Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch. Cara Schweitzer

Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch - Cara Schweitzer


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Gründen einen Rückzieher gemacht.113

      Die Zurückweisung der Bilder Edvard Munchs durch den Verein der Berliner Künstler hatte einst im späten 19. Jahrhundert den Anstoß zu Gründung der Berliner Sezession geliefert. In der Folge war auch ein Werk von Walter Leistikow von der Kommission zur Großen Berliner Kunstausstellung, der jährlich stattfindenden wichtigsten Kunstschau, zurückgewiesen worden.114 Um Walter Leistikow und Max Liebermann versammelten sich daraufhin all jene Künstler, die in Berlin für die Moderne einstanden. Wie in den meisten europäischen Großstädten hatte es nach der Jahrhundertwende eine erneute Rebellion junger Künstler gegen die bereits arrivierte Künstlergruppe der Berliner Sezessionisten gegeben. 1910 waren die Expressionisten um Max Pechstein ausgeschert und hatten ihre eigene Gruppe, die »Neue Sezession«, gegründet.

      Umso erstaunlicher ist, dass ausgerechnet der Vortragsabend mit Richard Huelsenbeck, Else Hadwiger, George Grosz und Raoul Hausmann im Programm in den gediegenen und großzügigen Räumen der Berliner Sezession am Kurfürstendamm 238a stattfand. Noch auf dem Programm und der Einladung zum Dada-Abend waren alle Vorträge ordentlich der Reihe nach aufgeführt. Doch glaubt man dem Rezensenten des »Berliner Börsen-Couriers«, so scheinen die Protagonisten den Ablauf weitestgehend gemeinsam gestaltet zu haben oder zumindest ihre Beiträge durch gegenseitige Zurufe und performative Einlagen angefeuert zu haben: »Als das erste Lachen, die ersten Pfiffe, die ersten Rufe laut wurden, mahnte Richard Hülsenbeck, sich nicht zu eilig zu verausgaben: Es käme noch genug Gelegenheit. Und es wurde wirklich nett. Einige gebärdeten sich veitstänzerisch. Ein junger Dichter, in Wutekstase, erbrach weißen Schaum. Man bot sich Ohrfeigen an. Der Höhepunkt war Marinettis ›Beschießung‹, ein Gedicht wie aus einer Wortlotterie, das Hülsenbeck mit einem Trömmelchen und einer Kinderschnarre begleitet. Keile lagen in der Luft. Man sah schon Lovis Corinths Bilder von Stuhlbeinen zerfetzt.«115 Nach Liebermanns Rücktritt vom Amt des Sezessionsvorstandes hatte Corinth zeitweilig den Vorsitz übernommen. Unklar ist, ob das, was der Zeitungsredakteur hier beschreibt, eher die Reaktion des Publikums erläutert als die Handlung der sich in Rage redenden Aktiven auf dem Podium. Huelsenbeck eröffnete das Programm mit seinem Vortrag des dadaistischen Manifests. »Gegen die blutleere Abstraktion des Expressionismus« sprach er sehr »gemäßigt«, wie ein anderer Kritiker berichtet, zu den Zuhörern in der überfüllten Sezession, von denen sich sicherlich eine große Zahl der angeklagten Kunstrichtung zugehörig fühlte. Das zählte zu Huelsenbecks Strategie. Sein Vortrag erweist sich als ein Plädoyer für die Erneuerung der Kunst. Impulsgebend und inspirierend sollen zukünftig nicht mehr idyllische Landschaften oder innere Stimmungen sein, sondern die Kunst soll alles zum Material erheben, was ihr die Dynamik der Großstadt entgegenbringt: »Der Haß gegen die Presse, der Haß gegen die Reklame, der Haß gegen die Sensation spricht für Menschen, denen ihr Sessel wichtiger ist als der Lärm der Straße und die sich einen Vorzug daraus machen, von jedem Winkelschieber übertölpelt zu werden«, wettert er gegen die Expressionisten.116 Und Huelsenbeck propagiert Dada als Ausdruck wahrer Jugendlichkeit. Sein Anliegen ist die Auflösung der Grenzen von Leben und Kunst. Huelsenbecks Manifest wurde im Saal verteilt, unterzeichnet hatten es neben den Mitgliedern von Dada Berlin auch Künstler der Züricher Gruppe und andere, die sich Dada verbunden fühlten, wie der einstige Futurist Enrico Prampolini und der Schriftsteller Friedrich Glauser. Die Entladung der angespannten Stimmung im Saal verglich Raoul Hausmann mit dem Ausbruch eines Vulkans.117

      Die Kampfansage Huelsenbecks gegen den Expressionismus und selbst gegen die Futuristen, deren »bruitistische«, außermusikalische Musik den Dadaisten erst zu internationaler Verbreitung verhalf, stieß entsprechend auch in Pressemeldungen auf Widerstand. Ein Rezensent der »B. Z. am Mittag« warf dem Dadaismus vor, reines »Kunstfaulenzertum« zu sein, »gekennzeichnet durch ein gewaltiges Maß von Neid und Gehässigkeit gegen jede andere rührige Moderne«.118 Der erste offizielle Auftritt der Dadaisten in Berlin hatte politische Ambitionen, war aber in erster Linie ein Ringen um künstlerische Mittel in einer durch den Ersten Weltkrieg grundlegend in Frage gestellten Gesellschaft.

