Ich hab mit Ingwertee gegoogelt. Susanne M. Riedel
Michael
Misunderstood
Cause I’m just a soul whose intensions are good O Lord, please don’t let me be misunderstood.
(The Animals, 1965)
Manchmal denke ich: Mein Leben ist eine lange Geschichte von Missverständnissen.
Folgt man meinem Bruder, ging es im Grunde mit meiner Geburt schon los. Er hatte eigentlich einen Schäferhund bestellt. Zum Trost und in einer Geste elterlicher Seltsamkeit haben meine Mutter und mein Vater mir dann übrigens den Namen des Mädchens aus seiner Klasse gegeben, in das mein Bruder zu der Zeit sehr verliebt war. Wenigstens heißt sie schön, mögen sie gedacht haben … und trugen das plärrende Bündel etwas schuldbewusst nach Hause.
Als ich mit drei Jahren in den Kindergarten kam, hatte mir niemand erklärt, dass ich am Nachmittag auch wieder abgeholt würde. Ich dachte, ich wäre ausgesetzt worden und müsste jetzt hier leben, in diesem diakonischen Muff von Bohnerwachs, Klebstoff und Eiernudeln mit Wurstsoße. Das waren bange Stunden in diesem jungen Leben. Die Kastanienmännchen, die ich an diesem Tag bastelte, hätte man keiner Psychologin zeigen dürfen.
Als ich dann in die Schule kam, hatte mir wiederum niemand erklärt, dass ich da in den Tagen nach der Einschulung noch mal hinmusste. Öfter sogar. Das war ein herber Schlag – früh aufstehen war noch nie so mein Ding –, ich tröstete mich mit der Aussicht auf tägliche Schultüten, doch auch die blieben aus.
Und so ist die Reihe im Grunde bis heute fortzusetzen.
Ich habe das alles mal meinen Kindern erzählt, sie konnten sich das überhaupt nicht vorstellen. Nachdem sie mich eine Weile aufgezogen hatten mit der Schulnummer, fielen ihnen dann aber auch Dinge ein, wo sie mal auf der Leitung gestanden hatten.
»Als ich bei WhatsApp neu war, dacht’ ich voll lange, ADHS wäre ’ne Abkürzung für ›Ach du heilige Scheiße‹«, erzählte der eine, und der andere: »Ey, und ich dachte jahrelang, Hartz IV ist eine Droge. Weil es immer so hieß: ›Der ist auf Hartz IV‹ …«
Heute Morgen, als ich mich etwas gestresst für einen wichtigen Termin im Büro aufgebrezelt habe in dem Versuch, möglichst businessmäßig auszusehen, klopfte mir der Kleine anerkennend auf die Schulter und sagte: »Mach dir keine Sorgen, Mum, du siehst total aus wie ’ne Professionelle.«
Und so gibt es sie auch im Kleinerlei des Alltags, diese Missverständnisse, die mich begleiten.
Mein Smartphone ist natürlich ganz vorn mit dabei, von dem fühle ich mich auch oft nicht ernst genommen, von verstanden mal ganz zu schweigen. Ich habe ihm noch keinen Namen gegeben, aber langsam wäre es an der Zeit. Will ich »Spandau« eingeben, schreibt es »Spanien«. Bei »Kreuzberg« »Kreuzigung«. Und schreib ich »Frohnau«, korrigiert es auf – kein Scherz – »Frohnatur«. Was beweist: Mein Smartphone hat von Berlin echt keine Ahnung. Oder ist CDU-Wähler.
Ich krieg natürlich auch andersrum manchmal kryptische Nachrichten. Meine Freundin Moni schrieb vor ein paar Tagen: »Verdammt, ich habe Grips.« Gemeint war vermutlich »Grippe«. Denke ich jedenfalls. Solche Nachrichten ersetzen ja manchmal den Denksport, und ich finde das eher unterhaltsam. Aber – ganz ehrlich – wenn du eine Nachricht zum Geburtstag kriegst, die mit der Anrede »Letzte Sabine« statt »Liebe Susanne« beginnt – da kann man dir noch so viele Nachrichten hinterherschicken, da bleibt was hängen.
Meine liebste Geschichte zu diesem Thema ist Gott sei Dank nicht mir selbst passiert. Das war noch vor der Zeit der Smartphone-Daddelei, als man noch den Anzeigenteil von Zitty las, wenn man weggehen wollte. Und Anzeigen aufgab, wenn man was suchte. Oder jemanden.
