Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch. Cara Schweitzer

Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch - Cara Schweitzer


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der Novembergruppe präsentiert sie über die Dauer des Bestehens der Gruppe immer wieder ihre Arbeiten.

      Die Finissage der Ausstellung bei Neumann gestalteten die Dadaisten nach ihren Vorstellungen. Am 30. April findet in den Galerieräumen am Kurfürstendamm eine Dada-Soirée statt, bei der nun auch Hannah Höch mitwirkt. Der Abend ist eine Gemeinschaftsproduktion. Zwar tragen Huelsenbeck und Hausmann ihre manifestartigen Texte vor, doch die Lautgedichte werden von der Gruppe präsentiert. Die von Golyscheff komponierte Antisymphonie in drei Teilen ruft alle Beteiligten auf die Bühne. Golyscheff ist das, was man gemeinhin als Doppelbegabung bezeichnet. Bereits als Kind hatte er seine musikalische Ausbildung erhalten und später in Odessa Malerei studiert.164 Seine dichten malerischen Kompositionen nehmen mit ihren naiv anmutenden Phantasiearchitekturen eine Sonderrolle in der Dada-Ausstellung ein. Vor allem für seinen freien Umgang mit Materialien schätzt ihn Hausmann. »Seine Assemblagen waren bis dahin noch nie gesehene Assemblagen, Greffagen, gemacht aus Konservenbüchsen, kleinen Flaschen, Kartonfetzen, Holz, Samt, Haaren, ein vor diesem Datum unvorstellbarer optischer Anblick«, beschreibt Hausmann die von Golyscheff in der ersten Ausstellung der Dada-Gruppe gezeigten Bilder.165

      Wie wäre es auch anders zu erwarten gewesen, Golyscheffs Komposition basierte auf den Prinzipien der Dissonanz, Hausmann beschreibt sie als ein Sammelsurium von Tönen. Der Komponist dirigierte die Gruppe der auf der Bühne stehenden Dadaisten, die, bewaffnet mit allerhand krachmachenden Instrumenten, von der Pianistin, einem jungen Mädchen in weißem Engelsgewand, begleitet wurden. Bereits die Untertitel der einzelnen Sätze der Antisymphonie vermitteln einen bildlichen und lautmalerischen Eindruck vom Klang seiner Musik: »Die provokante Spritze, die chaotische Mundhöhle und das biegsame super F A« lassen vor den Augen und Ohren auch heutiger Leser sofort die musikalische Kreissäge kreischen, von der sich die Zuschauer des Konzerts in Golyscheffs einführenden Worten zersägen lassen sollten.166

      Hannah Höch schildert das Konzert rückblickend als einen simultanen Chorgesang aller Anwesenden – mit infernalisch-bruitistischem Orchester. »Nachmittags war eine kurze Probe des improvisierten Werkes gewesen, und abends ging’s dann los. [...] Mir war etwas bänglich bei diesem Debut, ich hätte mich gerne gedrückt, auch liebte ich Lärm zu keiner Zeit meines Lebens. Aber feige wollte ich auch nicht erscheinen, und so habe ich dann – was das Zeug, das Blechzeug halten wollte und mit Hingebung – darauflosgedroschen, wie es ja meine Aufgabe war.«167 Hannah Höchs Erinnerung an den einzigen Abend, an dem sie mit auf dem »DADA-Olymp«168 gestanden hat, ausgerüstet mit einer Kinderknarre und Topfdeckeln, macht deutlich, dass sie innerhalb der Berliner Dada-Gruppe immer eine Außenseiterrolle besetzte, die sie selbst nie verleugnet hat. Die Bedeutung ihres Anteils an Dada liegt weniger im Verfassen kämpferischer Manifeste oder provokanter Aktionen als in der subtilen Analyse gesellschaftlicher Entwicklungen, die ihre Fotomontagen auszeichnen.169 Dass sie hiermit einen wesentlichen Anteil an der späteren Rezeption von Dada haben wird, können die den Herrenclub Dada dominierenden Männer nicht ahnen.

      Im Zusammenhang mit ihrer Beteiligung während der Dada-Soireéerinnerte sich Höch weiterhin: »Als ich dann an einem späteren Abend eine ähnliche Nummer als Zuhörerin erlebte, war ich erstaunt, dass eine solche nur rhythmisch gesteuerte Ballung von Pfeifen, Stampfen, Blechschlagen, Kinderknarren, Gebimmel, Getrommel, Okarinageblus und Geschrei ein faszinierendes Ganzes bilden konnte.«170 Es gibt keine Tonaufzeichnungen der Dada-Veranstaltungen. Über den Ablauf informieren die auch im Nachlass von Hannah Höch erhaltenen Programmschriften, Schilderungen der Beteiligten sowie die Presseberichte. In ihrem Erinnerungsvortrag über DADA betonte Hannah Höch, dass jeder Beteiligte eine charakteristische Rolle übernahm. Hausmann habe sich gegen die Lautstärke der anderen meist mit seinem »gewaltigen Organ« durchsetzen können, während George Grosz eine spezifische Sprechtechnik entwickelte, die aus einer Rhythmik von abgehackten Sätzen und dem Aneinanderreihen zusammenhangsloser Erzählinhalte bestand. Höch verglich den Grosz’schen Redefluss mit »unentwirrbarem Seemannsgarn«. Helmut Herzfeld, der sich seit 1916 aus Protest gegen den Nationalismus im Deutschen Reich John Heartfield nannte, habe ihn mit Urwaldgeschrei unterbrochen. Tänzerische und pantomimische Spontaneinlagen füllten die Programmlücken.

