Das Ende des Wachstums. Richard Heinberg
drei Faktoren zusammentreffen: die Erschöpfung der Ressourcen, die Belastung der Umwelt und Fehlfunktionen im Finanzwesen und Währungssystem. Doch ein einzelner Faktor könnte eine Schlüsselrolle dabei spielen, das Zeitalter des Wachstums zu beenden. Und dieser Faktor ist das Öl.
Erdöl hat zentrale Bedeutung in der modernen Welt – im Verkehrsund Transportwesen, in der Landwirtschaft, der Chemie und der Materialentwicklung. Die Industrielle Revolution war tatsächlich die Revolution der fossilen Brennstoffe, und das anhaltende Wirtschaftswachstum – einschließlich der Entwicklung der Finanzinstitutionen, die Wachstum fördern, wie etwa das Mindestreservesystem – basiert letztlich auf der immer weiter wachsenden Zufuhr von billiger Energie. Wachstum erfordert mehr Produktion, mehr Handel und mehr Transport, und all das verlangt wiederum mehr Energie. Wenn die Energieversorgung nicht mehr ausgeweitet werden kann und die Energie darum deutlich teurer wird, wird das Wirtschaftswachstum stocken, und die auf die Erwartung ewigen Wachstums gegründeten Finanzstrukturen werden zusammenbrechen.
Bereits im Jahr 2000 diskutierte der Geologe und Erdölexperte Colin Campbell folgendes Peak-Oil-Szenario:14 Um das Jahr 2010 herum wird das Angebot an Öl stagnieren oder sinken, dadurch werden die Preise stark steigen und schwanken, und das wiederum wird einen weltweiten wirtschaftlichen Zusammenbruch herbeiführen. Die wirtschaftliche Krise wird einen scharfen Rückgang der Nachfrage nach Energie bewirken, und die Ölpreise werden fallen. Aber sobald sich die Wirtschaft wieder erholt hat, wird auch die Nachfrage nach Öl wieder wachsen, die Preise werden wieder steigen, und in der Folge wird die Wirtschaft erneut kollabieren. Dieser Kreislauf wird so weitergehen, und dabei wird jede Erholungsphase kürzer und schwächer ausfallen als die letzte und jeder Einbruch tiefer und härter, bis die Wirtschaft in Trümmern liegt. Finanzsysteme, die auf der Annahme von anhaltendem Wachstum gründen, werden kollabieren, und das wird größere soziale Verheerungen anrichten als die Ölpreisspitzen.
Grafik 7. Ölproduktion weltweit.
Quelle: Colin Campbell, persönliche Mitteilung.
Bis es soweit ist, werden nach diesem Szenario die stark schwankenden Ölpreise Investitionen in alternative Energiequellen hemmen: In einem Jahr ist Öl so teuer, daß nahezu jede andere Energiequelle im Vergleich dazu sich billig ausnimmt. Im nächsten Jahr ist der Ölpreis wieder so weit gefallen, daß die Verbraucher zum Öl zurückkehren und Investitionen in andere Energiequellen unsinnig erscheinen. Aber niedrige Ölpreise werden die Suche nach neuen Ölvorkommen bremsen, was zu noch schlimmeren Engpässen führt. Auf jeden Fall werden die Mittel für Investitionen knapp sein, weil die Banken nach dem Zusammenbruch insolvent sind und die Regierungen wegen rückläufiger Steuereinnahmen kein Geld haben. Unterdessen könnte die internationale Konkurrenz um die schwindenden Ölreserven bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Ölimportländern, zwischen Importeuren und Exporteuren und zwischen rivalisierenden Fraktionen innerhalb von Exportländern verursachen.
Unmittelbar nach der Jahrtausendwende verkündeten viele Experten, neue Technologien zur Rohölgewinnung würden es möglich machen, aus jeder Quelle mehr Öl zu fördern, und enorme Vorkommen alternativer Kohlenwasserstoffressourcen (hauptsächlich Teersande und Ölschiefer) könnten erschlossen werden und nahtlos das konventionelle Öl ersetzen, was den unvermeidlichen Peak um Jahrzehnte hinausschieben werde. Außerdem gab es die Stimmen derjenigen, die sagten, der Peak Oil werde kein größeres Problem darstellen, selbst wenn er in absehbarer Zeit kommen sollte, weil der Markt schnell genug andere Energiequellen und Transportmittel finden würde – etwa Flüssigtreibstoffe aus Kohle oder Elektro- und Wasserstoffautos.
