Schritte in der Nacht. Anny von Panhuys

Schritte in der Nacht - Anny von Panhuys


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glänzend, in die Gisa Wergenheim hineingeschlüpft war.

      Herbert Willmann aber hatte sich inzwischen nach einer zweiten Sekretärin umgesehen; denn zum Diktieren und Briefeschreiben benötigte er eine geübte Kraft, mit der er durch lange Erläuterungen keine Zeit zu vertrödeln brauchte. Er hatte ja nun sein eigenes Büro im Kloster, in dem die Dame ihren Platz finden sollte. Er hatte auf die Empfehlungen eines Bekannten in Stuttgart eine junge Dame mit ausgezeichneten Zeugnissen engagiert, und heute erwartete er sie. Sein Bekannter hatte scherzend in seinem Empfehlungsbrief geschrieben: Wenn du Betty Hartung siehst, halte dein arg eindrucksfähiges Herz fest, alter Don Juan, denn die Kleine ist bildhübsch!

      Er hatte über den Satz gelächelt. Wer täglich eine Gisa Wergenheim bewundern durfte, dem konnte so leicht kein weibliches Wesen mehr gefährlich werden. Immerhin sah er dem Erscheinen der neuen Sekretärin doch mit Neugier entgegen.

      Es war ein sehr heisser Tag, und seit den frühen Morgenstunden hatte es schon von ferne leise gedonnert, ohne dass das Gewitter näherkam. Der Himmel war bis vor kurzem über dem Städtchen noch blau gewesen; aber allmählich drängten sich die Wolkenbänke zusammen, schoben sich vor das lichte Blau des Julihimmels.

      Im Schloss sass Gisa und übersetzte, doch sie kam heute nur langsam vorwärts. Das drohende Wetter, die schwüle Luft, die vom Park ins Zimmer drang, versetzten sie in jene eigentümliche Stimmung, die viele Menschen vor starken Gewittern überfällt.

      Herbert Willmann empfand eine ähnliche Stimmung, die er aber, ärgerlich auf sich selbst, abzuschütteln suchte. Es klopfte. Er rief fast barsch herein. Karl Schneider trat ein, der Bürodiener, der seit ein paar Tagen Dienst tat. Er war ein dürftiges Männchen mit grauem Haar und wichtigem Gesichtsausdruck — ein früherer Schulpedell, der würdevoll tat wie ein alter Lehrer aus Grossmutters Tagen. Er meldete:

      „Fräulein Betty Hartung wünscht, sich vorzustellen!“

      „Lassen Sie das Fräulein rein“, erwiderte Willmann ein bisschen brummig, denn er kämpfte noch immer mit der seltsam beengenden Stimmung. Er hatte im Augenblick gar keine Lust, sich mit der Bürodame zu unterhalten, wollte es aber kurz machen und dann ins Schloss eilen; denn Gisa Wergenheim fürchtete sich vielleicht vor dem Gewitter. Es war eine gute Gelegenheit, sich einmal wieder ein bisschen anders mit ihr zu unterhalten als in dem trockenen Ton des Chefs, den sie ja von ihm verlangt hatte.

      Eben öffnete der Bürodiener die Tür weit, um die junge Dame, die hinter ihm auftauchte, an sich vorüber ins Zimmer treten zu lassen, als ein Blitzstrahl niederfuhr, der alles in sein starres, blendendes Licht tauchte und der Eintretenden das Aussehen einer Wachsfigur gab. So standen sie sich ein paar Herzschläge lang gegenüber, der Chef der zukünftigen Willmann-Werke und die Kontoristin Betty Hartung. Ein Donner folgte dem Blitz, der wie tolles Maschinengewehrfeuer klang, und die zwei, die sich bei Blitz und Donner zum ersten Male gesehen, atmeten auf und blickten einander — vielleicht noch unter dem Eindruck des grellen Blitzes und des betäubenden Donners — unwillkürlich schärfer und forschender an, als sie es vielleicht sonst getan hätten.

      Herbert Willmann reichte dem sehr schlanken, etwas mehr als mittelgrossen Mädchen die Hand.

      „Sie sehen, welch einen festlichen Empfang Ihnen das Städtchen Wernersruhe bereitet, Fräulein Hartung. Sie werden hoffentlich zufrieden sein.“

      Er betrachtete dabei immer noch die vor ihm Stehende, die ihre Hand flüchtig in die seine legte.

      „Ja, ich wurde sehr festlich empfangen“, lächelte ein Mund, der vielleicht zu gross war, um schön zu sein, aber so blendend weisse Zähne aufwies, dass er förmlich aufreizend wirkte. Das Gesicht war pikant unregelmässig und von jener Weisse, die man oft an Rothaarigen bewundert.

      Auch Betty Hartung hatte rotes Haar; ein paar Löckchen schauten unter dem schwarzen, kappenförmigen Strohhut hervor. Die Augen waren grünlich und etwas schmal, die Aussenwinkel zogen sich leicht zu den Schläfen hinauf. Schwarze, strichdünne Brauen standen darüber.