Doro war damals nach vielen schrecklich kurzen und meist auch sehr schrecklichen Beziehungen lange in Therapie gewesen, hatte neue Kraft geschöpft und war nun bereit, ihrem Leben eine Wendung zu geben. Tschakka, mag sie gedacht haben und beschloss, dass es nun Zeit sei für einen Neuanfang, einen neuen Mann, eine neue Beziehung. Lange feilte sie an ihrer Kontaktanzeige und entschied sich am Ende nur für einen Satz:
»Ich wäre dann so weit«, dazu ihre Telefonnummer.
Ich fand das ziemlich cool.
Das Problem war dann letzten Endes auch nicht die Anzeige selbst. Sondern dass die Zitty sie unter der falschen Rubrik abdruckte: Statt unter »W sucht M« erschien sie in der Rubrik »Sadomaso«, was dem Text »Ich wäre dann so weit« eine ganz andere Note verlieh – und im Übrigen eine ganze Reihe verstörender, aber durchaus horizonterweiternder Telefonate nach sich zog.
Mein Smartphone piepst, Moni schreibt: »Mir geht es schon viel besser, hab mit Ingwertee gegoogelt.«
Schreibe zurück, dass ich das auch mal probieren werde. »Grips braucht schließlich keiner«, schreibe ich. »Aber jetzt muss ich schlafen, morgen ruft Spanien wieder.«
Na dann. Gute Nacht, Marie.
Das Perlhuhn
Es gibt ja so Sätze, bei denen man einen Moment braucht, bis man weiß, was man darauf erwidern soll. Manchmal fällt es einem auch erst ein, wenn der Betreffende längst schon wieder weg ist, so geht es mir jedenfalls oft.
Letzte Woche beispielsweise habe ich von einem Kollegen eine Blume geschenkt bekommen. Also – fast. Er sagte wörtlich: »Susanne, … ich wollte dir eine Blume zum Abschied schenken. Es wäre eine Calla gewesen, meine Lieblingsblume, … aber dann war es schon so spät.«
Was sagt man da? Danke?! Ich glaube, ich habe »Danke« gesagt.
Ein anderer Kollege erzählte mir ganz unvermittelt von den Vorbereitungen auf seine anstehende Darmspiegelung. Es war noch nicht mal 8 Uhr, ich hatte mir eigentlich nur einen Kaffee holen wollen, seine Tür stand auf, und nun stand ich da in diesem Türrahmen, erwiderte was in der Art von »Ja blöd, dieses ganze Zeug vorher trinken, das macht wirklich keinen Spaß« und wandte mich zum Weitergehen. Doch da hielt er mich zurück. Leise schloss er die Tür hinter uns, sah mir tief in die Augen und sagte nach einer bedeutungsvollen Pause: »Ich habe dann immer solche Schwierigkeiten mit dem Stuhlgang.«
Ich bin Sozialarbeiterin, ich kenne seltsame Gespräche, schon von Berufs wegen – aber Sätze wie dieser überfordern mich. Mein Fluchtinstinkt meldet sich dann, und mir fallen höchstens blödsinnige Antworten ein. In diesem Fall war es: »Na, dann … guten Rutsch!« Was soll man auch sagen?
Erfrischend ist es dann, wenn man statt verstörender Botschaften einfach mal unerwartete Antworten bekommt. Wenn man zum Beispiel eine Kollegin fragt, wie es ihr geht, und sie antwortet mit dem Satz:
»Ich habe ein Perlhuhn getöpfert!«
Meine Kollegin Christa ist aus der Reha zurück und heute den ersten Tag wieder da. Ich freue mich wie Bolle, denn wenn Christa nicht da ist, fehlt mir ihr Lachen, meine Mundwinkel hängen ganz von allein zwei Grad tiefer, auf den Fluren ist es gefühlt zwei Grad kälter und vor allem um einiges langweiliger. Mit niemand anderem berede ich Episoden und Eskapaden, Lokalpolitik und Lotterleben so gerne wie mit Christa. Mit ihr kann man Sorgen teilen, tief schürfen, über Flachwitze lachen und in Sitzungen Grissini rauchen, wenn die nächste Zigarettenpause noch zu lange hin ist.
Christa ist empathisch, bis der Arzt kommt, und die Güte in Person. Wäre die Firma Raumschiff Enterprise, Christa wäre Counselor Troi.
Empathinnen haben es gemeinhin nicht leicht im Leben, deshalb habe ich mich sehr gefreut, als Christa sich die Zeit für eine Reha genommen und sich zur Abwechslung mal ein bisschen um sich selbst gekümmert hat. Nun ist sie zurück, und ich frage: