Schritte in der Nacht. Anny von Panhuys

Schritte in der Nacht - Anny von Panhuys


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die Uebersetzung sehr wichtig ist, kann ich ja zu Hause noch ein paar Stunden daran arbeiten“, erbot sie sich.

      Er hätte ihr beinahe ins Gesicht gelacht. Die Uebersetzung flog, wenn sie fertig war, ins Feuer.

      Er antwortete:

      „Nein, nein, es genügt, wenn Sie hier daran arbeiten, Komtesse.“ Er sah sich die Bogen an, die sie mit der Hand vollgeschrieben, und lobte: „Sie haben eine hübsche, klare Schrift. In den nächsten Tagen erhalten Sie eine Schreibmaschine.“

      Gisa verabschiedete sich kurz und höflich. Sie verspürte gesunden Hunger und eilte nach Hause, so schnell sie konnte.

      Lina öffnete ihr mit verzweifelter Miene.

      „Das gute Schnitzel ist schon verbraten, und die Speise ist zusammengefallen, Komtesschen. Wo bleiben Sie denn um des Himmels willen? ’s ist eine ganz verdrehte Sache, in die Sie sich eingelassen! Hat man sowas schon in der Welt gehört, dass eine Komtesse Wergenheim zu einem simplen Herrn Willmann ins Haus läuft und Schreiberdienste für ihn tut? Die alte Gnädige tät’ wiederkommen, um Ihnen den Marsch zu blasen, wenn sie ahnte, was Sie anstellen, Komtesse.“

      „Das verstehst du nicht, Lina“, beruhigte sie Gisa. „Heutzutage ist so etwas vollkommen an der Tagesordnung. Für mich ist die Hauptsache, zu arbeiten und Geld zu verdienen, damit das kleine Kapital möglichst erhalten bleibt.“

      Sie setzte ernst hinzu: „Man kann nie wissen, wie es im Leben noch kommt.“

      Lina brummte: „Wie es kommt, ist klar. Sie werden heiraten, und dann sind Sie versorgt, und die alte Lina geht mit. Aber Bürofräulein sollten Sie nicht spielen, oder wenn es schon sein muss, nicht bei dem Fremden, der hier in unser Städtchen reingeschneit ist wie ’ne Strafe Gottes.“

      „Aber, Lina!“ verwies Gisa sie. „Du gehst mit deiner Ungerechtigkeit gegen Herrn Willmann zu weit.“

      „Gar nicht weit genug kann ich gehen“, erregte sich die alte Haushälterin und stemmte die Hände unternehmend auf die Hüften. „Ich sage es noch hundertmal: er ist eine Strafe Gottes. So lange haben wir gut und friedlich gelebt, bis der Mensch hier auftauchte und mit seinem Deifelskarren die arme alte Gnädige ins Verderben lockte. Ich hab’ die alte Gnädige gewarnt; aber der verflixte Mensch muss sie emailliert haben, oder wie das heisst, wenn einer einen anderen Menschen durch seine Augen zwingt, was zu tun, was er eigentlich nicht tun will.“

      „Du meinst, er muss sie hypnotisiert haben“, lächelte Gisa.

      Die gute Alte war in ihrem ungerechten Zorn sehr komisch.

      „Ja, lachen Sie mich nur aus, Komtesse“, fuhr sie jetzt auf, „ich kann es Ihnen nicht verwehren; aber Sie werden noch einsehen, ich habe recht gehabt. Mir gefällt der Mosjöh nicht, vor dem hier alle katzbuckeln, weil er ja wohl viel Geld haben soll. Vor dem ollen schmutzigen Geld kriechen ja die meisten Menschen, bloss ich nicht. Sie kriechen auch davor, Komtesse, Sie auch, sonst würden Sie nicht für den Mann arbeiten, wo Sie es doch nicht nötig haben. Ich habe schon bemerkt, wenn er Sie anguckt, dann flimmert in seinen Augen was widerwärtig Gieriges.“

      Gisa wandte sich ab.

      „Wenn wir uns hier noch lange auf dem Flur unterhalten, Lina, werden die Schnitzel bestimmt nicht besser.“

      Lina wackelte ein bisschen mit den sehr runden Schultern.

      „Sie wollen bloss nix mehr hören. Die Wahrheit hört eben keiner gern. Ich bleibe dabei, ohne den Mosjöh ässe die alte Gnädige heute mit Ihnen am Tisch Schnitzel.“

      Sie schob ab in die Küche, und Gisa ging etwas verdriesslich ins Wohnzimmer, wo der Tisch bereits gedeckt war. Sie war so frohgelaunt heimgekommen, es war ein so angenehmes Gefühl gewesen, etwas gearbeitet zu haben, wofür sie Geld verdiente, und nun hatte der Empfang sie um ihre ganze gute Stimmung gebracht.

      Lina war zuweilen kindisch. Sie liess sich nicht ausreden, dass Herbert Willmann an dem Tod ihrer über alles verehrten Herrin schuld war.