      Höchs und Hausmanns Beziehung fährt im Frühjahr 1919 wieder einmal Achterbahn. Ende Mai schreibt er an seinem Aufsatz »Zur Auflösung des bürgerlichen Frauentypus«, in dem sich zahlreiche Anspielungen auf Hannah Höch befinden. Und vermutlich ebenfalls Anfang Juni 1919 droht er, dass er ihren Vater »bestimmt noch runterknallen« werde.171 In der Folge einer erneuten Auseinandersetzung flüchtet Hannah Höch nach Gotha. Johannes Baader berichtet ihr in einem Brief von seinen und Hausmanns Plänen, eine neue Zeitschrift zu gründen, »Der Dada«, und fordert sie auf, daran mitzuarbeiten. Die inhaltliche Akzentuierung der Zeitschrift demonstriert deutlich Hausmanns zentrale Anliegen an Dada mit seinen im weitesten Sinn psychoanalytischen Themen. Immer wieder taucht seine Forderung nach einer Erneuerung der Gesellschaft durch eine Neudefinition der Geschlechterbeziehungen auf, die sich vor allem auf eine Kritik der aktuellen Situation und Haltung der »Frau« konzentrierte. Hierin unterscheidet sich Hausmanns Publikation auch von den im Kontext von Dada entstandenen Zeitschriften, die aus dem Kreis des Malik-Verlages stammten. George Grosz initiierte gemeinsam mit dem Kunsthistoriker Carl Einstein die Zeitschrift »Der blutige Ernst«, die wegen ihrer radikalen politischen Satire und ihrer unmissverständlich aus dem linken Spektrum stammenden politischen Schlagworte schon nach kurzer Zeit verboten wird.172

      Hausmann kündigte in seiner Zeitschrift »Der Dada« den Plan für ein umfangreiches, international angelegtes Buchprojekt der Bewegung an, in dem alle dadaistischen Positionen und Teilhaber dargestellt werden sollen. Trotz mehrerer Anläufe in den nächsten Jahren und wechselnder Projektplaner – neben Hausmann verfolgt Huelsenbeck und später auch der Pariser Dada, Tristan Tzara, die Veröffentlichung des »Dadaco« – scheitert die Veröffentlichung am Aufwand und den hohen Druckkosten, so dass der Münchner Verleger Kurt Wolff 1921 letztlich das Interesse an dem umfassenden Dada-Lexikon verliert.173

      Für die zweite Ausgabe von »Der Dada« bittet Hausmann Hannah Höch schließlich um einen Holzschnitt als Beitrag. Und Mitte Juni scheint er sich in der Lage zu fühlen, zu Hannah Höch in die Büsingstraße zu ziehen: »Ich bin bereit, mit allen meinen Sachen (Anzüge, Wäsche, Bücher, Möbel etc.) zu Dir zu ziehen und zwar sofort. Ich glaube nämlich doch an Deine Gerechtigkeit. E.S. ist seit 10 Tagen fort.«174 Hannah Höch wehrt sein Angebot ab. Johannes Baader greift erneut ein, mit einer Analyse des ständigen und zermürbenden Ping-Pong-Spiels zwischen den beiden. Doch helfen kann er ihnen nicht. Im Spätsommer 1919 scheinen sich die Wogen zumindest vorübergehend wieder geglättet zu haben. Hannah Höch schreibt ein hoffnungsvolles Gedicht. Es entsteht das Bild von in der Luft fliegenden Jonglierbällen, mit denen sich die Künstlerin identifiziert. Sie klingt lebensfroh, ohne den ständigen Balanceakt über dem Abgrund ihrer Beziehung aus den Augen zu verlieren.

      »Komm Du,

      fange die blauen Bälle meines Da-Seins –

      sie blühten aus lebenden Wiesen und rundeten im Sonnenofen.

      Du musst nicht mit dem Metermaß kommen. –

      alle sind rund, und die kunterbunten Flecken malte meine Seele darauf.

      Meine Seele, die einen roten Teppich webt – auf dem wir tanzen

      können,

      wir,

      zwei Wissende

      wir,

      zwei Lächelnde!

      Aug. 1919«.175

      In ihren Arbeiten setzt sich Hannah Höch mit Fotografie auseinander. Es entsteht ein doppelt belichtetes fotografisches Selbstporträt, das zugleich ein Doppelporträt mit Hausmann ist. Mit der Doppelbelichtung erzeugt die Künstlerin ein Bild mit vielschichtigem Bedeutungsspektrum. Bewegung und zeitlicher Entstehungsprozess der Aufnahme werden sichtbar. Hannah Höch sitzt vor der Kamera und blickt träumerisch aus dem Bild. Hinter ihr taucht Raoul Hausmann vor dunklem Hintergrund auf. Auch er ist sitzend fotografiert. Sein Gesicht ist durch Höchs Kopf angeschnitten. In melancholischer Geste scheint er seinen


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