Kinderärztin Dr. Martens Box 1 – Arztroman. Britta Frey

Kinderärztin Dr. Martens Box 1 – Arztroman - Britta Frey


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Bis um elf Uhr hatte man Zeit für das Frühstück. Wer wollte, konnte auch die anderen Mahlzeiten im Haus einnehmen, musste diese aber am Abend zuvor anmelden.

      Hanna hatte von Beginn an Frühstück und Mittagsmahlzeit bestellt. Eine leichte Abendmahlzeit bekam sie immer irgendwo, wenn sie mit dem Wagen oder zu Fuß unterwegs war.

      Die Pensionsinhaberin Marlies Korf, ihr Mann Manfred sowie der vierzehnjährige Sohn Klaus und die zwei Jahre jüngere Tochter Amelie waren sehr nette Menschen. Es war so, wie Marlies Korf es am ersten Tag gesagt hatte, ein ruhiges Haus.

      Schon ein paar Mal war Hanna auf ihren Spaziergängen ein Mann aufgefallen, der genau wie sie lange Spaziergänge unternahm. Anfang dreißig schätzte sie sein Alter. Er hatte aber immer einen kleinen zarten Jungen bei sich, der kaum älter als sechs Jahre sein konnte, vielleicht sogar noch jünger. Der junge Mann war wohl der Vater des Jungen, dafür sprach die große Ähnlichkeit. Der Mann hatte dichtes schwarzes Haar, das ihm leicht gewellt in die Stirn fiel und Hanna ein wenig an ihren Bruder Kay erinnerte.

      Schlank, hochgewachsen, war er ein äußerst gut aussehender Mann, der Hanna sehr sympathisch war. Der Junge hatte das gleiche schwarze wellige Haar. Ihr Interesse als Ärztin erwachte, da der zarte Junge einen kranken Eindruck machte.

      Vater und Sohn mussten wohl ganz in der Nähe wohnen, denn fast jeden Tag liefen sie Hanna irgendwo über den Weg. Ein wenig wunderte sich Hanna auch darüber, dass niemals eine Frau bei den beiden war. Immer waren sie allein. Aber Hanna sah noch mehr. Sie sah auch, wie liebevoll dieser Vater mit dem Jungen umging, und langsam keimte der Wunsch in ihr auf, die beiden näher kennenzulernen. Aber sie konnte ja nicht gut einen fremden Mann ansprechen.

      Eine Woche hatte Hanna hinter sich. Es waren Tage gewesen, die ihr so richtig gutgetan hatten.

      Am Sonntagnachmittag, einem herrlichen, sonnigen Herbsttag, war Hanna wieder am See unterwegs. Als sie ein hübsches, dicht am See gelegenes Strandcafé sah, beschloss sie, ein Weilchen zu bleiben.

      Sie suchte sich einen Platz, von dem aus sie einen guten Ausblick hatte, und bestellte sich ein Kännchen Kaffee und ein Stück Kuchen.

      Während sie dem Treiben auf dem vor ihren Augen sich ausbreitenden blau schimmernden Wasser des Titisees zuschaute, entstand plötzlich seitlich der Terrasse Bewegung. Passanten blieben stehen und lenkten auch ihre Aufmerksamkeit vom See ab.

      Plötzlich sah Hanna durch eine schmale Gasse der Passanten, wie sich ein Mann bückte und einen kleinen Jungen hochhob. Ihr Herz begann unwillkürlich zu klopfen, als sie erkannte, dass es sich um den sympathischen jungen Mann handelte, der schon seit Tagen ihr Interesse erregte. Im nächsten Moment erkannte sie jedoch auch bestürzt, dass der Junge bewusstlos war. Rasch erhob sie sich, um ihre Hilfe als Ärztin anzubieten. Da kam er auch schon mit seiner leichten Last auf die Terrasse des Strandcafés zu, wohl um Hilfe zu suchen.

      Hanna trat ihm entgegen und sagte: »Mein Name ist Martens, ich bin Kinderärztin. Kann ich Ihnen helfen? Kommen Sie, der Junge muss liegen, damit ich ihn untersuchen kann.«

      Sie wandte sich an die Kellnerin, die zu ihnen trat, und fragte freundlich: »Haben Sie vielleicht einen Raum, in dem wir den Jungen hinlegen können? Ich bin Kinderärztin, und es handelt sich, wie Sie sehen können, um einen Notfall.«

      »Bitte, Frau Doktor, wenn Sie mir folgen wollen.«

      Das junge Mädchen führte Hanna und den jungen Mann mit dem Jungen in einen als Büro eingerichteten Raum, in dem auch eine Liege stand.

      Während Hanna ihn untersuchte, kam der Kleine wieder zu Bewusstsein und sah sie voller Angst an.

      »Ganz ruhig, mein Kleiner, ich tu dir nichts, ich will dir nur helfen«, sagte sie mit weicher Stimme und lächelte ihn beruhigend an.

      »Ist das schon öfter passiert?«, fragte sie dann und sah den Vater des Jungen fragend an.

