DER MODDETEKTIV BESIEGT CORONA. Christopher Just
»Na, Sie können vielleicht Fragen stellen, aber jetzt, wo Sie’s schon mal erwähnt haben – ja, da bin ich mir ziemlich sicher!«
»Und inwiefern?«, wollte der Moddetektiv sogleich wissen.
»Ich denke, die Seuche wird eine Verasiatisierung der ganzen Welt nach sich ziehen.«
»Verasiatisierung?«
»Sie haben mich richtig verstanden, Moddetektiv, Verasiatisierung. Die Menschen werden wesentlich höflicher, respektvoller und zuvorkommender miteinander umgehen. Der Einzelne wird sich zugunsten der Gesellschaft zurücknehmen. Das hat natürlich Vorteile, aber auch Nachteile: Man wird sich in Zukunft distanzierter, vorsichtiger, möglicherweise auch misstrauischer gegenübertreten. Überhaupt ist zu erwarten, dass die Postcoronaten konservativer sein werden als die Präcoviden. Aber nichtsdestotrotz: Im Miteinander und im Umgang werden die Leute freundlicher als vor der Katastrophe sein.«
Der Moddetektiv, seit jeher ein glühender Verfechter des scharfsinnigen Diskurses, nahm, von der gewagten Theorie Krambambos mäßig beeindruckt, sogleich die Position des Skeptikers ein: »Na, da wär ich mir nicht so sicher. Zumindest was Wien betrifft. Es liegt einfach nicht in der Mentalität der Bewohner dieses offiziell als unhöflichste Stadt der Welt anerkannten Ortes begründet, zuvorkommend, höflich und respektvoll zu sein. Jaja, mag schon sein, vielleicht für eine gewisse Weile, aber mit der Zeit wird sich bei den Leuten ein gewaltiges Potenzial an unterdrückter Unhöflichkeit aufstauen und sich so lange hochschaukeln, bis eines schönen Tages – dann, wenn keiner mehr damit rechnet – es aus dem Ersten, der es nicht mehr länger zurückhalten kann, einem Tourette-Anfall nicht unähnlich, herausplatzt, und er sein Gegenüber genussvoll eine ›ausgeschiedene Anusöffnung‹ heißen wird. Und der als defäkierte Rosette Verunglimpfte wird das nicht lange auf sich sitzen lassen und es stinkenden Fußes mit ›betagtes Skrotum‹ quittieren. Was unweigerlich eine gesellschaftliche Kettenreaktion zur Folge haben wird, im Zuge derer auf kurz oder lang wieder alle so unhöflich sein werden, als hätte es Corona nie gegeben.«
»Na, wir werden ja sehen.«
»Das werden wir.«
Nachdem sie noch ein wenig über Mod und die Welt schwadroniert hatten und die Stille aufs Neue über sie hereinzubrechen drohte, deutete der Moddetektiv dezent an, jetzt dann mal langsam zu glauben, zu werden …
»Jaja, machen Sie nur, Sie haben sicher noch jede Menge zu tun«, sagte der Inspector, doch der traurige Klang in seiner Stimme schnitt dem Moddetektiv tief ins Herz. Viel Einsamkeit lag darin. Damit der Abschied einen nicht allzu betrüblichen Ausklang nahm, stellte er eine Frage, die ihm schon die ganze Zeit auf den coronageschuldet nicht in vollster Blüte stehenden Lippen brannte: »Wie geht es eigentlich Mrs. Krambambo?«
»Den Umständen entsprechend, ich darf wegen der Ansteckungsgefahr natürlich nicht zu ihr ins Schlafzimmer, was ehrlich gesagt nicht immer ganz einfach ist. Wir sind zwar schon alte Leute, nichtsdestotrotz pflegen wir nach wir vor ein reges Sexu-«
»Schweigen Sie augenblicklich, Krambambo, davon will ich absolut nichts wissen!«, rief der Moddetektiv, derbei jäh erschauernd. Der Inspector war ihm ein guter Freund und untadeliger Kompagnon, doch das bizarre Bild eines Krambambo, der sich als blutvoller Beischläfer in ekstatischen Zuckungen auf seiner Mrs. umherwand, bereitete ihm beträchtliche Pein.
