Yoga trifft Coaching. Sandra Walkenhorst

Yoga trifft Coaching - Sandra Walkenhorst


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Körper und unser Gehirn funktioniert im Groben noch genauso wie in der Steinzeit. Schon damals war es für uns überlebenswichtig, beispielsweise guter von schlechter Nahrung zu unterscheiden, und diese auch zu bewerten. Angst ist ebenfalls ein guter Ratgeber, denn sie macht uns achtsam und vorsichtig, solange sie in einem gesunden Maß vorhanden ist. Deshalb geht es auch nicht darum, dies abzuschalten. Wir sollten uns bewusst werden, welche alten Glaubenssätze und Denkmuster wir haben, um nicht ihnen alleine die Regie in unserem Leben zu übergeben. Wie das gehen kann, erfährst du im Verlauf des Buchs.

      4.2Die Macht der Gewohnheit

      Warum fällt es uns so schwer, Altes loszulassen? Um das zu verstehen, ist es hilfreich, zu wissen, wo unsere Gewohnheiten herkommen und wie sie sich entwickeln.

      Als ich vor mehr als 20 Jahren mit Yoga begann, tat ich das hauptsächlich, um meine Gesundheit zurückzuerlangen. Nach einem doppelten Bandscheibenvorfall wollte ich eine Operation vermeiden. Das Fitnessstudio war nicht so ganz mein Ding und so landete ich beim Yoga. Hier erhoffte ich mir, meinen Körper zu stärken und zu dehnen und wenn ich nebenbei ein bisschen entspannen konnte, – auch schön.

      Den wirklichen Weg und die Erkenntnis, die Yoga uns geben kann, hatte ich damals bei Weitem noch nicht erfasst. Für mich war Yoga ein Hilfsmittel, meinen Körper zu bearbeiten und mich zu entspannen. Hier wird meine damalige Sichtweise deutlich: Ich wollte, dass Yoga etwas für mich tut und es nutzen (um schmerzfrei zu sein, beweglicher zu werden, entspannter zu werden).

      Mein Denken entsprach dem Denken vieler Menschen unserer Gesellschaft: Ich habe ein Problem, das muss behoben/repariert werden – in dem Fall soll Yoga das tun. Daran ist nichts verwerflich, denn es ist menschlich. Unser Gehirn funktioniert so. In der Psychologie spricht man hierbei auch vom „Maschinenmodell“. Der Körper gleicht also einer Maschine, die repariert werden muss.

      Da mir damals die philosophische Grundlage im Yoga noch weitgehend unbekannt war, war mir (trotz pädagogischer Ausbildung mit psychologischem Schwerpunkt) noch nicht so wirklich klar, dass Veränderung nur in mir und durch mich stattfinden kann. Ist es doch um ein Vielfaches leichter, die Schwierigkeiten im Außen zu suchen und abzugeben.

      „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“, ist ein weitverbreitetes Sprichwort und trifft im Wesentlichen den Kern menschlichen Verhaltens. Die westliche Psychologie hat viel geforscht, um den menschlichen Geist besser verstehen zu lernen. Warum und wieso sind bzw. werden wir wer und wie wir sind? Bei der näheren Auseinandersetzung mit dem Thema bin ich immer wieder auf eine für mich sehr faszinierende Erkenntnis gestoßen: Die moderne Psychologie sowie die Neurowissenschaften und die jahrtausendealte Philosophie des Yoga stimmen in vielem überein, vor allem in den Kernaussagen. Das folgende Zitat gilt zwar dem Yogaweg, jedoch lässt es sich meines Erachtens ebenso problemlos auf die Psychotherapie bzw. Weiterentwicklung des Menschen anwenden!

      „Das eigentliche Üben findet innen statt. Das Wie meines Übens, die innere Haltung mir selbst und den Übungen gegenüber, kurzum der Geist meiner Praxis entscheidet darüber, wie stark sich die verändernde Kraft des Yoga entfalten kann“ (Unger & Hofmann-Unger, 2013, S. 96/97).

      Doch zurück zu den Gewohnheiten. Gewohnheiten entstehen nicht alleine durch unsere willentliche Aneignung von Wissen, sondern durch alle Erfahrungen, die zu einer Veränderung unseres Erlebens und Verhaltens beitragen. Wobei der Begriff des Verhaltens nicht nur das nach außen sichtbare Handeln (z. B. sprechen, etwas hochheben etc.) meint, sondern auch unsere Gedanken, Gefühle und physiologischen Funktionen. Anhand verschiedener Lernmodelle kann dies heute anschaulich erklärt werden. Vier der wichtigsten Lerngesetze sollen hier kurz erwähnt werden:

      Reiz-Reaktions-Kopplung: ein erworbenes Verhaltensmuster, welches meist weder ziel- noch lösungsorientiert ist. Es entsteht, indem, aufgrund einer gemachten Erfahrung, eine Reaktion an das damalige Signal gekoppelt wird (z. B. ich habe mich einmal nach Spaghetti übergeben, in Zukunft esse ich möglicherweise keine Spaghetti mehr, da mir schon beim Gedanken daran übel wird).

