Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch. Cara Schweitzer

Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch - Cara Schweitzer


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zu ihm zurückkehrt. Else Michaelson, die befreundete Kollegin aus dem Ullstein Verlag, die Hausmann ebenso drängt, ihm zu verraten, wo Hannah Höch sich aufhält, durchschaut die Konfliktsituation und konfrontiert ihn mit ihren Zweifeln an seiner Sichtweise: »Sie sagen, Sie kennen alle Gefühle H.’s; ist eine Täuschung nicht möglich, ist Ihr Bild v. H.s Charakter nicht nach Ihnen konstruiert? U. darf nun nichts mehr anders werden, als Sie es so wollen?«127

      Ende April antwortet ihm Hannah Höch und erklärt ihm, dass sie nicht mehr »freiwillig« bereit sei, in ein Leben zurückzukehren, wie es zuletzt war. Sie könne zwar nicht verlangen, dass er sich von seiner Frau trenne, das sei aber die einzige Voraussetzung, unter der sie wieder zu ihm zurückkehren werde. »Wenn es möglich ist, daß etwas Neues bei mir entsteht, so musst Du mir jedenfalls jetzt Ruhe geben, ich bin nicht da wo Du mich haben möchtest, ich bin noch sehr weit von Dir entfernt«, erklärt sie.128

      Anfang Mai schreibt Hausmann einen mehrseitigen Brief an die Geliebte, in dem er weniger die gesellschaftliche und psychologische Stellung der Frau in der heterosexuellen Beziehung beleuchtet, sondern sich auf die männliche Rolle konzentriert: »Wenn wir dahin gelangen wollen, wo wir keine Angststellung mehr zu einander haben – der Mann hat heute noch eine aggressive Angststellung der Frau gegenüber, da er aggressiv ist, ist sie vielleicht schwerer als Angststellung zu erkennen als die passive Angststellung der Frau – dann müssen wir unseren ersten Instinkten vertrauen – und die sagten Ja zu einander.«129

      Er hat den Entschluss gefasst, sich von seiner Frau zu trennen, doch will er zunächst allein leben. »Schon wegen meiner Idee, die ich verwirklichen will.«130 Außerdem befürchtet er, dass, solange die Polizei-Affaire nicht erledigt ist, die Gefahr auch für Hannah Höch zu groß sei, noch zusätzlich wegen des Vorwurfs des Konkubinats angeklagt zu werden.131 Aus der gemeinsamen Wohnung mit seiner Ehefrau ist er angeblich endgültig ausgezogen und wohnt nun in der Zimmermannstraße 34. Das ist die Adresse des Club Dada.132 In den Briefen Hausmanns, die während der spannungsreichen Phase zwischen beiden entstehen, berichtet er ihr zugleich über seinen Erfolg mit Dada. »Die Dadageschichte wird von mir und Huelsenbeck so gut gemacht (an unserem ersten Abend hatten wir 500 Mark Reingewinn), dass daraus wirklich etwas zu machen ist, wie der Sturm, wenn wir kaufmännisch geschickt genug sind. Und das sind wir. [...] Wir haben für 22 Mark bar bis zum 27. April die Zeitungen so in Atem gehalten, dass sie uns die Reclame besser besorgt haben, als wenn wir Hunderte für Inserate bezahlt hätten. – Jedenfalls bis jetzt steht Dada. Und bis Herbst wird es möglich sein, davon leben zu können.«133 Hausmann kann sich vorstellen, dass auch sie an Dada beteiligt wird. Gemeinsam mit Huelsenbeck plant er offensichtlich, längerfristig von Dada zu leben. »Und es wäre für Dich auch ein so schönes Betätigungsfeld! Wie könnten wir zusammenarbeiten! Und wir wüssten wofür«, versucht er Hannah Höch zu locken. Zumindest in der Theorie deutet Hausmann hier an, dass er sie als Partnerin auch im Bereich der Kunst akzeptieren würde. Dass das einmal mehr nicht der Realität entsprach, sollte sich im weiteren Verlauf der Beziehung mehrfach zeigen.

      Doch Hausmanns Hoffnungen auf die Weiterführung des Erfolgs von Dada wurden zunächst enttäuscht. Sowohl das dadaistische Manifest und andere erste Publikationen des Club Dada werden von der Polizei beschlagnahmt. Die Ermittler deuten die dadaistische Schriftcollage aus unterschiedlich großen Buchstabentypen, die willkürlich auf dem Titelblatt der Dada-Ausgabe der »Freien Straße« herumzupurzeln scheinen, als Geheimschrift.134

      Franz Jung zog sich mit dem Argument zurück, Dada vertrete ihm zu wenig konkrete sozialkritische Positionen.135 Und Huelsenbeck hatte offenbar im Zusammenhang mit der starken Polizeipräsenz kalte Füße bekommen. Er verschwand für eine Zeit lang von der Bildfläche. Lediglich Raoul Hausmann und Johannes Baader hielten für die kommenden Monate die Stellung im Berliner Club-Dada. Auch Hannah Höch setzt sich öffentlich für Dada ein. Der Club forderte den Nobelpreis für Johannes Baader. Die »B. Z. am Mittag« kommentierte diesen Aufruf kritisch mit der Geldgier der dahinterstehenden Künstler. In einem Leserbrief fordert Hannah Höch dagegen auf, die Sätze des Herrn Baader ernst zu nehmen.136

