Gauner sind unser Geschäft. Jana Scheerer
Schuhpisser winkte ab. »Die Kostüme sind ja auch gar nicht dafür da, darin herumzulaufen. Ihr beide müsst einfach nur auf unserem großartigen Ruckelnser Wagen stehen, den Zuschauern huldvoll zuwinken und unsere großartigen Weingummi-Aale in die Menge werfen.« Sie ging zu einem grauen Pappkarton und wühlte darin herum. »Hier. Die haben wir bei einem Werbegeschenk-Hersteller bestellt. Sind die nicht unglaublich großartig?«
Sie reichte mir ein kleines Tütchen. Aalige Grüße aus Ruckelnsen – dem Juwel am Schlick, stand darauf. Durch die transparente Folie erkannte ich winzige Aale aus grünem, rotem und gelbem Weingummi. Ich riss die Tüte auf und stopfte mir ein paar in den Mund.
»Ich dachte, du magst keinen Fisch«, kommentierte Wiebke.
»Diese Aale schmecken hervorragend«, stellte ich mit vollem Mund fest.
Frau Schuhpisser lächelte. »Ja, nä? Einfach großartig!« Sie machte den Karton zu. »Aber mehr bekommst du nicht. Ihr sollt die Gummi-Aale schließlich verteilen und nicht vertilgen. So. Harald, jetzt bist du dran mit der Anprobe.«
Zehn Minuten später stand ich als Aal mit Krone vor Frau Schuhpisser und Wiebke. Wiebkes Gesichtsausdruck nach zu urteilen, sah ich reichlich bescheuert aus.
Frau Schuhpisser war begeistert. »Großartig! Nur hier am Bauch muss ich das Kostüm noch etwas enger machen. Du bist unglaublicherweise noch dünner als Lennard. Aalschlank, sozusagen.« Sie lachte und steckte mit Nadeln etwas Stoff ab. Mir selbst war das Kostüm eigentlich schon eng genug. Vor allem bei dieser Hitze.
Während ich in meiner Aal-Haut schwitzte, berichtete mir Wiebke, wie am nächsten Tag alles ablaufen sollte. »Also: Morgen früh bringt meine Mutter uns beide mit dem Schaftransporter nach Humbug. Und deine und meine Großmutter nehmen wir auch mit. Die wollen unseren Auftritt als Aal-Prinzenpaar natürlich nicht verpassen.«
»Mit dem Schaftransporter?« Ich kombinierte: »Kommt Schnucki MäcGaffin etwa auch mit?«
Frau Schuhpisser nickte. »Ja, Schnucki MäcGaffin wird großartigerweise mit uns zusammen auf dem Ruckelnser Wagen fahren. Es ist ja ein höchst seltenes Rasse-Schaf und sozusagen auch ein großartiges Ruckelnser Produkt. Einfach unglaublich!« Vor Begeisterung piekte sie mich mit einer Stecknadel. »Ups, entschuldige, Harald.«
»Geht schon«, murmelte ich.
»Herr und Frau Schuhpisser nehmen ihr eigenes Auto«, fuhr Wiebke fort. »Wir fahren etwas früher los, denn wir müssen in Humbug noch schnell die Schafsbox vom Transporter abbauen. Für den Hafenumzug benutzen wir ihn nämlich auch.«
»Genau, großartig!«, rief Frau Schuhpisser dazwischen. »Von der offenen Ladefläche werden wir huldvoll ins Volk winken und Gummi-Aale werfen. Unglaublich!«
»Ja, Frau Schuhpisser ist großartigerweise als Bürgermeisterin auch auf dem Wagen«, sagte Wiebke. »Ach ja, und ich habe mit Trix gesprochen. Wir dürfen bei ihr zu Hause unser Hafenumzugs-Hauptquartier aufschlagen. Und wir beide können noch ein paar Tage bei ihr bleiben, wenn wir Lust haben. Was meinst du, Harald? Ich wollte mir immer schon mal die Sehenswürdigkeiten in Humbug anschauen. Vielleicht können wir ja zum Beispiel in ein Museum gehen oder so.«
»Ein Museum, großartig!« Frau Schuhpisser stand auf. »Unglaublich, wie bildungshungrig ihr beiden seid!«
»Also ich«, sagte ich, »wollte schon immer mal ins Humbuger Opernmuseum.«
»So ein Zufall!«, rief Wiebke. »Ich auch! Und ich bin mir sicher, dass Trix sich ebenfalls brennend für Opern interessiert.«
Nachdem Frau Schuhpisser mich aus meinem Aal-Kostüm befreit hatte, zogen Wiebke und ich uns in die Detektei zurück, um ausführlich den Fall Juwelenhand zu erörtern. Wir setzten uns an meinen Schreibtisch und legten die Füße hoch.
