Schritte in der Nacht. Anny von Panhuys

Schritte in der Nacht - Anny von Panhuys


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gut, dass du gekommen bist, Louis! Jetzt können wir gleich in die Kirche fahren. Wir dürfen uns nicht verspäten, damit der Herzog und die Herzogin nicht zu warten brauchen, sie sind doch unsere Trauzeugen.“ Sie streckte die Rechte aus. „Gib mir deine Hand, Louis!“

      Gisa bat: „Nehmen Sie ihre Hand, bitte!“

      Er fasste mit seiner nervigen Rechten die dünnen Finger, die sich entsetzlich haltlos in die Männerhand schoben, und sagte mit dem betörend-zärtlichen Klang, der Gisa so beunruhigte: „Wir fahren jetzt in die Kirche. Dort traut man uns, und wir werden sehr, sehr glücklich sein.“

      Aber er sah, während er das sagte, unausgesetzt Gisa an.

      In diesem Augenblick kam aus dem Mund der alten Komtesse ein Gurgeln und Röcheln, die Blumen rollten von der Decke auf den Fussboden, und dann trat beklemmende, dumpfe Stille ein.

      Gisa sah die starren Augen, das wächserne, winzige Altfrauengesicht und schrie laut auf, taumelte und fiel halb bewusstlos in die Arme des Mannes, der eben erst seine Hand aus der Hand einer Toten gelöst.

      Es durchzuckte Herbert Willmann, den Augenblick auszunützen und den Mund der schönen Gisa zu küssen; doch seine Klugheit hielt ihn davon zurück. Er wagte nur, ihr leicht über das Haar zu streichen und zu flüstern:

      „Armes Komtesschen! Liebes, armes Komtesschen!“

      Langsam machte sie sich aus seinen Armen frei, blickte ihn bestürzt an und barg das Gesicht in den Händen. Ihr wurde erst jetzt klar, sie hatte in Herbert Willmanns Armen gelegen.

      Er sagte weich und zärtlich: „Der alten Dame ist wohl. Sie war müde; ihr Lebensweg war lang.“

      Gisa machte ein paar Schritte vorwärts, und ihre Hände sanken herab. Vor dem Lager der Toten brach sie in die Knie.

      Herbert Willmann nahm die Nelken vom Bettvorleger auf und schob sie der alten Komtesse zwischen die nahe beieinanderliegenden Hände.

      Gisa beobachtete seine Bewegungen und sah, wie er der Toten den letzten Liebesdienst erwies und ihr die Augen zudrückte.

      Da brach sie zusammen, wusste nicht mehr, was um sie her vorging.

      Sie hörte nicht mehr das Eintreten des Arztes, wusste nicht, dass sie von den starken Armen Herbert Willmanns in ihr Zimmer getragen wurde.

      Als sie aus ihrer Ohnmacht erwachte, sass Lina an ihrem Bett, und der alte Hausarzt lächelte ihr ernst entgegen:

      „Gott sei Dank, dass Sie endlich wieder zu sich kommen, Komtesse! Die Ohnmacht hat beängstigend lange gedauert.“

      In Gisa meldete sich die Erinnerung. Sie fragte bebend:

      „Ist es wahr, dass Tante tot ist? Oder habe ich das nur geträumt?“

      Linas grauhaariger Kopf zuckte, bedrängt von der Frage, nervös hin und her; aber der Arzt erwiderte leise:

      „Sie dürfen sich nicht wieder so stark aufregen, Komtesse, ich bitte Sie. Ja, Ihre Tante ist tot, aber sie muss einen wundervoll leichten und schnellen Tod gehabt haben, einen beneidenswerten Tod. Um ihren Mund hat sich ein Lächeln verfangen, das von einem glückseligen Sterben zeugt.“

      Gisa erinnerte sich daran; die alte Frau hatte die Schwelle des Lebens mit der Illusion überschritten, dass sie mit dem Mann, den sie einmal in ferner Jugendzeit geliebt, in die Kirche ginge — zum Traualtar, wo die Trauzeugen, der Herzog und die Herzogin, auf sie warteten.

      Und Herbert Willmann verdankte sie die Illusion!

      Herbert Willmann! Hatte sie selbst nicht minutenlang an seiner Brust geruht? Hatte er nicht sanft über ihr Haar gestrichen und betörend zärtlich geflüstert: Armes Komtesschen! Liebes, armes Komtesschen“

      Sie drückte den Kopf tief in die Kissen.

