DER MODDETEKTIV BESIEGT CORONA. Christopher Just
auf dem Weg liegenden Spar-Gourmand weitergefahren, in welchem er für den Inspector und seine Mrs. all jene Köstlichkeiten erstand, die ihm das wuschellockige, weit über einundsiebzig Fälle gelöst habende, sizilianisch eingewanderte Schmitzgesicht am Vortag per telefonischer Anweisung einem langwierigen Überredungszeremoniell folgend (»… danke, Moddetektiv, aber uns fehlt es an nichts, wir sind ja schon alt und essen kaum noch, schon gar nicht, seit unsere Enkelkinder nicht mehr zu Besuch kommen dürfen … was sagen Sie? … Wir haben gar keine Enkelkinder? Also jetzt, wo Sie’s sagen, also wo Sie recht haben, haben Sie recht, manchmal frag ich mich, wo ich nur wieder mit meinen Gedanken bin … Wie? Klopapier? Du liebe Güte, ich werd noch mal meinen Kopf vergessen, an Klopapier hab ich ja schon bei der letzten Bestellung zu denken vergessen, ich weiß tatsächlich nicht, wie lange ich noch den Trenchcoat dazu … ach ja, und wenn ich Sie schon dranhabe: Ein paar Kartonagen Cannelloni alla Mama Alfredo wären auch nicht falsch …«) mit knorriger Stimme zu übermitteln bereit gewesen war und hatte schließlich zügig eines der zahlreichen anderen Enden der Stadt erreicht, die GS zum Stillstand gebracht, und war, weiterhin seinen sentimentalen Überlegungen nachhängend, vor dem kleinen Einfamilienhäuschen der Krambambos abgestiegen. Erst als er das freundliche Ding-Dong der Türglocke vernahm – auch sie musste er ganz in Gedanken versunken, ohne es auch nur im Geringsten zu registrieren, in völliger Selbstvergessenheit betätigt haben –, wurde ihm bewusst, was wir bereits längst wissen, nämlich dass er sich vor der muranoglasüberdachten Eingangstür des für italienische Einwanderer dritter Generation so typischen, da recht kitschigen, aber dessen ungeachtet umso liebevoller dekorierten Einfamilienhäuschens eingefunden hatte.
Und schon flog die Tür auf, und der Inspector stand, sich die schwarzlockige Wuschelbirne schuppig raufend, verschmitzt schmunzelnd und mit seinem ungläsernen Auge humorvoll zwinkernd (während dessen artifizieller Zwilling teilnahmslos an einen unbestimmten Punkt jenseits des Moddetektivs starrte), mit dem abgelutschten Stummel einer längst erloschenen Zigarre zwischen den Fingern im Pyjama und mit Hausschlappen an den Füßen vor ihm. Den für ihn ach so charakteristischen, legendären, von Fett-, Kaffee- und Fäkalienflecken völlig übersäten, einst beige gewesenen, mittlerweile in allen nur erdenklichen Gelb-, Braun- und Grautönen changierenden, in seiner ramponierten Ausgetragenheit an einen zerschlissenen Staubsaugersack erinnernden Trenchcoat hatte der Inspector sich entweder der Form halber oder des Moddetektivs zu Ehren eilig über die Schultern geworfen. Unter einem weiteren Zwinkern hob er die Hand zum Gruß hinter den Kopf und knusperte launig: »Na, wen haben wir denn da, den Moddetektiv, wenn mich nicht alles täuscht!« Trotz des durchaus amikalen Empfangs taumelte dieser jedoch wie vom Blitz getroffen mehrere Schritte rückwärts und schrie mit sich hysterisch überschlagender Stimme: »Krambambo! Sind Sie der Verblödung feister Fang?! Alte Leute wie Sie zählen zur Höchstrisikogruppe, Sie des Lebens Überdrüssiger!! Noch dazu, wenn sie einem Sich-seit-Tagen-entsetzlich-angeschlagen-Fühlenden, Starke-Kopf-und-Gliederschmerzen-Verspürenden, überdies wahrscheinlich hohes, wenn nicht gar sehr hohes Fieber Habenden, also Mit-neunundneunzigkommaneunprozentiger-Sicherheit-infiziert-Seienden-nichtsdestotrotz-keinerlei-Test-Bekommenden gegenübertreten – Sie von sämtlichen gütigen Gespenstern Entvölkerter! Gehen Sie sofort wieder rein und machen Sie die verdammte Tür vor sich zu, ehe ich mich vergesse!!!«
Der Inspector tat, wie ihm empfohlen, denn das Türzumachen konnte er gut. Auch wenn er sie für gewöhnlich gleich wieder aufmachte, um seinen unfrisierten Kopf durch den Spalt zu stecken, weil er nur noch eine kleine Frage hätte, ihm noch eine Kleinigkeit – nichts Besonderes, etwas, das nur ein paar winzige Minuten dauern werde, nachdem er dann auch gleich wieder weg wäre – eingefallen war. Doch das ließ er diesmal bleiben. Stattdessen raunte es gedämpft durch die nun verschlossene Haustür: »Verzeihen Sie, Moddetektiv, manchmal frag ich mich, wo ich nur mit meinen Gedanken bin, ich werd noch mal meinen Kopf wo vergessen, sagt Mrs. Krambambo immer …«
»Schon klar, Inspector … aber dass mir das nicht noch einmal vorkommt, verstanden?«, entgegnete der Moddetektiv scharf.
»Alles gut, Moddetektiv«, flötete es beschwichtigend.
Worauf sich der Moddetektiv wider Erwarten aufs Neue echauffierte: »INSPECTOR!! Wenn ich was überhaupt nicht ausstehen kann, dann das, wenn man mich und meine berechtigte Besorgnis mit einem despektierlich herabmildernden ›Alles gut‹-Geflöte abtut! Besonders wenn nämlich so gut wie alles, alles andere als gut ist, WEIL NÄMLICH GAR NICHTS GUT IST!! Die zweite Welle einer Seuche ungekannten Ausmaßes hält die Welt eisern an der Lunge, die Menschen sterben wie Fliegen, allem voran die alten, und obwohl sich die Wissenschafter die findigen Finger fahrig forschen, ist es mehr als ungewiss, dass jemals je ein Gegenmittel erfunden wird.« Voller Zorn nahm der Moddetektiv die Plexiglasniesschutzkugel ab, zückte erbost seine blauen Rothmans und zündete sich kopfschüttelnd deren eine an. Kein leichtes Unterfangen, sollte man meinen, doch er behorsch es geil. Als sich die größten Wogen seiner Wut geglättet hatten, und es ihm bereits ein klein wenig leidtat, dass er den Inspector so angefahren war, frug er sanft: »Wie geht’s Ihnen denn so?«
Nach einigen mit raschelnden Kopfkratzgeräuschen und Stille befüllten Minuten räusperte sich der Inspector, dann seufzte er leise: »Was soll ich sagen, Moddetektiv, seit ich wegen des ärgerlichen Fehlurteils im Rosaplüschhandschellenserienmörderfall – wie Sie wissen, bin ich ja der festen Meinung, dass dieser Jason, der Chauffeur, nicht der Täter gewesen sein kann – um meine Pensionierung angesucht habe*, ist mir ehrlich gesagt ein bisschen langweilig. Ein Tag gestaltet sich wie der andere, und gelegentlich fällt mir ein klein wenig die Decke auf den Kopf, vor allem seit die Mrs. und ich in Quarantäne sind. Verstehen Sie mich nicht falsch, natürlich genieße ich die mir jetzt im Übermaß zur Verfügung stehende Zeit mit Mrs. Krambambo, aber wenn Sie’s genau wissen wollen, das VNAPD geht mir ganz schön ab.«
»Ich verstehe Sie gut, so einem alten Haudegen wie Ihnen, einem Weitüber-einundsiebzig-Fälle-gelöst-Habenden, einem Noch-einer-noch-von-der-alten-Garde-Seienden, fällt es natürlich schwer, loszulassen und von einem Tag auf den anderen nur noch Zeitung zu lesen und den Rasen zu mähen, statt mit einer als ahnungslose Schusseligkeit und wirrer Ungepflegtheit getarnten, perfiden Ermittlungstaktik den Mörder mit kontinuierlichem Hinausgegehe und Sogleichwiederhereingekomme so lange zu verwirren, bis dieser, leichtsinnig geworden, das Handtuch wirft, sich selbst verrät und man sein verdattertes, manchmal auch wahnsinnig gewordenes Gesicht als Standbild sieht, bevor die Schrift kommt und es aus ist.«
»Sie sagen es, Moddetektiv.«
»Na gut, aaaaber: Haben Sie schon mal daran gedacht, Ihre Memoiren zu schreiben? Da gibt’s doch jede Menge spannenden Stoffs zu erzählen, und wer weiß, vielleicht wird eines Tages sogar eine Fernsehserie mit weit über einundsiebzig Folgen daraus gemacht?«
»Ach, ich weiß nicht, schwer vorstellbar, dass das jemand interessiert …«
»Also ich kann mir das ganz gut vorstellen.«
Es wurde still. In weiter Ferne heulten unaufhörlich die Sirenen der Rettungswagen, und während das schrille Zirpen der Zikaden die zunehmend zäh werdende Zeit in zahllose Scheiben zerzupfte, schwoll wie bei einem alten Videofilm, in dem gerade niemand spricht, das Hintergrundrauschen unerträglich laut an.
Der Moddetektiv hatte nicht gedacht, dass es ihm mit dem Inspector so schnell langweilig würde. Immerhin hatten sie sich seit Wochen nicht mehr gesehen. Aber es stimmte schon, seit Krambambo in Rente gegangen war, fehlte ihnen irgendwie die gemeinsame Gesprächsbasis, war ihnen die unter Vollprofis kurz CE genannte Criminal Energy abhandengekommen, die den ganzen verdammt kniffligen Fällen innegewohnt hatte, über die sie sich früher immer so gut hatten unterhalten können.
Und außerdem: Ist es nicht oft so, dass, wenn man jemanden nach langer Zeit wiedersieht, einem viel weniger einfällt, über das man sprechen könnte, als wenn man sich ständig begegnet? Man entfremdet sich eben, jeder geht seinen eigenen Dingen nach, hängt seinen eigenen Gedanken hinterher, lebt sein eigenes Leben, und am Ende hat man einander nichts mehr zu sagen. Eigentlich traurig, dachte sich der Moddetektiv heimlich. Doch dann fiel ihm wieder etwas ein, und das mittlerweile zu einem unerträglich brausenden Tosen angewachsene Hintergrundrauschen ebbte schlagartig