Ich hab mit Ingwertee gegoogelt. Susanne M. Riedel
heißt »warum«.
Immer wenn wir anfangen und so richtig was schaffen wollen, muss Goran noch mal kurz in den Baumarkt. Zu Globus. Weil er den gut kennt. Auch wenn die nächste Filiale 14 Kilometer entfernt ist. Zu Obi sind’s nur zwei Kilometer, aber Goran sagt, er kann kein Obi.
»Kein Problem«, sage ich also. Und beiße die Zähne zusammen, dass der Zementstaub nur so knirscht. Das ist der Haken an ehrenamtlichen Helfern: Du hast kein Recht zu meckern. Wenn er endlich wiederkommt, ist immer schon Abend, und wir schaffen nix mehr.
Seit ein paar Tagen hat Goran nun seinen Schwager zu Besuch und den auch gleich zum Helfen mitgebracht. Fand ich eine gute Idee.
Seitdem fahren sie immer zu zweit zu Globus und sind für Stunden verschwunden. Sein Schwager heißt auch Goran. Goran und Goran. Könnte ich Comics zeichnen, ich würde ständig malen: Lolek und Bolek war gestern, ich habe Goran und Goran.
Ihr Deutsch ist nicht so gut, heute Morgen sagte der eine mit großer Geste: »Arzt hat gesagt, ich habe Saumagen«, und ging erst mal wieder ins Bett. Gemeint war wohl Sodbrennen. Der andere Goran blieb. Der fing dann an, mit mir über Geld zu verhandeln, weil das in der abgerissenen Küche mit den Mahlzeiten ja nun doch nicht so regelmäßig sei wie gedacht und überhaupt: »Weißtu, brauch ich Geld«, sagte er treu. »Mach ich mir neues Schlafzimmer. Mit Springbockbett, weißtu …«
Wusstich nicht.
Nun sitze ich allein inmitten einer kleinen Ruine, die mal mein Heim gewesen ist. Wenn die Abdeckplane knistert, während das Licht der Abenddämmerung auf die nimmermüden Staubpartikel und die abgeschliffenen Türrahmen fällt, ist es fast ein bisschen romantisch. Ich denke dann, bei Unsere kleine Farm hat’s auch nicht viel anders ausgesehen, und alle waren glücklich, und am Abend spielte Charles Ingalls auf seiner Fidel … Vielleicht sind es aber auch nur die Dämpfe von den offenen Farbeimern, die überall rumstehen, die da irgendwas mit meinem Gehirn machen.
Gestern Abend war ich nach langer Zeit mal wieder unter Menschen, bei der Geburtstagsfeier eines Freundes. Ich verabschiedete mich gegen Mitternacht aus einem eigentlich sehr interessanten Gespräch und hörte mich den Satz sagen: »Ich muss jetzt echt nach Hause, die zweite Lackschicht beim Klavier auftragen.« Später dachte ich, der Mann, mit dem ich mich so nett unterhalten habe, muss das für eine der dämlichsten Ausreden ever gehalten haben. Herr Schall hätte sofort sein Heft gezückt. Christian, wenn du das hier liest: Ich hatte wirklich ein Klavier zu lackieren! Und habe in der Nacht gleich noch das Wohnzimmer fertig gestrichen. Im Schein der alten Glühlampen zog ich Bahn um Bahn in einem leuchtenden pastelligen Blaugrün und ging erschöpft, aber zufrieden schlafen.
Der Farbton heißt Sanfter Morgentau, ich hatte mich am Ende gegen Stilles Wasser und Dächer von Paris entschieden. Die Farben im Baumarkt reden ja inzwischen mit einem. Ich weiß nicht, ob das noch Produktgestalter oder schon Psychologen sind, die die Farbbeschreibungen kreieren. Ich warte ein bisschen darauf, dass sie vor den Regalen direkt einen Stuhlkreis aufbauen und regelmäßige Meetings abhalten: »Hallo, ich bin Susanne, und ich habe mein Schlafzimmer in Caramel gestrichen.« – »Hallo, Susanne.«
Vor mir in der Farbabteilung schob ein unmotivierter Mitarbeiter einem etwas verloren wirkenden, blassen Herren seine frisch angemischte Farbe über den Tresen: »So bitte, einmal Flammendes Herz.«
Der Kunde nahm seinen Eimer und schlurfte mit hängenden Schultern davon. Ich sah ihm lange nach und wünschte ihm von Herzen alles Gute.
Als ich jedenfalls bei Sonnenaufgang die Augen aufschlug und beim gespannten Blick ins frisch gestrichene Zimmer nebenan ein Farbenmeer von lichtdurchflutetem Morgentau erwartete, wurde mir schlagartig klar, dass man bei Glühlampenlicht nichts streichen sollte, was auch tagsüber da ist. Niemals.