      Lernen durch Konsequenzen: Lernen durch (positive) Verstärkung bzw. Bestrafung

      Lernen am Modell: Kinder imitieren z. B. ein Verhalten, je enger die emotionale Bindung an die Person ist, desto höher ist meist der Lernerfolg.

      Selbstverstärkung: sich selbst loben.

      4.3Bewusst oder unbewusst – das ist hier die Frage

      Wenn wir uns auf den Weg machen, unser Selbst zu ergründen und uns näher kennenzulernen, dann macht es durchaus Sinn, ein wenig über unsere Physiologie zu wissen, genau genommen über unser Gehirn. Gerald Hüther (2010), einer der bekanntesten Hirnforscher in unserem Land, beschreibt es relativ simpel: Unser Gehirn möchte sich in einem kohärenten Zustand befinden. Das bedeutet, dass es möglichst wenig Energie aufwenden muss. Das ist mit ein Grund dafür, dass ein Großteil unsere Handlungen unbewusst abläuft. In einem Gespräch mit dem Magazin Focus nennt Hüther zwei einfache Fragen, wie wir unser Selbst entdecken und sozusagen Herr über unser Gehirn werden:

      Was will ich für ein Mensch sein?

      Wozu will ich dieses Leben nutzen?

      (https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/gerald-huether-im-gespraechhirnforscher-entwickelt-gluecksformel-dafuer-muss-sich-jeder-zwei-fragen-stellen_id_10201786.html)

      Zwei Fragen, die uns auch in der Yogaphilosophie beschäftigen und sich ebenfalls wunderbar in die Arbeit mit Menschen integrieren lassen. Doch wie werden wir zu dem Menschen, der wir sind und was hat das mit unserem Gehirn zu tun?

      Der Neurowissenschaftler und Psychotherapeut Joachim Bauer (2019) schreibt in seinem Buch Wie wir werden, wer wir sind: „Der Mensch ist aus neurowissenschaftlicher Sicht dafür gemacht, am Du zum Ich zu werden“ (S. 36). Bauer geht davon aus, dass sich unser Selbst entwickelt, indem wir in Resonanz mit unseren Bezugspersonen treten. Kinder brauchen verlässliche, liebevolle Bindungspartner, die sie nicht einengen und sie somit fördern, ihr Selbst zu entwickeln.

      Autonomie kann nur aus einer sicheren Bindung hervorgehen, das haben bereits etliche Wissenschaftler zu Bindungstheorien gezeigt. Wir Menschen sind kreative Wesen, die in der Lage sind, sich einerseits anzupassen, aber auch ihr Umfeld zu gestalten und zu verändern. Für diese Kreativität benötigen wir Menschen, die uns ermutigen, die Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. So wie wir im Yoga Umkehrhaltungen üben, die uns anregen können, auch jenseits der Matte einmal die Perspektive zu ändern.

      Ein Grund, warum Yoga auch schon für die Kleinsten eine gute Methode sein kann, um sich auf allen Ebenen zu entfalten. Bauer schreibt: „Kinder sind körperbetonte Wesen und bedürfen vieler guter körperlicher Erfahrungen, sie bedürfen unserer realen Präsenz“ (S. 46). Hier kommt auch das Thema Berührung ins Spiel, dem ich in meiner Arbeit mit Thai-Kinderyoga bereits ein Buch gewidmet habe.

      Doch zurück zu unserem Gehirn. Wir erfuhren bereits, dass unser Gehirn danach strebt, in einem möglichst kohärenten Zustand zu sein. Es möchte also möglichst viel Nutzen mit einem möglichst geringen Energieaufwand erreichen. Wenn wir uns nun in einem Konflikt befinden, in welchen z. B. eines unserer Bedürfnisse nicht gesehen oder gar erfüllt wird, geht im Gehirn tatsächlich ganz schön viel ab, es braucht viel Energie, um mit dieser Situation irgendwie umzugehen. Möglicherweise passiert dann im Kindesalter Folgendes: Um wieder Kohärenz herzustellen, adaptiert das Kind das Verhalten seiner Bezugspersonen und macht sein eigenes Bedürfnis weg, will heißen, wir suchen nach einer Lösung, um diese Herausforderung meistern zu können.


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