Wiebke strich sich eine verschwitzte Locke aus der Stirn. »Ich dachte, hier im Keller wäre es vielleicht kühler. Aber es ist ja fast genauso warm wie draußen.«
Da hatte sie leider recht. Die Hitze hatte es sich in der Detektei gemütlich gemacht wie ein Bär in seiner Höhle. Ich stellte den Ventilator ein.
»Ist es so besser?«
»Nicht wirklich. Aber vielleicht hilft ein bisschen Fisch. Soll ja sehr gesund sein.« Wiebke holte etwas aus der Hosentasche. Eine Tüte Gummi-Aale! Sie riss die Tüte auf und stopfte sich ein paar in den Mund.
Neid erfasste mich. »Woher hast du die denn? Frau Schuhpisser wollte uns doch gar keine geben. Verteilen und nicht vertilgen, hat sie gesagt.«
Wiebke griff noch einmal in die Hosentasche und warf eine zweite Tüte auf meinen Schreibtisch. »Die habe ich vorhin mitgehen lassen. Ich finde, wenn wir für Frau Schuhpisser das Aal-Prinzenpaar spielen, kann sie uns doch wenigstens ein paar Gummi-Aale überlassen.«
Ich wunderte mich. Normalerweise war Wiebke strickt gegen jede ungesetzliche Handlung. Aber offenbar nahm sie es mit Aal-Diebstahl nicht ganz so streng. Mir sollte es recht sein. Begeistert riss ich das Tütchen auf und kaute genüsslich ein paar Gummi-Aale. »Was wissen wir über die verschwundene Juwelenhand?«
»Also …«, fing Wiebke an.
In diesem Moment klopfte es an die Tür der Detektei. Gleich darauf erscholl eine Stimmte: »Harald, ich bin’s!«
Ich kombinierte: Das klang nach Frau Hinnerksen, der besten Freundin meiner Großmutter. Ich wollte gerade »Herein« sagen, da ging die Tür schon auf.
»Moin, Harald, was lässt du mich denn so lange da draußen warten?« Es war tatsächlich Frau Hinnerksen. »Moin, Wiebke!«, sagte sie. »Das passt ja, dass du auch hier bist. Fehlt nur noch Trix. Ich habe nämlich einen Fall für euch, nä? Steh mal auf, Harald, ich muss mich setzen.« Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Eine Affenhitze ist das, nee, nee, nee, nee, nee! Nu’ krieg mal den Hintern hoch, Harald, oder willst du etwa, dass Wiebke stehen muss?«
Wiebke lachte. »Da hat Frau Hinnerksen aber recht, Harald!«
Ich gab meinen Platz am Schreibtisch nur ungern auf, doch Frau Hinnerksen zu widersprechen, lohnt sich grundsätzlich nicht. Zähneknirschend stand ich auf.
Frau Hinnerksen ließ sich auf meinen Schreibtischstuhl fallen. »So, das ist gleich besser, nä? Oh, was ist das denn Leckeres?« Sie schnappte sich meine Tüte mit den Gummi-Aalen und fischte sich einen heraus. »Bäh, schmeckt ja widerlich! Viel zu süß!« Sie nahm sich gleich noch einen. »Na ja, man gewöhnt sich dran, nä?«
»Äh, Frau Hinnerksen«, sprach ich in ihr Schmatzen hinein, »hatten Sie nicht von einem Fall gesprochen? Worum geht es denn?«
»Wollen Sie uns beauftragen?«, fragte Wiebke.
Frau Hinnerksen kaute noch einen Moment weiter, dann seufzte sie. »Ja, Kinners, es sieht folgendermaßen aus.« Sie senkte vertraulich die Stimme: »Ich bin Opfer eines groß aufgezogenen Betrugs geworden, nä?«
Ich nahm mir Notizblock und Stift. Frau Hinnerksen übertreibt zwar gerne – dennoch klang das nicht uninteressant. »Was ist denn genau passiert, Frau Hinnerksen?«, hakte ich nach.
»Tja, ich habe ein Paket von einem Geschäft namens Technikfuchs.de bekommen, nä?« Frau Hinnerksen machte eine spannungsgeladene Pause.
Ich notierte das, während Wiebke nachhakte: »Und warum denken Sie, dass es sich um einen Betrugsfall handelt?«
»Weil«, Frau Hinnerksen steigerte noch einmal durch eine Pause die Spannung, »ich dieses Paket gar nicht … bestellt habe! Na, was sagt ihr?«
Ich notierte auch das. »Sie haben nichts bei Technikfuchs.de bestellt?«
»Ja, das sag ich doch grade, Harald. Das Paket ist einfach so gekommen, ohne dass ich was bestellt habe, nä?«
»Sind Sie völlig sicher?«
Entrüstet stemmte Frau Hinnerksen die Hände in die Seiten. »Also hör mal,