Sanfter Morgentau sah nicht wirklich aus wie sanfter Morgentau. Es war mehr so eine Brise Nikotin mit einer verspielten Nuance von Aufwachraum. Eine Farbe, die eine klare Sprache spricht. Eine Farbe, die sagt:
»Könnte echt mal wieder gestrichen werden.«
Verzweifelt rief ich meine Freundin Ela an, um ihre Meinung einzuholen.
Als sie wenig später eintrat und begeistert ausrief: »Oh cool! Echtes Schleswig-Holsteiner Bahnhofsgrau!«, da wusste ich wieder, wozu man Freundinnen hat.
Allmählich legt sich der Staub. Tag für Tag wird es nun etwas gemütlicher auf meinem Bahnhof, ich habe im DB-Shop eine passende Uhr gekauft, dann kann man einfach sagen: »Das ist Stil, alles Absicht, original Schleswig-Holsteiner Bahnhofs-Chic.« Wenn ich das selbstbewusst genug vortrage, setze ich vielleicht einen neuen Trend.
Die Konten sind leer, aber bald ist die Renovierung geschafft.
Mit ein bisschen Glück sieht’s am Ende vielleicht fast so schön aus wie vorher.
Fransen und Flausen
»Well, he was Thailand based
She was an Airforce wife
He used to fly weekends
It was the easy life …«
1981. Meine Welt war so quadratisch wie die Cover der LPs, die ich im Laden gegenüber für lang gespartes Taschengeld erstand. Nach der Single von »Cambodia« kaufte ich die LP »Select«, auf deren Cover die sagenhaft schöne wilde Kim zu sehen war, fortan das Idol meiner frühen Jugend: Kim Wilde. So wollte ich aussehen, so cool, so schön, so zerzaust-feminin.
Es brauchte noch ein wenig Anlauf, um mich dann zusammen mit meinen Freundinnen Tessa und Kirsten auf den Weg zum Friseursalon zu begeben. Salon Vera am Hindenburgdamm, zwischen Butter Lindner und Kartoffel Krohn. Ich hätte nachdenklich werden sollen. Aber es war halt der einzige Friseur, den wir kannten, weil er auf unserm täglichen Weg zur Grundschule lag.
Wild entschlossen, die LP unter dem Arm, betrat ich den Laden und hielt einer mittelblonden, mittelalten und nunmehr mittelmäßig verwirrten Dame mit Schere und Kamm das Cover unter die Nase: »Das will ich. Können Sie das?«
Sie sagte nicht Ja, sie murmelte irgendwas, aber sie sagte auch nicht Nein. So setzte ich mich.
Ich mache es kurz: Sie machte es kurz.
Ich wollte Kim Wilde und ging als Lady Di nach Hause. Ab waren die langen Haare, mich zierte eine 1A-Seitenscheitel-Föhnfrisur.
Ich weiß nicht, was am schlimmsten war: die händeklatschende Begeisterung meiner Mutter über das blonde Prinzesschen, das da mit gesenktem Haupt im Treppenhaus erschien (ich weiß noch, dass sie kurz hinter mich schaute, vielleicht, ob Kirsten dabei war, vielleicht suchte sie aber auch die Schleppe) … oder der Satz meines Vaters: »Na, das ham se ja ganz ordentlich geschnitten, Mädchen!« … oder die tröstenden Worte meiner sehr mitleidig dreinblickenden Freundinnen, die vergeblich versuchten, mit Haargel etwas Unordnung auf meinem Kopf anzurichten.
Die Unordnung auf dem Kopf, das Stachelig-Fransige, es hätte so gut zu den Gedanken darunter gepasst. Diese blieben einstweilen unter einem akkurat geföhnten Pony verborgen.
Cat Stevens kommt mir in den Sinn: »First cut is the deepest.«
Vielleicht war der auch mal beim falschen Friseur.
Sehnsucht nach Rauchzeichen
Ich stehe in der Küche. Mein Induktionsherd hat sich ausgeschaltet, weil er mich vor irgendeiner Gefahr beschützen will, die ich nicht sehe. Die Nudeln sind noch jenseits von al dente, ich habe Hunger, ein Warnsignal blinkt, und ich finde die Bedienungsanleitung nicht.
Im Radio reden sie darüber, wie man Organe mit 3D-Druckern herstellen kann.
Und ich habe es heute Morgen nicht mal geschafft, die Verteilerliste für die Lesebühne in Outlook zu importieren. – Wann ist mein Leben so