      Das Mittagessen schmeckte Gisa gar nicht, obwohl die Schnitzel ausgezeichnet waren; sie kämpfte mit einer bösen Verstimmung. Endlos schien ihr der Nachmittag, und sie dachte mit förmlicher Sehnsucht an das schöne, hohe Zimmer im Schloss, in dem sie heute gearbeitet. Arbeit war ein Gnadenquell, dessen Trank frisch machte und alle schweren Gedanken in den Hintergrund zwang.

      Jetzt sass sie in dem Biedermeiersalonchen und kam sich grenzenlos einsam und verlassen vor. Das Haus war so klein; aber es schien ihr heute unendlich gross. Furcht vor dem Leben erwachte in ihr, und ihr Herz klopfte überschnell und schmerzhaft.

      4.

      Auf dem Klostergrundstück wurde in rasender Eile gearbeitet. Geld ist Macht, Geld kann Wunder schaffen. Die früheren Klostergebäude wurden zu Werkstätten und Hallen umgebaut. Wo einst die engen Zellen der frommen Schwestern gewesen, weiteten sich luftige Büroräume, die mit hellen, praktischen Möbeln ausgestattet wurden, und dort, wo der grosse Speisesaal die Nonnen zu einfacher Mahlzeit vereint, entstand die Kantine, in der derbe Arbeiter für wenig Geld eine kräftige Mahlzeit erhalten würden, aber auch gutes, schäumendes Bier oder ein Schnäpschen, damit die Arbeit besser voranginge. Im Betsaal, wo einst manch frommes Miserere zum Schöpfer emporgedrungen, sollten Drehbänke installiert werden. Eins der Gebäude wurde zur Montagehalle umgebaut, ein anderes war für den Karosseriebau vorgesehen.

      Herbert Willmann hatte viel zu tun; er hielt sich ganze Stunden lang in dem Bereich des ehemaligen Klosters auf, und da er dafür gesorgt hatte, dass sein Büro zuerst fertig wurde, sass er meist dort und leitete von dort aus die Arbeiten, deren Fäden in seinen Händen zusammenliefen, obwohl die Ausführung einem Architekten des Städtchens übergeben war. Es gab da zu viel, was nur der Herr des Werkes, das hier entstand, anordnen konnte.

      Gisa arbeitete nun schon seit sechs Wochen als Sekretärin Herbert Willmanns; aber sie erhielt immer noch dieselben Aufgaben. Hatte sie einen Artikel aus einer französischen Fachzeitung übersetzt, sah ihr Chef ihn flüchtig durch, lächelte: „Ausgezeichnet, Komtesse, Sie sind eine geradezu ideale Hilfe für mich!“ und gab ihr eine neue Uebersetzung — zur Abwechslung aus einer englischen oder italienischen Fachzeitung. Ihr stand jetzt eine schöne, funkelnagelneue Schreibmaschine zur Verfügung. Gisa übte auf diese Weise Englisch, Französisch, Italienisch und Schreibmaschine; auch eignete sie sich allerlei Fachkenntnisse an über den Automobilbau und alles, was damit zusammenhing, und was für sie noch vor kurzem böhmische Dörfer gewesen. Sie wunderte sich nur zuweilen ein bisschen, dass die Uebersetzungen, die sie machte, von so grosser Wichtigkeit waren, dass Herbert Willmann sie in solchen Mengen für seine Ingenieure und Meister anfertigen liess. In Deutschland wurden doch auch viele Autos gebaut und zwar, wie sie in den fremdsprachlichen Artikeln las, ausgezeichnete. Wurde denn da in den deutschen Fachzeitungen gar nichts von alledem geschrieben, was man im Ausland schrieb? Aber sie zerbrach sich nicht weiter den Kopf darüber. Grundlos würde ihr Herbert Willmann die Arbeit nicht geben, für die er sie bezahlte.

      So sass sie denn jeden Wochentag von zehn bis eins an dem schönen, breiten Schreibtisch in dem luftigen, hübschen Schlosszimmer, dessen Fenster nach dem kleinen Park hinausgingen, und übersetzte. Herbert Willmann begrüsste sie stets in der Halle. Er hielt daran fest, ihr entgegenzukommen; aber er blieb jetzt selten länger als eine Viertelstunde bei ihr sitzen, wenn sie arbeitete. Dann ging er in sein Klosterbüro. Aber die Viertelstunde verbrachte er damit, sie anzusehen und ihr schönes Bild immer fester in sich aufzunehmen. Hätte er länger bei ihr gesessen, würde er dem heissen Verlangen, sie an sich zu reissen, kaum noch haben widerstehen können.

      Doch er sagte sich noch immer, er dürfte nichts Unüberlegtes tun, wenn er sich nicht das Glück, Gisa Wergenheim einmal sein zu nennen, verscherzen wollte.

      Sie wurde allmählich immer zutraulicher. Manchmal fragte sie ihn nach fachmännischen Dingen, die ihr bei den Uebersetzungen aufgefallen, und bat ihn um eine Erklärung.

      Er dachte, es könne ja nichts schaden, wenn sie etwas von Automobilen verstand. Er würde ihr später einen extraschönen Wagen bauen, den sie selbst steuern sollte. Denn seine Frau musste Autofahren


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