      Bis Mitte Juli 1918 sind Hausmanns Briefe von den Nachwirkungen der im Januar eskalierten Auseinandersetzung gekennzeichnet. Hannah Höch hält sich wieder in Berlin auf und es gibt erste sporadische persönliche Begegnungen. Immer wieder unternimmt Hausmann den Versuch, sie zu treffen, und bittet sie schließlich, ihm bei der Trennung von seiner Frau beizustehen. Im August unternehmen sie gemeinsam eine Reise in das Fischerdorf Heidebrink auf der Ostseeinsel Wollin. »Hier starb ich 3 Tage und 3 Nächte«, kommentierte Hannah Höch die Fahrt auf einem blauen Schreibheft, in das Hausmann seine Einsichten über die Versöhnungsreise eintrug. Seine Schrift liest sich wie eine zu einem Gesetzestext hintereinandergefügte Kette aus Zitaten von Nietzsche, Freud und Strindberg.

      Die Fotomontage

      Für die weitere künstlerische Entwicklung von Hannah Höch und Raoul Hausmann sowie für Dada Berlin wird ihre Fahrt an die Ostsee Folgen haben. In ihrer Unterkunft hängt ein gerahmtes Militärgedenkblatt an der Wand, das einen entscheidenden Anstoß für die Entstehung der dadaistischen Fotomontage liefern wird.137 Diese Art Erinnerungsbild war weit verbreitet. In eine graphische oder fotografische Vorlage, die eine Landschaft oder eine andere anschauliche Kulisse bot, montierten Berufsfotografen nur noch die Köpfe einzelner Soldaten auf die Körper vorgefertigter Modelle, die in heroischer Haltung posierten und in strahlende Uniformen gekleidet waren. Angesichts des Massensterbens an den Kriegsfronten verfehlten die im Bild freiwillig skalpierten Soldaten auf Hannah Höch und Raoul Hausmann nicht ihre Wirkung: »Aber so etwas könnte man doch überhaupt mit Photos machen«, habe Raoul Hausmann im Anblick des collagierten Bildes festgestellt, erinnerte sich Hannah Höch.138 Nachdem Hannah Höch und Raoul Hausmann im September 1918 nach Berlin zurückgekehrt waren, entstanden ihre ersten Fotomontagen. Hannah Höch hat sich auch später nicht an Hahnenkämpfen beteiligt, die um die Erfinderidee zur Fotomontage unter den Beteiligten bei Berlin Dada entbrannten. Ihr scheint die Naivität der Selbstbehauptungen ihrer männlichen Kollegen auch aus kunsthistorischer Sicht bewusst gewesen zu sein. Das Prinzip der Collage, auf dem die Fotomontage basiert, hatten sich bereits vor den Dadaisten die Kubisten und Futuristen zu eigen gemacht. Die Dadaisten radikalisierten die Infragestellung traditioneller künstlerischer Materialien, indem sie neben Schriftelementen auch Fotografien in ihre Arbeiten integrierten. Zeitungsfotos, die die aktuelle politische Entwicklung im Bild dokumentierten, wurden von den Dadaisten genauso verwandt wie persönliche Aufnahmen. Zumindest in der Anfangsphase bezeichneten die Dadaisten ihre Arbeiten noch als »Klebebilder«.139 Bald eignete sich der Begriff Montage besser dazu, die zentrale Forderung der Dadaisten nach einer Revolutionierung und Erneuerung der Kunst zum Ausdruck zu bringen. Der aus dem Bereich der technischen und maschinellen Industrieproduktion entlehnte Begriff bot sich an, weil er den mechanistischen Entstehungszusammenhang ihrer Arbeiten betonte. Dadaisten definierten sich als Techniker und Ingenieure. Auch wenn sich jeder Einzelne von ihnen durchaus für genial hielt, verweigerten sie sich dem herkömmlichen Bild vom Künstler, der aus genialer Inspiration heraus mit seinen Händen Zeichnungen oder Gemälde schuf. Antikunst lautete die Parole. Die Montage schien ein geeignetes Mittel zu sein, um die in eine Vielzahl von Eindrücken fragmentierte Wahrnehmung in der Großstadt, das Aufleuchten riesiger Werbeschriftzüge und die Bewegung des Verkehrs sowie die neuen Erfahrungen im Arbeitsalltag der Industrieproduktion sinngemäß wiederzugeben. Richard Huelsenbeck erklärte Dada zum »Geschrei der Bremsen« und zum »Gebrüll der Makler an der Chicagoer Produktenbörse«.140

      Bereits während ihrer Ausbildung bei Emil Orlik hatte Hannah Höch sich mit dem Verfahren der Collage beschäftig. Aus den Resten von Schnittmusterbögen entstand 1916 ihr erstes Klebebild »Weiße Wolke«, dessen abstrakte splittrige Formen und auf Schwarz-Weiß reduzierte Farbigkeit von abstrakten Strömungen in der Kunst sowie der expressionistischen Holzschnitttechnik beeinflusst ist.141 Höchs erste dadaistische Fotomontagen zeichnen sich durch eine dichte Komposition von aneinandergesetzten und sich überschneidenden Zeitungsausschnitten aus, die um das Bildzentrum herum angeordnet sind.

      Eine ihrer frühesten Fotomontagen, »Da Dandy« (1919), erweist sich als eine weibliche Umdeutung jenes Images, das vor allem


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