      Nach Huelsenbeck trug Else Hadwiger futuristische und dadaistische Verse vor. Huelsenbeck begleitet sie dabei lautstark mit dem »Trömmelchen und einer Kinderschnarre«. Vor allem Hadwigers Vortrag aus Marinettis futuristischem Lautgedicht »Zang Tumb Tum« provozierte das Publikum. Nicht nur Huelsenbeck untermalte ihren Vortrag durch seinen Krach. Die Ausschnitte »Verwundetentransport« und »Beschießung« aus Marinettis Poem wurden zusätzlich durch einen Soldaten in feldgrauer Uniform interpretiert, der, sich am Boden windend, auf der Bühne das nachspielte, was zeitgleich tausenden Männern an den Fronten des Krieges drohte.

      »Der Saal war von vornherein so explosiv gestimmt, dass eine große Bewegung ausbrach, als einer Dame der Kneifer zur Erde fiel. Der Sturm bricht los. Als Hülsenbeck zu Pauke und Trommel greift, um Marinettis Kampfschilderungen zu begleiten. ›Ruhe‹, ›Ruuuhe‹, ›Ruuuuhe!‹, ›Tosen‹, ›Schreien‹, ›Stühlekloppen‹. Die ganz dünne, feine Stimme einer Dame ›Aber das ist ja unerhört!‹«, ist über den Tumult am Abend in den nächsten Tagen in der Presse zu lesen.119 Den Dadaisten war es gelungen, das Publikum zum Teil der Inszenierung zu machen. Und das Publikum hatte es offenbar darauf angelegt. Jedenfalls waren sich die Pressestimmen einig, dass die meisten Zuschauer die Veranstaltung mit einer entsprechenden Erwartungshaltung besuchten: Über die Vorführungen des Cabaret Voltaire war man in Berlin bereits informiert.

      Dann trat George Grosz auf, »Niggersongs singend, mit amerikanischer Boxermiene, Fußball mit den Schädeln der Zuhörer« spielend.120 Als letzter Vortragender war Raoul Hausmann angekündigt worden. Er wollte seinen theoretischen Text »Das neue Material in der Malerei« Vorbringen. Neben Satire müsse zukünftig alles, was die Realität bietet, Draht, Glas, Pappe, Stoff, im Bild verarbeitet werden. Doch Hausmann kommt nicht dazu, seinen anspruchsvollen Text vorzutragen. Um Schlimmeres zu vermeiden, schreitet eine Dame »gemessen auf ihn zu. Dreht ihm die Lampe aus, 10 Uhr«.121 Raoul Hausmann war enttäuscht, auch wenn das abrupte Ende zum dadaistischen Programm passte. Ironisch kommentierte die Zeitung: »Jedenfalls hatte der Abend sein Ziel erreicht: Radau. Die dadaistischen Dichter wie die dadaistischen Temperamente im Publikum zogen, befriedigt von der Musik der Urlaute, von der Kunst der Interjektionen, ins Café des Westens und in benachbarte Gegenden.«122

      Mit dem Abend in der Sezession war die Erwartung geboren, Dada und dadaistische Aktionen hätten wie ein Ventil für Tumulte, Radau und Klamauk zu funktionieren. Das schraubte die Anforderungen an alles, was von Dada-Berlin noch kommen sollte, hoch und setzte die Protagonisten unter Druck. Hinzu kam, dass die Zensur den Spaß am »Nichts« nicht teilte und Maßnahmen gegen die konspirativ vereinten Mitglieder verschärfte. Mehrfach sucht die Polizei Hausmann in seiner Wohnung auf. »Du glaubst ja nicht, was für Blödsinn die Polizei hinter mir vermutet«, berichtet er Hannah Höch über diese Inspektionen.123

      Hannah Höch war bei dem Abend, an dem Dada mit Pauken und Trompeten in der Berliner Öffentlichkeit berühmt geworden war, nicht dabei. Im Zuge der eskalierenden Streitigkeiten mit Hausmann war sie über einen Monat lang untergetaucht. Ihrer Flucht war mindestens ein gewaltsamer Zusammenstoß mit ihm vorausgegangen, den er auch in seinen Briefen an Höchs Geschwister eingesteht. Höchs Bruder Fritz, auch Danilo genannt, und ihre Schwester Grete werden von Hausmann als Briefboten instrumentalisiert.

      »Es ist eine schreckliche Zeit für mich, ich komme aus der Todesangst nicht heraus«, schreibt Hannah Höch am 8. April 1918 an ihre Schwester.124 Höchs Familie scheint den Druck auf Hausmann, aber auch auf Hannah Höch erheblich erhöht zu haben. Karoline Hille betont, dass diese Sicht auf das Verhältnis keineswegs nur Hausmanns »Phantasiegespinsten« entsprungen sei.125 Familie Höch scheint nicht nur die Trennung von seiner Ehefrau als Voraussetzung für eine Fortführung des Verhältnisses verlangt zu haben, sondern auch eine anschließende Eheschließung. Raoul Hausmann berichtet ihr, dass ihr Bruder Fritz »schon Mittel gefunden« hätte, »Hannah zwangsweise zur Vernunft zu bringen«, falls sie bereit gewesen wäre, auch ohne Heirat zu ihm zu kommen.126

      Nun versucht auch Elfriede Hausmann-Schaeffer, Hausmanns Ehefrau, auf seinen ausdrücklichen Wunsch, mit Hannah Höch Kontakt aufzunehmen, um sich auszusprechen. Auch sie will in einer nur schwer nachvollziehbaren


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