Der Moment des Einschlags. Karen Stivali

Der Moment des Einschlags - Karen Stivali


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gab ein Geräusch zwischen Kichern und Stöhnen von sich. »Bist du deshalb ausgeflippt? Die Sache mit dem Katholisch-Sein?«

      »Ja.« Darüber hatte ich eigentlich nicht nachgedacht, aber jetzt, da er es erwähnte, war die Antwort offensichtlich. »Ich meine, ich denke, das ist ein Teil davon.«

      »Was ist der andere Teil?«

      Ich versuchte verzweifelt, aus seiner Stimme zu lesen. Es klang genau wie eben, als er mich gefragt hatte, ob ich gekommen war, nachdem ich ihm beim Wichsen zugesehen hatte. Nicht wütend … neugierig. »Es ist … ich meine … ich weiß nicht. Es hängt irgendwie alles zusammen. Meine Familie ist so was wie das Gegenteil von deiner.«

      Tanner kicherte wieder. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass das in vielerlei Hinsicht eine gute Sache ist. Meine Familie ist ziemlich verkorkst. Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, war mein Vater mit einer Tussi zusammen, die etwa in meinem Alter ist. Und meine Mutter lässt einen Guru-Typen ihre Teeblätter lesen oder so einen Scheiß, damit sie entscheiden kann, wie ihr nächster Lebensweg aussehen soll.«

      Er deutete bei dem Wort »Lebensweg« Anführungszeichen an und rollte mit den Augen.

      »Okay«, sagte ich. »Auf eine andere Art abgefuckt. Trotzdem glaube ich nicht, dass einer von beiden dich für … irgendwas verleugnen wird.«

      Tanner stützte sich auf den Ellbogen und seine Augen blitzten auf, als er mich vom anderen Ende des Raumes aus beobachtete. »Und du glaubst, deine würde das tun?«

      »Innerhalb eines Herzschlags.«

      »Wofür?«

      Sich aufzusetzen fühlte sich wie eine monumentale Anstrengung an. Ich legte meine Ellbogen auf die Knie, rieb mir die Stirn mit beiden Händen und versuchte, mir eine Erklärung zu überlegen. »Du weißt doch von meinen Brüdern, oder?«

      »Ich weiß, dass der eine Kinder hat und der andere Priester wird, stimmt’s?«

      »Stimmt. Weißt du, warum?«

      »Nein. Nun, jetzt, wo du es erwähnst, denke ich, dass der eine im Priesteramt vielleicht schwul sein könnte.«

      Mir klappte der Mund auf. Der Gedanke war mir nie gekommen. Nicht ein einziges Mal. Ist er das? Ich schüttelte den Kopf. Nicht das, worüber ich jetzt nachdenken sollte. »Ich weiß nicht … Ich kann nicht mal … Okay, lass mich von vorne anfangen. Als ich zwölf war, erwischte meine Mom Quinn dabei, wie er sich einen runterholte. Er war fünfzehn. Wir waren alle einkaufen und er … nutzte es aus, das Haus für sich allein zu haben. Er hat uns wohl nicht nach Hause kommen hören.«

      »Huch. Ich nehme an, deine Mutter ist ausgeflippt?«

      »Sie hat nicht geschrien oder gebrüllt. Sie stand da, zwang ihn, seine Kleider anzuziehen, lud uns alle wieder ins Auto und fuhr ihn zur Kirche, damit er zur Beichte gehen konnte.«

      »Warte, ich bin nicht katholisch, aber ich dachte, man soll nur Scheiße beichten, die einem leidtut und die man nicht noch einmal tun will.«

      »Ja, nun, in den Augen meiner Mutter war das nichts, was er je wieder tun sollte.«

      Tanner schnaubte. »Das ist nicht realistisch.«

      »Ja, nun, ich weiß nicht, was zum Teufel der Priester zu Quinn gesagt hat. Er wollte nie darüber reden. An jenem Abend vor dem Abendessen setzte sie uns alle drei an den Küchentisch und sagte, dieses Verhalten würde sie in ihrem Haus nicht dulden. Am nächsten Tag wechselte sie jede Türklinke in jedem Raum des Hauses aus, sodass keine von ihnen mehr abschließbar war.«

      »Scheiße.«

      »Quinn muss sich das, was sie oder der Priester gesagt haben, sehr zu Herzen genommen haben. Oder es war ihm so peinlich, dass er nicht einmal mehr klar denken konnte. Ich weiß es nicht. Was auch immer passiert ist, danach war er anders. Meine Mutter war es auch. Sie schaute ihn nicht einmal mehr an, bis zu dem Tag, an dem er verkündete, dass er in das Priesterseminar eintreten wollte. Dann war es, als könnte er in ihren Augen nichts mehr falsch machen.«

