Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch. Cara Schweitzer

Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch - Cara Schweitzer


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Doch wer träumt hier von wem? Die Unschärfe lässt die Grenzen zwischen ihren Körpern verschwimmen und rückt Raoul Hausmann zugleich in schwer zu fassende Ferne.

      Mit dem Foto scheint Hannah Höch ein Bild für ihre Beziehung gefunden zu haben. Laut Heinz Ohff nahm Hannah Höch vornehmlich sich selbst oder sich und ihre Partner mit der fotografischen Technik der Doppelbelichtung auf.176

      Im September 1919 brechen die Auseinandersetzungen zwischen beiden erneut auf: »Sieh, Du hast Dich öfter über meinen Konservatismus gewundert: das ist gerade das Gute in mir. Lange festhalten können, immer wieder neu kommen«, erklärt sich Raoul Hausmann wieder in einem Brief.177

      Ende des Jahres 1919 hat der Berliner Dada-Kreis vollen Erfolg in der Öffentlichkeit. Dada ist nun nicht mehr eine Haltung, die sich vor allem in Künstlerkreisen mit Pauken und Trompeten ihren Platz erobert hat.178 In dem gerade erst eröffneten Avantgardetheater »Die Tribüne«, das am Charlottenburger Steinplatz gelegen ist, geben die Dadaisten Ende November eine Matinee, die auf Grund des Zuschauerandrangs in der ersten Dezemberwoche wiederholt wird. Die Tribüne formuliert in ihrem Programm den Anspruch, für das Theater eine neue, zeitgemäße Form zu finden. Die Dadaisten passen entsprechend gut ins Konzept. An der Matinee sind alle Dadaisten beteiligt. Hannah Höch steht zwar nicht im Programm, aber in ihren kleinen Taschenkalender notiert sie am 30. November: »Ich durfte mit. Dada-Tribüne.«179 Wer ihr dazu die Erlaubnis erteilen muss, erwähnt sie nicht. Aber offensichtlich ist es für Hausmann nicht selbstverständlich, dass Hannah Höch von vornherein an allen Dada-Aktionen teilnimmt. Das »schöne Betätigungsfeld«, von dem er ihr in der Anfangsphase von Dada in einem seiner Briefe voller Hoffnung vorgeschwärmt hatte, scheint Grenzen zu haben, die die Künstlerin auch akzeptiert. Auf dem Typoskript mit Richard Huelsenbecks Simultangedicht »Die Schweinsblase als Rettungsgürtel«, das sich in ihrem Nachlass in der Berlinischen Galerie befindet, bemerkt sie, dass sie an einem Vortrag des Simultangedichts teilgenommen hat.180 Die Programmankündigung nennt die beteiligten Herren mit ihren Dada-Spitznamen, Reklamechef Richard Huelsenbeck, Präsident des Weltalls Johannes Baader, Vertreter der Pinkertongesellschaft Walter Mehring, Marschall George Grosz, Heinz Ehrlich der Tänzer, Helmut Herzfeld als Monteurdada und sein Bruder Wieland Herzfelde als Diener. Nur Hausmann lässt sich diskret als »Herr« vorstellen und verzichtet auf seinen »akademischen« Titel »Dadasoph«.

      Jetzt berichtet sogar einer der renommiertesten zeitgenössischen Kritiker, Alfred Kerr, im auflagenstarken und im Berliner Politleben einflussreichen »Berliner Tageblatt«, das vom Zeitungskonzern Mosse aufgelegt wird. Kerr beschreibt zwar die auf Provokation ausgelegte Schau. Sie sei anschaulich und publikumswirksam. Doch sein Fazit klingt skeptisch: »Das Ziel der Dadaisten ist gut: Ulk mit Weltanschauung. Aber die Weltanschauung allein darf die mangelnde Kraft zum Ulk nicht vertuschen. Geht auf das Märtyrergebirg’ (obschon Frankreich unsere Gefangenen immer noch zurückhält.) [...] Um unsere tolle Gegenwart zu zeichnen sind ... ich will nicht sagen: andere Kerle nötig; man könnte sogar von diesen hier den einen oder anderen fast brauchen. Bei erörterungsfähiger Führung. Doch eine andere Gesammeltheit, ihr Dadas, tut not. Ein anderes Ethos. Ein wirkliches Ethos im Künstlerischen. Ein Blitz – und nicht eine Verabredung. Ein Mensch – und nicht eine Schlaraffia nova. Ein Genie – und nicht ein Verein.«181

      Mittlerweile ist das Publikum auf den »Ulk« der Dadaisten eingestellt und beteiligt sich »teils opponierend, teils schon dadaistisch verseucht«, indem es mitmacht, wie ein anderer Kritiker erwähnt.182 Die Veranstaltung in der Tribüne erweist sich im Rückblick als einer der Höhepunkte von Dada-Berlin.