      Ob Betty Hartung bildhübsch war, wie sein Bekannter geschrieben, darüber war Willmann sich noch nicht klar; jedenfalls war sie sehr apart.

      Er wies auf einen Stuhl.

      „Nun will ich Ihnen kurz Bescheid sagen, Fräulein Hartung. Die Gehaltsfrage ist ja bereits brieflich erledigt worden.“

      Betty Hartung setzte sich, und während sie mit dem Gürtel ihres grünen Regenmantels spielte, hörte sie an, was ihr neuer Chef ihr über ihre Stellung und seine Ansprüche erklärte. Er schloss:

      „Wenn Sie noch keine Unterkunft hier haben, rate ich Ihnen, sich an den Bürodiener Schneider zu wenden. Er ist ein Einheimischer und wird Ihnen gern ein passendes Zimmer besorgen.“

      Blitz und Donner schienen sich von der besonderen Anstrengung vorhin ausgeruht zu haben. Es war fast zehn Minuten ganz still gewesen. Doch jetzt brach ein solcher Tumult los, und der Regen prasselte in so breiten Strömen nieder, dass Herbert Willmann nicht daran denken konnte, ins Schloss zu gehen. Er musste bleiben, wo er war. Er konnte doch Betty Hartung auch nicht in das furchtbare Wetter hinausschicken. Er sagte:

      „Machen Sie es sich bequem; denn so bald scheint das Unwetter nicht aufzuhören.“

      Das junge Mädchen zog den Mantel aus, und Herbert Willmann sah, sie hatte eine prachtvolle Figur; auch war sie hübsch und geschmackvoll angezogen. Sie trug ein schwarzes Kleid aus dünnem Tuch mit weissen Tüllmanschetten und um den Hals einen Tüllkragen, dessen Enden in Form eines Fischüs über die Brust fielen.

      Nun nahm sie den Hut ab, und sofort sprühte das kurze, gelockte Haar hervor wie köstlicher Brand. Keine andere Haarfarbe hätte zu diesem schmalen, weissen Gesicht so gepasst wie das eigenartige Rot, das zu grell war, um Mahagoni genannt zu werden.

      Ganz ungeniert lachte Betty Hartung ihren neuen Chef an.

      „Gelt, ich bin ein schrecklicher Rotfuchs, Herr Direktor? Aber ich kann ja nichts dafür.“

      Er musste auch lachen. Diesen blinkenden Zähnen konnte er nicht widerstehen.

      Auf ein Klingelzeichen seines Herrn trat der Bürodiener ein. Er sollte der Sekretärin ein Glas Wasser bringen; sie hatte darum gebeten. Als Karl Schneider wieder draussen auf dem Flur stand, brummelte er in sich hinein:

      „Brandrote Haare hat sie und grüne Augen und fletscht die Zähne wie eine Negerin.“

      Er schüttelte sich, den Rothaarigen traute er nun mal nicht.

      Herbert Willmann aber war mit Betty Hartung ins Plaudern gekommen. Er fand sie amüsant und ihm fiel eigentlich erst jetzt auf, er war hier in der kleinen Stadt etwas schwerfällig geworden. So ein frischer, kleiner Wind von draussen tat ihm gut. Mit Gisa musste er umgehen wie mit einem Porzellanpüppchen. Sie sollte sein werden und die Herrin seines Hauses; aber um dieses Ziel nicht in Gefahr zu bringen, durfte er keinen Augenblick vergessen, dass sie ein ganz abseits alles grossen Lebens aufgewachsenes Komtesschen war, das die Rücksichten einer Dame mit patriarchalischer Vergangenheit verlangte.

      „Wann beginnt meine Arbeitszeit morgen?“ fragte Betty Hartung.

      „Um neun Uhr“, gab er zurück. „Hoffentlich kann Ihnen Schneider bald ein Zimmer besorgen, sonst müssen Sie ein paar Tage im „Adler“, wo Sie abgestiegen sind, wohnen bleiben.“

      Das Wetter hatte sich ausgetobt, und Herbert Willmann rief den Bürodiener, dass er sich der neuen Sekretärin annehme. Er selbst eilte nach Hause. Wenn er Gisa Wergenheim noch im Schloss antreffen wollte, war es die höchste Zeit.

      Sie war gerade dabei, ihre Arbeit zusammenzulegen, als er ins Zimmer trat. Er lobte wie immer ihren Fleiss; sie aber sah ihn ernst an.

      „Ich meine manchmal, Herr Willmann, die Arbeit, mit der ich jetzt schon seit Wochen beschäftigt bin, ist vorläufig gar nicht so sehr wichtig. Sie haben mir noch keinen einzigen Brief diktiert oder mir Arbeiten gegeben, die mit der Fabrik direkt zu tun haben.“

      Er machte sein harmlosestes Gesicht.

      „Die Artikel, die Sie übersetzen, sind, ich erklärte es


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