      »Nichts für ungut, aber das ist irgendwie Scheiße. Ich meine, wenn es das ist, was er wirklich tun will, ist das großartig, aber wenn seine Gründe auf diesem einen Ereignis beruhen …«

      »Richtig. Dann ist es total abgefuckt. Jedenfalls hatte Sean eine etwas andere Reaktion. Er hatte ein paar Monate später eine Freundin und schwängerte sie. Heiratete sie. Jetzt haben sie drei Kinder.«

      »Und er ist wie viel älter als du?«

      »Nur drei Jahre. Er ist letzten Monat dreiundzwanzig geworden. Er war sechzehn, als er heiratete.«

      Tanner zupfte an einem losen Faden an seiner Bettdecke. »Scheiße! Das ist doch verrückt. Wie alt ist Quinn?«

      »Vierundzwanzig. Meine Mom bekam ihn und Sean mit weniger als einem Jahr Abstand. Danach hatte sie zwei Fehlgeburten, ehe sie mich bekam. Der Arzt sagte ihr, sie dürfte nicht mehr schwanger werden, aber sie wurde wieder schwanger, hatte eine weitere Fehlgeburt, die so schlimm war, dass sie eine Hysterektomie brauchte. Sonst wäre ich wahrscheinlich eines von fünfzehn Kindern«.

      Tanner stieß geräuschvoll den Atem aus. »Erinnere mich daran, nicht darüber zu meckern, ein Einzelkind zu sein.«

      Ich lächelte. »Ich werde dich daran erinnern.«

      »Was ist mit deinem Dad? Er hat sich in nichts von all dem eingemischt?«

      »Mein Dad war nicht oft da, als ich klein war. Er hat viel gearbeitet. Er starb, als ich zehn war.«

      »Gott, das tut mir leid. Das war mir nicht klar.«

      Ich zuckte die Achseln. »Ich spreche nicht darüber. Die Wahrheit ist, dass ich mich kaum an ihn erinnere. Meine Mutter war immer präsenter. Sobald er weg war, hatte sie das Sagen – sie ist nicht die Art von Person, mit der sich viele Leute streiten.«

      »So scheint es.« Tanner hielt inne und ich fragte mich, ob er meine Familie für völlig verrückt hielt. »Okay. Also ein Bruder hat sich für das Zölibat entschieden, der andere für die verrückt-junge Ehe … Was ist mit dir? Du scheinst bisher nichts so Dramatisches getan zu haben.«

      »Ich hab mich für eine andere Interpretation von ›nicht unter meinem Dach‹ entschieden.«

      »Wie meinst das?«

      »Es gab einen großen Schuppen auf der Rückseite unseres Grundstücks und ich habe meine Mutter überzeugt, mich eine Garage daraus machen zu lassen, damit ich alte Autos reparieren konnte. Sie sagte, es sei eine tolle Möglichkeit für mich, Geld für das College zu verdienen. Und das war es auch. Ich kaufte diese Schrottautos und arbeitete an ihnen, bis ich sie verkaufen konnte. In meinem letzten Schuljahr hat mich die Hälfte der Lehrer an der Schule für den Ölwechsel und den Austausch der Schalldämpfer bezahlt.«

      »Ich wusste, dass du gut mit Autos umgehen kannst. Deins ist wie das verdammte Batmobil. Was hat das mit irgendwas zu tun?«

      »Ich habe mir nicht im Haus einen runtergeholt …«

      »Im Schuppen?«

      Ich fühlte, wie Hitze über mein Gesicht kroch. Ich hatte das noch nie jemandem erzählt. »Die Autos.«

      »Kein Scheiß. Die Autos anderer Leute?«

      »Ja. Bis ich mein eigenes bekam.«

      Tanners Augen wurden rund, als er mich anstarrte, dann brach er in Gelächter aus.

      Na toll. Ich klinge wie der größte Trottel der Welt. Warum habe ich es ihm gesagt?

      »Tut mir leid.« Er würgte die Worte heraus. »Ich kann einfach nicht aufhören, zu denken, dass das Batmobil in Wirklichkeit das Bate-mobil ist.«

      Batemobil? Mastur-bate. Oh. Okay. Ich schätze, das ist irgendwie lustig. »Ja, nun, erwarte nicht, dass ich das in absehbarer Zeit als Nummernschild bekomme.«

      Wir lachten beide und es fühlte sich gut an.

      Tanner rieb sich die Augen


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