      »Nein, so schlimm war es noch nie. Bitte, sagen Sie mir, was meinem Jungen fehlt. Er ist plötzlich ohne ein erkennbares Vorzeichen einfach umgekippt.« Die Stimme des jungen Mannes klang aufs Äußerste erregt.

      »Der Junge, Herr …«

      »Oh, bitte, entschuldigen Sie, Frau Dr. Martens. Mein Name ist Berkel, Knut Berkel, und der Junge ist mein Sohn Sven«, unterbrach der junge Mann Hanna, und eine dunkle Röte stieg in sein Gesicht.

      »Es ist das Herz Ihres Jungen, Herr Berkel. Er gehört dringend in die Behandlung eines guten Arztes. Sie sollten damit auch nicht zu lange warten. Es gibt doch hier in der Umgebung sicher einen guten Arzt, den Sie kennen. Genaues kann ich nicht feststellen, und mein Arztkoffer befindet sich in meiner Pension.«

      »Ich kenne hier keinen Arzt, Frau Dr. Martens, ich bin fremd in dieser Gegend. Ich verbringe hier mit meinem Sohn, der seit einiger Zeit kränkelt, einen längeren Urlaub. Ich weiß nicht, ob es sehr vermessen von mir ist, wenn ich Sie darum bitte, meinen Sohn noch einmal zu untersuchen, und wenn keine unmittelbare Lebensgefahr besteht, ihn in den nächsten vierzehn Tagen hier zu behandeln. Aus Gründen, die ich Ihnen im Augenblick nicht näher erklären kann, möchte ich, wenn es nicht unbedingt sein muss, unseren Aufenthalt nicht abbrechen. Ich lebe normalerweise in Hannover, und ein guter Freund von mir hat hier sein Ferienhaus für ein paar Wochen zur Verfügung gestellt.«

      War es das Mitleid mit dem Jungen oder dieser seltsame Ausdruck, der bei seinen Worten in seinen Blicken zu lesen war? Hanna nahm sich nicht die Zeit, lange darüber nachzudenken. Vielleicht war es auch der plötzliche Wunsch, ihn näher kennenzulernen, der sie antworten ließ: »Wenn ich helfen kann, gern, Herr Berkel. Bis zu meiner Pension ist es nicht allzu weit. Ich bezahl nur rasch meinen Verzehr, dann können wir gehen. Von meiner Pension aus kann ich Sie und den Jungen zu Ihrer Unterkunft fahren. Solange ich nicht weiß, was Ihrem Jungen genau fehlt, sollten Sie vorsichtig sein und den Jungen nicht laufen lassen.«

      »Das würde ich nicht zulassen, nicht wahr, mein Junge?«

      Liebevoll fuhr Knut Berkel seinem Jungen über den schwarzen Schopf.

      »Wir können es auch noch anders machen, Herr Berkel. Sie bleiben mit Ihrem Jungen hier, und ich hole meinen Wagen. Und du, kleiner Mann, kannst ja während der Zeit eine Schokolade trinken. Die magst du doch sicher gern. Und du musst keine Angst haben. Sobald ich genau weiß, was dir fehlt, holt dein Vati aus der Apotheke die richtige Medizin, und es wird dir besser gehen«, sagte Hanna zum Abschluss zu dem Jungen.

      »Ich habe keine Angst, Frau Doktor, ich bin doch schon acht Jahre alt«, kam es tapfer über die Lippen des Jungen, und doch konnte er den ängstlichen Ausdruck in seinen Blicken nicht verbergen. Hanna übersah es und sagte liebevoll: »Soso, Sven, du bist schon acht Jahre alt. Dann bist du ja schon ein großer Junge. Jetzt sei schön brav, ich komme dich in wenigen Minuten mit deinem Vati hier abholen. Wir sehen uns dann an, wie krank dein Herz wirklich ist.«

      »Ich danke Ihnen, Frau Dr. Martens, dass Sie sich meines Jungen annehmen wollen«, kam es mit rauer Stimme von Knut Berkels Lippen.

      »Ich bin Kinderärztin, Herr Berkel. Es ist mein Beruf, kranken Kindern zu helfen.«

      Hanna nickte Knut Berkel noch einmal lächelnd zu und lief hinaus.

      Auf der Terrasse beglich sie noch ihre Rechnung, danach ging sie zur Pension Waldfrieden, um ihren Arztkoffer und ihren Wagen zu holen.

      *

      Es war eines für den Schwarzwald typischen Ferienhäuser, eines der sehr hübschen Nurdachhäuser, das Knut Berkel mit seinem kleinen Sohn bewohnte.

      »Hübsch haben Sie es hier, Herr Berkel. So ein Häuschen würde mir auch gefallen. Aber zuerst will ich mich einmal um Sven kümmern.«

      Mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln untersuchte Hanna den Achtjährigen so gründlich, wie es ihr möglich war. Sie stellte bei dem Jungen eine Herzschwäche, eine Herzinsuffizienz fest, deren Ursache herauszufinden es klinischer Apparate bedurfte. Mit bestimmten Medikamenten konnte sie ihm nur vorübergehend helfen. Aber eine unmittelbare Lebensgefahr bestand nicht.

      Wie von einer schweren Last befreit, atmete Knut Berkel auf und schüttelte


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