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schon das kleine Kapital angreifen müssen. Gisa hatte sich, um die Oede ihrer Tage auszufüllen, viel mit Sprachen beschäftigt, hatte ihre Schulbildung durch Unterricht noch vervollständigt und beherrschte das Französische, das Englische und das Italienische gründlich. Auch hatte sie heimlich Schreibmaschinenunterricht genommen und Buchführung gelernt. Ihr Vormund, Justizrat Völkert, hatte sie in ihren Wünschen hinter dem Rücken der Komtesse Franziska unterstützt. Er und Gisa waren der Meinung, es sei gut, man sorgte vor. Wenn die alte Dame einmal für immer fortgehen musste, dann könnte Gisa sich wenigstens helfen.
Nach dem Frühstück trippelte die alte Dame, wie jeden Tag, am Arm der letzten Wergenheim in den Salon, wo sie sich ans Fenster setzte und auf Vorübergehende wartete. Alle halben Stunden einmal ging jemand durch die Liliengasse; aber ihr genügte das zur Unterhaltung. Die Vorübergehenden vom Fenster aus zu sehen, schien ihr Sensation genug.
Lina, das alte Faktotum des Hauses, war in der Küche beschäftigt, und Gisa machte sich daran, das Zimmer zu säubern. Es war heute Freitag; da war das Wohnzimmer an der Reihe. Sie trug das Geschirr hinaus und rollte den Teppich zusammen. Ehe sie sich an das Klopfen des Persers machte, band sie ein altes braunes Tuch eng um den Kopf. Ein kleines goldblondes Löckchen aber liess sich nicht mit einfangen, es lag wie ein Stückchen gekräuselter Goldfranse über der reinen Stirn.
Es war fast elf Uhr geworden, ehe Gisa fertig war. Draussen klingelte es. Gisa, die gerade aus der Wohnstube trat, öffnete. Um diese Zeit brachte der Briefträger immer die Heidelberger Abendzeitung, aus der sie nun der alten Dame vorlesen musste.
Es war auch der Briefträger, der vor der Tür stand und ihr die Zeitung reichte; aber in dem Augenblick, als er es tat, ging ein Herr vorüber, den Gisa nicht kannte. Er sah sie an, und sie las Bewunderung in seinem Blick.
Im nächsten Moment flog dem Briefträger die Tür ein bisschen zu schroff vor der Nase zu.
Der leichte Knall erschreckte Gisa selbst, und sie dachte: Wie durfte ich mich nur so gehen lassen! Wenig damenhaft hatte sie sich benommen. Sie erblickte ihr Bild im Flurspiegel und musste lachen. Sie sah aus wie ein Stubenmädchen, das sich mit Reinmachen beschäftigt hatte; der Fremde hatte sie sicher für keine Komtesse gehalten.
Abermals klingelte es draussen. Lina war beschäftigt, und so blieb Gisa nichts übrig, als wieder zu öffnen. Sie riss aber erst das Tuch vom Haar und warf die grosse, verhüllende Schürze ab, ehe sie zur Tür ging.
Da stand der Herr von vorhin und rückte leicht an seinem Hut.
„Schönes Kind, melden Sie mich der Komtesse Wergenheim. Uebrigens einen Augenblick, ehe Sie mich anmelden!“ Er trat wie ganz selbstverständlich ein. „Sagen Sie, Mäuschen, was für eine Dame ist die Komtesse?“
Gisa fragte, heimlich belustigt:
„Welche Komtesse, die Tante oder die Nichte? Die Tante hat nämlich die Neunzig schon überschritten, und deshalb wird ihr von der Nichte alles, was sie auch nur ein bisschen aufregen könnte, ferngehalten.“
„Ich glaubte, es gäbe nur eine Komtesse Wergenheim“, meinte er. „Aber nach Ihrem Hinweis ist es besser, Sie melden mich, bitte, der Nichte. Die Dame ist vermutlich auch schon um die Siebzig herum?“
Gisa nickte ernsthaft. „So alt dürfte sie ungefähr sein.“
Er fragte vertraulich: „Kann man mit der jüngeren alten Dame vernünftig reden? Ich komme nämlich wegen der alten Bude. Ich möchte das Häuschen hier ankaufen.“
Gisa erwiderte ernst: „Damit dürften Sie kein Glück haben, Tante Wergenheim verkauft das Haus bestimmt nicht.“
„Geld lockt, mein schönes Kind. Melden Sie mich jedenfalls! Hier ist meine Karte.“
Gisa nahm diese und verschwand damit. Sie dachte nicht daran, den fremden Herrn zu melden. Wozu sollte sich die alte Dame darüber aufregen, dass jemand ihr Häuschen kaufen wollte, an dem sie so sehr hing? Mochte sich der Fremde, wenn die Liliengasse es ihm angetan hatte, anderswo in der Nachbarschaft umschauen.