      Um die Popularität noch weiter zu steigern, unternehmen Baader, Huelsenbeck und Hausmann eine mehrwöchige Dada-Tour durch Deutschland. Sie zeigen ihr Programm unter anderem in Dresden, wo es zu einer Schlägerei im Publikum kommt, in Hamburg und in Leipzig. Auch in Prag soll es eine Station geben. Zunächst bewerten die Tourteilnehmer die Fahrt als Sieg auf der ganzen Linie. Doch geplante Veranstaltungen müssen auf Grund angekündigter Tumulte abgesagt werden, und während ihrer Vorstellungen nehmen die Dadaisten teilweise den Schutz der ungeliebten Polizei in Anspruch.183 Auf der Fahrt kommt es zu Spannungen zwischen den Akteuren, die eine Stunde vor dem Auftritt in Prag schließlich in der nicht angekündigten Abreise Johannes Baaders münden. Im Gepäck nimmt er Teile des Manuskripts mit. Die Gründe für seinen Rückzug interpretieren die Beteiligten unterschiedlich. Schon im Vorfeld war ihnen in der Presse eine ordentliche Tracht Prügel angedroht worden. Aber auch die Streitigkeiten über die Programmleitung, die wohl gern jedes der drei Alphamännchen innegehabt hätte, führen letztlich zur Eskalation. Sehnsüchtig erwartet Raoul Hausmann am Ende der Tour seine Rückkehr zu Hannah Höch: »Wir alle 3 sehnen uns nach Deutschland zurück. Die Deutschböhmen sind das blödeste Gesindel, das es gibt, und die Tschechen können leider deutsch gar nicht vertragen. [...] Na. Ich werde übrigens nie wieder sagen, die deutschen Mädels haben Würstelbeine – Du müsstest dann mal die allgemein üblichen Unerhörten Waden der Pragerinnen sehen! – Wenn wir die Tournée hinter uns haben, sind wir sehr froh!«184 Bei seiner Rückkehr aus Prag werde er ihr gern etwas mitbringen, vorausgesetzt, er wisse ihre Blusen- oder Schuhgröße.

      Die Auseinandersetzungen mit Baader während der Fahrt führen zu einer deutlichen Distanzierung der beiden. Hausmann wendet sich zukünftig vor allem der Gruppe um den Malik-Verlag zu.185 Die harmonische Stimmung zwischen Hannah Höch und Raoul Hausmann hält nach seiner Rückkehr aus Prag nur kurze Zeit. Hannah Höch flieht erneut, diesmal zu ihrem Bruder Walter.186

      In ihren kleinen roten Taschenkalender von 1920, in dem Hannah Höch nur an wenigen Tagen Einträge vornimmt, notiert sie am 13. März, einem Samstag, »Revolution«. Teile der noch bestehenden Truppeneinheiten und die als Freikorps bestehenden Freiwilligenverbände putschten unter der Führung des Generals von Lüttwitz und des Gutsbesitzers und Bankiers Wolfgang Kapp in Berlin. Militärs besetzten das Berliner Regierungsviertel im Tiergarten und erklärten Eberts Regierung und die Nationalversammlung für abgesetzt. Ziel der Putschisten ist, in Deutschland die monarchische Ordnung zu restituieren. Die Regierung flieht nach Dresden und ruft das Volk zum Widerstand auf. In den folgenden Tagen legt ein Generalstreik, zu dem Gewerkschaften in ganz Deutschland aufrufen, die Putschisten lahm. Nach nur vier Tagen geben sie auf. Doch mit diesem massiven Angriff auf die Weimarer Verfassung von rechts zeigt sich in voller Gewalt die Anfechtbarkeit der jungen deutschen Demokratie. In Dresden wird der Widerstand gegen Kapp und Konsorten zeitweise mit Waffengewalt geführt. Es gibt Tote und Verletzte. Während einer Schießerei verfängt sich eine Kugel in den großen Glasscheiben des Zwingers, schlägt durch und trifft das Gemälde »Bathseba im Bade« des flämischen Malers Rubens. Oskar Kokoschka, gerade zum Akademieprofessor ernannt, lässt daraufhin in Zeitungen und auf Plakaten den kämpfenden Parteien ausrichten, dass sie ihre Auseinandersetzungen besser im Zirkus abhalten sollen, zum Schutze der Kunst.187 Die öffentlichen Äußerungen Kokoschkas nehmen George Grosz und John Heartfield zum Anlass, eine Gegendarstellung zu verfassen. In der im Malik-Verlag erscheinenden Zeitschrift »Der Gegner« drucken sie einen Kampfaufruf gegen den Spießer Kokoschka. Grosz und Heartfield erklären: »Wir begrüßen mit Freude, dass die Kugeln in Galerien und Paläste, in die Meisterbilder der Rubens sausen, statt in die Häuser der Armen in den Arbeitervierteln.«188

      »Erste Internationale Dada-Messe«

      Zu einer direkten Konfrontation zwischen Militärs und den Dadaisten kommt es nur wenig später in Zusammenhang mit der »Ersten Internationalen Dada-Messe« in Berlin.

      In der Kunsthandlung Dr. Otto Burchard, einer im Hinterhof des Hauses am Lützow-Ufer in Berlin Tiergarten gelegenen Galerie, findet vom 30. Juni bis zum 25. August 1920 die umfangreichste Ausstellung der internationalen Dada-Bewegung statt.189 Die Initiative geht maßgeblich von George Grosz aus, der den Spezialisten für chinesische Keramik, Burchard, auf einer Künstlerparty kennengelernt hat und ihn für das Projekt gewinnt.190 Grosz zeigt auch die meisten Werke.191 Neben den Berliner Dadaisten werden Arbeiten der Kölner Dada-Gruppe von Max Ernst, Johannes Baargeld und Hans Arp gezeigt sowie Werke von Rudolf Schlichter, Otto Dix, Francis Picabia und anderen. Auch wenn Man Ray und Marcel Duchamp in der Ausstellung fehlen, wurde man doch


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