      Der alte Hausarzt riet:

      „Ruhen Sie nur aus, Komtesse, und stehen Sie noch nicht gleich auf. Was jetzt notwendig ist, wird auch ohne Ihr Zutun geschehen. Herr Willmann hat sich bereiterklärt, alles zu ordnen.“

      Gisa horchte auf. Sie sagte hastig:

      „Herr Willmann ist uns doch ein ganz Fremder. Tante kannte ihn ja kaum, und ich weiss auch nicht viel von ihm.“

      Lina erwachte aus dumpfem Vorsichhingrübeln.

      „Das ist es ja gerade, man kennt so einen Menschen gar nicht, und er kommt so mir nichts, dir nichts mit seinem Deifelskarren und mordet die alte Gnädige.“

      Der Arzt klopfte sie auf die Schulter.

      „So dürfen Sie nicht reden, Lina. Von der Autofahrt ist die Komtesse nicht gestorben. Sie war zweiundneunzig Jahre alt, und ihre Zeit war um.“

      „Ohne den Deifelskarren wäre die alte Gnädige hundert Jahre geworden!“ ereiferte sich Lina. „Ich will von dem Menschen, dem reichen Kerl, der das Schloss gekauft hat und jetzt das Kloster verschandeln will, nix wissen, partu gar nix, und wenn Sie auf mich hören, Komtesschen, lassen Sie ihn hier nicht mehr rein, er hat Unglück ins Haus gebracht.“

      Der Doktor schüttelte den Kopf. „Sie sind unvernünftig, Lina.“

      Gisa aber war, als höre sie eine zärtliche Männerstimme sagen: Armes Komtesschen! Liebes, armes Komtesschen!

      3.

      Gisa Wergenheim und Herbert Willmann sassen sich in der engen Traulichkeit des kleinen Biedermeiersalons gegenüber. Er war vor fünf Minuten gekommen und hatte ihr erklärt, nun sei alles geordnet, was irgendwie mit dem Tode der alten Dame zusammenhinge, und er stehe ihr weiter vollkommen zur Verfügung.

      Gisa blickte ihn dankbar an.

      „Sie haben sehr viel für mich getan, Herr Willmann. Ohne Sie wäre die Beerdigung und alles Drum und Dran bestimmt nicht so glatt gegangen. Sie haben alles sehr gut arrangiert, und Tante hat ein prachtvolles Begräbnis gehabt. Mein Vormund, Justizrat Völkert, sagt das auch. Ich bin Ihnen sehr verpflichtet, und ich bitte Sie nun, die Rechnungen an Justizrat Völkert zu senden.“

      Er verneigte sich im Sitzen. „Komtesse, das wird ja erledigt werden, viel wichtiger ist nach meiner Ansicht etwas anderes.“

      Er blickte sie an, die in dem kreppbesetzten schwarzen Kleid geradezu hinreissend rührend und lieblich aussah. Er erhob sich.

      „Komtesse, ich bitte Sie um Ihre Hand. Sie stehen jetzt ganz allein in der Welt, und ich liebe Sie. Verzeihen Sie, wenn ich schon jetzt davon spreche, aber ich meine, es wäre für Sie gut, recht bald hier herauszukommen.“

      Gisa schüttelte den Kopf.

      „Ich kenne Sie zu wenig, um Ihre Frau werden zu können.“

      Er lächelte: „Sie haben doch schon einmal, wenn auch nur für Minuten, an meinem Herzen geruht, Komtesse, und ich kann diese Augenblicke nicht vergessen.“

      Ueber ihr blasses Gesicht jagte rasches Rot.

      „Wenn Sie mich nach Ablauf des Trauerjahres noch einmal fragen, ob ich Ihre Frau werden will, dann hoffe ich, Ihnen eine klare Antwort geben zu können. Heute ist es mir unmöglich. Dringen Sie, bitte, nicht in mich, ich bin ausserstande, Ihnen etwas anderes zu erwidern.“

      Er hätte am liebsten die Arme ausgestreckt und die schöne Gisa Wergenheim an sich gerissen wie eine Beute: aber er bezwang sich. Bei Gisa konnte er mit einer Unüberlegtheit alles verderben.

      Er setzte sich wieder und sann. Noch niemals war er vom ersten Augenblick an so über alle Begriffe verliebt gewesen wie jetzt in Gisa Wergenheim. Noch niemals hatte er vordem daran gedacht, sich zu binden; aber in Gisa sah er die Frau, die vorzüglich zu ihm passte. Sie war schön und jung und trug einen klingenden Namen. Man würde ihn um die goldblonde, graziöse Köstlichkeit beneiden. Er sagte in bedauerndem Tonfall:

      „Wie schade, dass Sie eine so lange Ueberlegungsfrist brauchen! Aber vielleicht kürzen Sie sie doch etwas ab. Ich hoffe, Sie sehen schon bald ein, dass ich Ihnen ein guter Begleiter durchs Leben


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