Das Ende des Wachstums. Richard Heinberg

Das Ende des Wachstums - Richard Heinberg


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um mehr herzustellen. Und das ermöglicht mehr Wirtschaftswachstum.

      Neue Energiequellen zu finden und die Effizienz zu steigern sind unbestritten wirksame Strategien in einer Marktwirtschaft. Trotzdem bleibt die Frage, wie lange diese Strategien in der realen Welt funktionieren können – denn dort herrschen nicht ökonomische Theorien, sondern die Gesetze der Physik. In der realen Welt gibt es für manche Dinge einfach keinen Ersatz, oder der Ersatz ist zu teuer oder nicht so gut oder nicht schnell genug verfügbar. Und für die Effizienz gilt das Gesetz abnehmender Renditen: Die ersten Effizienzgewinne sind in der Regel billig, aber jedes weitere Stück Gewinn kostet mehr, bis irgendwann die Gewinne so teuer werden, daß es sich nicht mehr lohnt.

      Letztendlich können wir nicht mehr als 100 Prozent der Produktion auslagern, können wir Waren nicht ohne Energieeinsatz transportieren, und wir können nicht die Arbeitskraft von Menschen in Anspruch nehmen und auf ihre Kaufkraft zählen und ihnen gleichzeitig nichts bezahlen. Anders als den meisten Ökonomen ist den meisten Physikern bewußt, daß Wachstum in einem funktionierenden begrenzten System eines Tages enden muß.

       E.2DIE WACHSTUMSZAHLEN FRISIEREN

      Sind regierungsamtliche Zahlen genau und verläßlich? Nicht, wenn man dem Betreiber von shadowstats.com, dem Ökonomen John Williams, glaubt. Nach der »ausführlichen Erforschung von Geschichte und Wesen der Erhebung wirtschaftlicher Kennzahlen und vielen Interviews mit maßgeblichen Personen, die von Anfang an bis heute mit amtlichen Statistiken zu tun hatten«, begann Williams seine eigenen Daten zu sammeln und auf seiner Website zu veröffentlichen. In manchen Fällen, so etwa bei der Arbeitslosenstatistik, betont er einfach die Diskrepanz zwischen aktuellen Definitionen und Erhebungsweisen und früheren: Würden die Arbeitslosenzahlen heute genauso erhoben wie in den 1970er Jahren, lägen die aktuellen Zahlen in der Größenordnung von 16 bis 18 Prozent statt bei den offiziell genannten 9 bis 10 Prozent (zum Beispiel werden heute Menschen, die die Suche nach einem Arbeitsplatz aufgegeben haben, nicht mehr als »arbeitslos« geführt).

      Die Alternativzahlen von Shadowstats bei der Inflation sind immer höher als die von der Regierung genannten Zahlen, während die Wachstumsraten des BIP regelmäßig niedriger sind.

      Zu den Zahlen in Grafik 4 schreibt Williams: »Die SGS-Zahlen (SGS – Shadow Government Statistics, auf shadowstats.com; Anm. d.Übers.) beim BIP zeigen die inflationsbereinigte oder reale Veränderung des BIP von Jahr zu Jahr, bereinigt um Verzerrungen der regierungsoffiziellen Inflationsrate und methodische Änderungen, die dazu geführt haben, daß die offiziellen Zahlen zu niedrig sind.«

      All das wirft die Frage auf: Wie viel von der wirtschaftlichen Erholung ist in Wahrheit »Schall und Rauch«?

      Die einfache Berechnung von exponentiellem Wachstum

      Im Grunde ist die Aussage, daß das Wachstum irgendwann enden wird, todsicher richtig: Wenn etwas kontinuierlich um einen bestimmten Prozentsatz pro Jahr wächst, bedeutet dies, daß es alle soundsoviel Jahre seine Größe verdoppeln wird; je höher der Prozentsatz, desto schneller die Verdoppelung. Eine grobe Methode, die Zeit bis zur Verdoppelung abzuschätzen, ist die 70er Regel: Wenn man 70 durch den Prozentsatz des Wachstums teilt, gibt das Ergebnis annähernd an, wie lange es dauert, bis sich die ursprüngliche Menge verdoppelt hat. Wächst eine Menge um 1 Prozent jährlich, verdoppelt sie sich in 70 Jahren, bei 2 Prozent in 35 Jahren, bei 5 Prozent dauert es nur 14 Jahre und so weiter. Genauere Ergebnisse können Sie mit der Potenztaste Ihres Taschenrechners errechnen, aber für die meisten Zwecke genügt die 70er-Regel.

      Hier ein Beispiel aus der realen Welt: In den letzten 200 Jahren ist die Erdbevölkerung mit Raten von unter 1 Prozent bis über 2 Prozent jährlich gewachsen. Im Jahr 1800 lebten rund eine Milliarde Menschen auf der Erde, 1930 waren es bereits doppelt so viele. Innerhalb von nur 30 Jahren (bis 1960) verdoppelte sich die Weltbevölkerung erneut auf 4 Milliarden, gegenwärtig sind wir auf dem Weg zur dritten Verdoppelung auf 8 Milliarden, die um das Jahr 2025 erreicht sein dürften. Niemand erwartet ernsthaft, daß die Menschheit über Jahrhunderte so weiterwächst. Aber stellen wir uns einmal vor, es wäre so, und nehmen wir eine Wachstumsrate von 1,3 Prozent jährlich an (das ist die Rate des Jahres 2000). Im Jahr 2780 gäbe es dann 148 Billionen Menschen auf der Erde – ein Mensch pro Quadratmeter Land auf der Oberfläche unseres Planeten.

      Grafik 4. Wachstum des US-BIP, offiziell vs. Angaben von Shadowstats, 2000–2010. Die offiziellen Zahlen stammen vom Bureau of Economic Analysis, die alternativen Zahlen von Shadow Government Statistics. Beide Datensätze sind inflationsbereinigt.

      Quelle: Shadow Government Statistics, American Business Analytics & Research LLC, shadowstats.com.

      Grafik 5. Arbeitslosenquote, offiziell vs. Angaben von Shadowstats, 2000–2010 (saisonbereinigt). Die SGS-Angabe spiegelt die aktuelle Methode der Erhebung der Arbeitslosenzahlen wider, bereinigt um den erheblichen Anteil der »Entmutigten«, die seit 1994 nicht mehr berücksichtigt werden. Die Quote U-6 des Bureau of Labor Statistics schließt sowohl kurzfristig als auch langfristig Entmutigte (weniger bzw. mehr als ein Jahr) ein sowie instabil Beschäftigte. (U-3 ist die offizielle Arbeitslosenquote; Anm. d. Übers.).

      Quelle: Shadow Government Statistics, American Business Analytics & Research LLC, shadowstats.com.

       Grafik 6. Wachstum der Weltbevölkerung, 1000–2010.

      Quelle: Abteilung Bevölkerungsfragen der Hauptabteilung Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten des UN-Sekretariats, »World Population Prospects: The 2008 Revision« (Bevölkerungszahlen für 2009–2010 als Prognose auf der Grundlage der Zahlen von 2008).

      Natürlich wird es nicht so kommen.

      In der Natur trifft das Wachstum früher oder später immer auf unüberwindliche Hindernisse. Wenn die Nahrungsquellen einer biologischen Art zunehmen, wird die Zahl ihrer Individuen dank der zusätzlichen Kalorien wachsen – aber mehr Mäuler werden die Nahrungsquellen erschöpfen, und auch ihre Feinde werden zahlreicher (weil es mehr leckere Mahlzeiten für sie gibt!). Auf »Blütezeiten« von Populationen (oder Phasen mit raschem Wachstum) folgen fast immer Einbrüche mit hoher Sterblichkeit.13

      Und noch ein weiteres Beispiel aus der realen Welt. In den letzten Jahren ist die chinesische Wirtschaft um 8 Prozent jährlich und mehr gewachsen, was bedeutet, daß sie sich ungefähr alle zehn Jahre verdoppelt. China verbraucht heute mehr als doppelt soviel Kohle wie vor zehn Jahren – bei Eisenerz und Erdöl ist es genauso. In China gibt es heute viermal so viele Autobahnen und fast fünfmal so viele Autos. Wie viele Verdoppelungen sind noch möglich, bis China seine Schlüsselressourcen erschöpft hat – oder beschließt, daß es genug ist, und nicht mehr wächst? Man kann die Frage schlecht mit einer bestimmten Zahl beantworten, aber wahrscheinlich wird es keine sehr große Zahl sein.

      Diese Diskussion hat sehr reale Implikationen, weil Wirtschaft nicht nur ein abstraktes Konzept ist. Sie bestimmt darüber, ob wir in Luxus oder Armut leben, ob wir zu essen haben oder hungern. Wenn das Wirtschaftswachstum endet, werden alle betroffen sein, und die Gesellschaften werden Jahre brauchen, um sich an die neuen Bedingungen anzupassen. Deshalb ist es wichtig zu wissen, ob dieser Augenblick kurz bevorsteht oder noch weit in der Ferne liegt.

      Das Peak-Oil-Szenario


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