Der Gang der Ereignisse seither scheint das Peak-Oil-Szenario zu bestätigen und die Auffassung der Öloptimisten zu widerlegen. Der Ölpreis kletterte stetig weiter – und aus vollkommen nachvollziehbaren Gründen: Immer weniger neue Ölfelder wurden entdeckt, und die Erschließung der meisten neuen Felder war viel schwieriger und teurer als die der früher entdeckten. Mehr und mehr ölproduzierende Länder erlebten, daß ihre Förderquoten einen Höhepunkt überschritten und dann zurückgingen, trotz aller Bemühungen, das Produktionswachstum durch den Einsatz neuer, kostspieliger Fördermethoden wie Einpressen von Wasser, Stickstoff oder Kohlendioxid zu erhalten. Auf den alten, gigantischen Ölfeldern der Erde, die den Löwenanteil der weltweiten Ölfördermenge liefern, beschleunigte sich der Rückgang der Produktion. Gleichzeitig wuchs die Produktion von Flüssigbrennstoffen aus Teersanden nur langsam, und die Ausbeutung von Ölschiefer ist immer noch ein leeres Versprechen für die ferne Zukunft.15
Von der erschreckenden Theorie zur noch erschreckenderen Realität
Im Jahr 2008 wurde das Peak-Oil-Szenario auf einmal sehr real. Die weltweite Ölproduktion stagnierte seit 2005, die Preise waren in die Höhe geschnellt. Im Juli kostete ein Barrel Öl fast 150 Dollar – um die Hälfte mehr (inflationsbereinigt) als beim »Ölpreisschock« in den 1970er Jahren, der die schlimmste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst hatte. Im Sommer 2008 wankten die PKW- und LKW-Industrie, das internationale Transportwesen, die Landwirtschaft und die Fluggesellschaften.
Aber was dann passierte, fesselte die weltweite Aufmerksamkeit derart, daß die Ölpreise bald vergessen waren: Im September 2008 stand das Weltfinanzsystem vor dem Zusammenbruch. Am meisten diskutiert als Gründe für die plötzliche, massive Krise wurden Immobilienblasen, fehlende Regulierung der Banken und die Schwemme seltsamer Finanzprodukte, die fast niemand mehr richtig verstand. Tatsächlich spielte aber auch der Ölpreis eine wichtige (wenngleich häufig übersehene) Rolle als Auslöser des ökonomischen Kollapses.16
Nach dieser Nahtoderfahrung des globalen Finanzsystems sah es so aus, als würden das ein Jahrzehnt zuvor beschriebene Peak-Oil-Szenario und das Standard-Szenario aus Die Grenzen des Wachstums von 1972 mit geradezu unheimlicher und erschreckender Präzision eintreffen. Der weltweite Handel brach ein. Die größten Automobilproduzenten der Welt rangen ums Überleben. Die US-Flugzeugindustrie war um fast ein Viertel geschrumpft. In armen Ländern überall auf dem Globus brachen Hungerrevolten aus. Kriege im Irak (dem Land mit den zweitgrößten Rohölvorkommen weltweit) und in Afghanistan (dem Standort umstrittener Öl- und Gaspipeline-Projekte) leerten die Kassen der wichtigsten erdölimportierenden Länder der Welt immer weiter.17
Unterdessen bot die anhaltende Debatte, was getan werden könnte, um den weltweiten Klimawandel aufzuhalten, ein Beispiel der politischen Untätigkeit, die die Welt seit den frühen 1970er Jahren auf den Weg ins Verderben gebracht hatte. Inzwischen lag es für die große Mehrheit der Menschen, die mit den wissenschaftlichen Daten vertraut waren, auf der Hand, daß die Welt zwei dringende, unabweisbare Gründe hat, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu beenden: einerseits die drohende Klimakatastrophe, andererseits die schrumpfenden Brennstoffvorräte. Doch bei der großen internationalen Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009 traten die Prioritäten der meisten vom Erdöl abhängigen Länder klar zutage: Begrenzung von Kohlenstoffemissionen und weniger Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, aber nur, wenn dadurch das Wirtschaftswachstum nicht in Gefahr gerät.
Grafik 8. Weltmarktpreise für Rohöl, 2000–2011.
Quelle: US Energy Information Administration.
Platzende Blasen
Wie wir in den Kapiteln 1 und 2 sehen werden, hatten die Erwartungen, daß das Wachstum anhalten werde, in früheren Jahrzehnten zu einer gewaltigen Verschuldung von Konsumenten und Staaten geführt. Ein immer geringerer Teil von Amerikas Wohlstand kam durch die Erfindung neuer Technologien und die Herstellung von Konsumgütern zustande, ein immer größerer Teil durch den Kauf und Verkauf von Häusern oder durch das Verschieben von Geld von einer Anlage zur nächsten.
Während das neue Jahrhundert heraufdämmerte, taumelte die Weltwirtschaft von Blase zu Blase: von der