Sie las drinnen im Wohnzimmer den Namen auf der Karte. „Herbert Willmann“ stand darauf, nichts weiter. Keine Strasse, kein Ortsnamen. Wer war Herbert Willmann, und was war er? Aeusserlich wirkte er vornehm. Er war gross, dunkelblond und schlank und hatte gutgeschnittene Züge. Vielleicht störte in seinem Gesicht ein leichter Spottzug um den Mund.
Nach einem Weilchen kehrte Gisa zu dem Besucher zurück.
„Die Komtesse Wergenheim bedauert, den Herrn nicht empfangen zu können. Ich erklärte ihr den Grund, weshalb Sie gekommen sind, mein Herr, und sie erwiderte, das Haus sei unverkäuflich.“ Sie lächelte. „Unter uns, mein Herr, es hat keinen Zweck, sich in der Sache weiter zu bemühen. Glauben Sie mir nur, für noch so viel Geld gibt die ältere Komtesse das Haus nicht her.“
Herbert Willmann schien die Auskunft wenig zu gefallen. Aber was sollte er anders tun als sich fügen?
„Na, wenn die alten Damen nicht wollen, kann man nichts machen“, lächelte er endlich. „Sie aber, Mädelchen, sind viel zu jung und zu schön, um in dem muffigen Spielzeughaus zu wohnen. Können wir uns nicht mal treffen, um darüber zu reden? Ich —“
Sie fiel ihm scharf ins Wort, während ihre Augen ihn hochmütig ansahen:
„Mir gefällt es in dem muffigen Spielzeughaus sehr gut, und nun halten Sie mich nicht länger auf, mein Herr.“
Sie öffnete die Haustür ziemlich weit, und der Abgeblitzte verbarg seinen Aerger hinter einem Lachen.
„Eine Art und Weise haben Sie, kleine Schönheit, als wenn Sie selbst ein Recht auf die neunzackige Krone hätten! Das haben Sie Ihren Herrinnen gut abgeguckt.“
Er ging; es blieb ihm nichts weiter übrig. Er dachte, auf das Haus könnte er verzichten, so praktisch es auch für ihn gewesen wäre, hier hinter der Klostermauer sein Privatkontor einzurichten. Dann wäre er der Fabrik nahe und sässe doch nicht direkt drin in dem Lärm.
Die Idee war ihm eigentlich erst vorhin im Vorbeigehen gekommen, als er das wunderschöne Hausmädchen gesehen. Er hatte dann jemand draussen gefragt, wem die Villa gehöre.
Das Mädel reizte ihn mehr als das Haus. Er musste sich einmal gründlich überlegen, auf welche Weise er an sie, die ein bisschen sehr spröde zu sein schien, herankam. Er reckte sich. Du lieber Himmel, vor ihm hatte schon so manche kapituliert! Das blonde Mädelchen würde wohl auch schwache Seiten haben.
Keine Silbe erwähnte Gisa der Grosstante gegenüber von dem Besucher. Wozu die alte Dame mit unnützen Dingen behelligen! Sie las ihr dann aus der Heidelberger Zeitung vor und stiess dabei auf die Annonce:
„Gesucht als Sekretärin einer Autofabrik junge Schreibmaschinendame, die französisch und englisch korrespondieren kann und etwas von der Buchführung versteht. Angebote an Schloss Wernersruhe.“
Gisa nahm die Zeitung mit in ihr Zimmer und las die Annonce immer wieder. Als hätte jemand sie eigens für sie aufgesetzt, so klang sie. Wenn Tante Franziska doch nur mit sich reden liesse, dann würde sie die vorteilhafte Gelegenheit ergreifen und sich bei dem Autofabrikanten im Schloss melden. Es wäre doch wunderschön, wenn sie die erworbenen Kenntnisse verwerten und Geld dafür eintauschen könnte.
Sie ging nachmittags zum Justizrat Völkert und fragte ihn um Rat.
Der Justizrat, den Gisa in seinem Büro aufgesucht hatte, schüttelte den Kopf.
„Ich war sehr dafür, dass Sie etwas lernten, um sich im Notfall Ihr Brot verdienen zu können; aber die alte Komtesse dürfen Sie nicht mit Ihrem Wunsch erschrecken. Sie verstände Sie nicht. Eine Wergenheim, die sich Geld verdienen möchte wie ein beliebiges bürgerliches Fräulein, das wäre geradezu ein Skandal in ihren Augen, und eine Zweiundneunzigjährige lernt nicht mehr um. Solange Ihre Urgrosstante lebt, ist es für Sie eine vollkommene Unmöglichkeit, sich ausserhalb des Hauses zu betätigen.“ Sein schmales Gelehrtengesicht lächelte ernst, als er wiederholte: „Eine vollkommene Unmöglichkeit! Uebrigens kenne ich den Herrn, der die Autofabrik hier gründen will; er hat meine Hilfe auch schon in Anspruch