strecke bis zum See so auf die 150 bis 200 Meter. Ja, so hatte sie sich den Ort vorgestellt, an dem sie Urlaub machen würde.
Die Inhaberin der Pension war eine hübsche, sehr gepflegte Frau, die Hanna auf etwa vierzig Jahre schätzte.
Mit Marlies Korf stellte sie sich Hanna vor und führte sie in ein sehr wohnlich eingerichtetes Zimmer mit Balkon und Blick auf den See.
»Gefällt es Ihnen, Frau Dr. Martens?«
»Es ist wunderschön, Frau Korf. Ich glaube, bei Ihnen werde ich mich sehr wohlfühlen. Haben Sie viele Gäste?«
»Zurzeit nur sechs, aber die restlichen vier Zimmer, außer diesem hier, werden wohl zum Wochenende auch belegt werden. Es sind elf Zimmer, die wir vermieten können. Es ist also in der Regel bei uns immer verhältnismäßig ruhig.«
»Ich nehme das Zimmer, Frau Korf. Ein ruhiges Haus kommt meinen Wünschen sehr entgegen. Ich möchte mich nach einer Erkrankung erholen«, gab Hanna mit einem herzlichen Lächeln zurück.
Sehr rasch waren die Formalitäten erledigt, und Klaus Korf, der vierzehnjährige Sohn des Hauses, brachte Hanna das Gepäck ins Zimmer hinauf. Dann war sie erst einmal allein.
Nachdem sie ausgepackt und sich ein wenig erfrischt hatte, ging sie in das Zimmer und richtete sich ein. Danach zog es sie auf den Balkon hinaus, und sie genoss den wunderbaren Ausblick. Sie war plötzlich sehr glücklich, den Rat der Mutter befolgt zu haben. Sie bereute ihren Entschluss nicht.
*