»… ihr die Cannelloni vor die Tür und verkrümle mich dann«, war der Inspector derweil wieder in thematisch seichtere Gefilde gesegelt, »… wobei, da fällt mir ein: Wenn mich nicht alles täuscht, sind Sie doch hergekommen, um der Mrs. und mir ein paar Köstlichkeiten vorbeizubringen, oder lieg ich da falsch?«
»Nicht im Geringsten, Inspector.«
»Dacht ich’s mir! Und da frag ich mich doch, verzeihen Sie, Sir, aber das lässt mir einfach keine Ruhe, und ich weiß, dass mich das um drei in der Nacht aus dem Schlaf holen wird, wenn ich da jetzt nicht nachbohre, also: Wie machen wir das mit der Übergabe, wenn ich doch hier im Vorzimmer hinter der geschlossenen Haustür stehe und Sie draußen auf der anderen Seite davor?! Bin gespannt, wie Sie mir das erklären!«
Es tat dem Moddetektiv in der Seele weh, mitanhören zu müssen, wie der Inspector die von ihm selbst in jahrzehntelanger, akribischer Kleinarbeit ausgeklügelte, perfide, eigens zur Überführung der gewieftesten Gesetzesbrecher entwickelte Ermittlungstaktik nur noch bei den banalsten Alltagsdingen wie dem Entgegennehmen von Einkaufstaschen zur Anwendung kam. Nun war äußerste Sensibilität gefragt, um dem Auf-dem-beruflichen-Abstellgleis-Gelandeten nicht auch noch das letzte bisschen Würde zu nehmen. Dessen eingedenk, offenbarte der Moddetektiv eine perfide Strategie: »Was halten Sie von folgender Taktik: Während Sie weiterhin die Stellung halten, begebe ich mich zum Roller, hole die Einkäufe und stelle sie genau auf der Position ab, auf der ich mich jetzt befinde. Damit das klar ist: Auch wenn Sie raschelnde Geräusche oder ein Stöhnen der Anstrengung hören – und das werden Sie! –, bleiben Sie ruhig und machen Sie keinesfalls die Tür auf! Anschließend ziehe ich mich augenblicklich aus dem Gefahrenbereich zurück und begebe mich wieder zu meinem Roller, wo ich dreimal die Hupe betätigen werde. Das ist für Sie das Zeichen, dass die Luft rein ist. Sie öffnen dann die Tür und holen zügig die Einkäufe ins Haus, und vergessen Sie keinesfalls, die Tür danach wieder zu schließen. Alles andere kann fatale Folgen nach sich ziehen. Wenn, so Gott will, alles nach Plan verlaufen ist, begeben Sie sich ans Wohnzimmerfenster und bestätigen mir den erfolgreichen Verlauf der Aktion mittels eines launigen Zuwinkens.«
»Also so was, dass mir das nicht gleich eingefallen ist!«, knusperte es gleich darauf durchs Schlüsselloch und ein Patschgeräusch ließ vermuten, dass sich der Inspector mit der flachen Hand auf die Stirn klatschte.
»Okay – sind Sie bereit?«
»Bin bereit, Moddetektiv.«
»Gut. Dann lassen Sie uns die Sache jetzt durchziehen.«
Der Moddetektiv war bereits auf dem Weg zum Roller, als ihn ein plötzlicher Gedanke herumwirbeln, kehrtmachen und zurück zur Tür kommen ließ. »Inspector?«
»Ja?«
»Vielleicht ist das jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für Sentimentalitäten, aber was ich noch sagen wollte, falls irgendwas schiefgeht: Es war mir eine Ehre, mit Ihnen zusammengearbeitet zu haben, Sir.«
»Mir auch, Moddetektiv, bringen wir das Ding jetzt über die Bühne. Wird schon schiefgehen.«
Und klarerweise ist es genau derselbe wolkenlose Himmel, der sich in geradezu gnadenloser Obszönität wie ein knallblaues Leichentuch über die sterbende Menschheit spannt, und von dem eine senfgelb rotierende Sonne so erbarmungslos herunterleckt, dass man fast glauben muss, es gäbe mittlerweile zumindest zwei von denen, unter dem Birgit am anderen Ende der im Sirup des Virus paralysiert dahinschmurgelnden Stadt schon ganz schwummerig wird, weil ihr die Hitze so brutal auf die Plexiglasniesschutzkugel brennt, aber auch weil sie sich, nachdem die sympathische Schwester Stella sie aus dem fensterlosen Büro hinaus durch ein paar rotbuchenholzimitatausgekleidete, stark nach Desinfektionsmittel riechende Kunststoffkorridore zu einer kleinen Terrasse und von dort hinaus in den hübschen Garten hinüber zu dem feschen Herrn geführt hat, der dort jeden Nachmittag – natürlich nur bei Gutwetter – im Schatten einer uralten Linde mit einem Sauerstoffschlauch in der Nase im Rollstuhl sitzt, denkt, dass das jetzt wieder so eine Geschichte ist, von der man glaubt, dass sie nur dem Gehirn eines ausgesprochen gut aussehenden Kultromanautors entsprungen sein kann.
Zufälle gibt’s, die gibt’s gar nicht, hakt Birgit gedanklich noch einmal nach. Dass sie – weil sie gefunden hat, dass es so einfach nicht mehr weitergehen kann und sie, jetzt wo eh alles den Bach runterzugehen droht, irgendwas Sinnvolles mit ihrem Leben anfangen sollte, irgendetwas Soziales tun muss und es außerdem wegen der Pandemie mit dem wiederaufgenommenen Schauspielstudium ohnehin Essig ist, zumal ihr obendrein das Gspusi mit dem aufstrebenden Jungschauspieler auch schon schön langsam auf den appetitlichen Achtersteven geht, weil der Bub den ganzen Tag bloß depressiv in ihrem im Turmzimmer herumsitzt und raunzt und quengelt, dass