Mehrsprachigkeit und das Politische. Группа авторов
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Sprache und Schrift im baltischen Raum
Liina Lukas
Abstract: In einem multilingualenMehrsprachigkeitmultilingual Kulturraum wie dem (früheren) BaltikumBaltikum, sind Sprache und SchriftSchrift immer eine Angelegenheit der PolitikPolitik/politics gewesen. Die Geschichte des BaltikumsBaltikum kennt Sprachstreit und Schriftkriege, kurzfristige Sprach- und Schriftwechsel, Verlust von Sprachen, Funktionswechsel der Sprachen, Erneuerung der Sprachen. In meinem Beitrag werde ich einen historischenhistorisch Überblick über die komplizierten mündlichenMündlichkeitmündlich wie schriftlichenSchriftschriftlich Sprachverhältnisse im BaltikumBaltikum geben und verschiedene Modelle von Zwei- (oder Mehr-)sprachigkeit in den Literaturen des BaltikumsBaltikum in der Geschichte und heute anführen.
Keywords: Das Baltikum; estnische Literatur; deutschbaltische Literatur; estnischrussische Literatur; Mehrsprachigkeit; Zweisprachigkeit
1 Gesprochene und geschriebene Sprachen
Die Verbreitung der SchriftSchrift nach Alt-LivlandAlt-Livland (dem Gebiet des heutigen EstlandEstland/Estonia und LettlandLettland/Latvia) fand im Zuge der deutschDeutschlanddeutsch-dänischendänisch Eroberung am Ende des 12. Jahrhunderts und zu Beginn des 13. Jahrhunderts ihren Anfang. In EuropaEuropa war das die Periode der „Explosion der SchriftlichkeitSchriftSchriftlichkeit“ (Stein 2006: 159–170). Zu diesem Zeitpunkt hatte die Schrift, die bisher hauptsächlich in der elitären lateinsprachigen Sphäre gepflegt wurde, auch schon die VolkssprachenVolkVolkssprache erreicht und umfasste nun außer der kirchlichen Sphäre auch die säkulare, regelte sowohl politischePolitik/politicspolitisch/political, juristische, administrative als auch gesellschaftliche Beziehungen.
Die Urbevölkerung Alt-LivlandsAlt-Livland war der SchriftSchrift unkundig. Man sprach finno-ugrischefinno-ugrisch und baltische Sprachen: auf dem Gebiet des heutigen EstlandEstland/Estonia die nordestnischeEstland/Estoniaestnisch Sprache und die südestnische Sprache, auf dem Gebiet des heutigen LettlandLettland/Latvia LettgallischLettgallisch, SemgallischSemgallisch, SelonischSelonisch, LivischLivisch und KurischKurisch samt deren DialektenDialekt/Mundart.
Unschriftlichkeit eines VolksVolk heißt natürlich nicht, dass man es irgendwie außerhalb der „Kultur“ situieren und als „kulturlos“ auffassen könnte. In primär mündlichenMündlichkeitmündlich Kulturen gab es eigene – und auch durchaus effektive – Kommunikationsmedien, Gedächtnistechniken und kulturelle Praktiken zur Vermittlung und Tradierung von Bedeutungen.
Trotzdem hatten die Schriftkundigen eine ganze Reihe von Vorteilen. Mit Hilfe der SchriftSchrift konnte man kommunikative Grenzen einer mündlichenMündlichkeitmündlich Kultur überwinden. Eine schriftlicheSchriftschriftlich Kultur hat sich immer von einer rein mündlichenMündlichkeitmündlich KommunikationskulturKommunikation unterschieden. SchriftlichkeitSchriftSchriftlichkeit verstärkt das Bedürfnis nach Lernen, sie steht im Zusammenhang mit Schulen und Ausbildung. Als KommunikationsmediumKommunikation ist Schrift ein Instrument der Machtausübung: wer der Schrift kundig ist, besitzt mehr Macht als ein der Schrift Unkundiger. Dasselbe gilt auch für die Sprachen.
Die gesprochenen SprachenSprache, gesprochene Alt-LivlandsAlt-Livland hatten ungleichen Zugang zur SchriftSchrift. Die Schrift fixierte nicht alle Sprachen, die im BaltikumBaltikum gesprochen wurden. Die Schrift, die im Zuge der Kolonisation am Ostufer der Ostsee eingeführt wurde, blieb lange Zeit Bestandteil eines kolonialenKolonialismuskolonial Gefüges, ein Mittel zur Festigung neuer Machtstrukturen, während die Urbevölkerung mehrheitlich nach wie vor einer mündlichenMündlichkeitmündlich Kultur zugehörte.
Im Laufe des Mittelalters hat sich in Alt-LivlandAlt-Livland eine Hierarchie der Sprachen herausgebildet. Auf der obersten Stufe stand das LateinischeLateinLateinisch, um eine Stufe niedriger folgte als VolksspracheVolkVolkssprache die Sprache der KolonistenKolonialismusKolonisten: das NiederdeutscheDeutschlandNiederdeutsch. Über den schriftlichenSchriftschriftlich Gebrauch des Dänischendänisch liegen keine Belege vor, wohl auch deswegen, weil bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, also bis zum Ende der dänischendänisch Herrschaft im Norden des heutigen EstlandEstland/Estonia, die Funktion schriftlicherSchriftschriftlich Verständigung vor allem dem LateinischenLateinLateinisch oblag.
In den Städten des BaltikumsBaltikum, in denen die schriftlicheSchriftschriftlich Verrichtung von Alltagsangelegenheiten schon damals auch volkssprachlich vor sich ging, stammte die Mehrheit der KolonistenKolonialismusKolonisten aus NorddeutschlandDeutschland, Rheinland und Westfalen (Johansen/Mühlen 1973: 96–97), und bediente sich untereinander des MittelniederdeutschenDeutschlandNiederdeutsch – der gemeinsamen Sprache des HansebundesHanse(bund). Weil man aus unterschiedlichen Regionen stammte und allerlei Sprachvarianten mitgebracht hatte, war die Sprache der baltischenBaltikumBaltisch Stadtbevölkerung einem ständigen Wandel unterworfen und variierte je nach Stadt, in Abhhängikeit von der jeweiligen Herkunft der Einwanderer (in Kurland mehr Einflüsse preussischer DialekteDialekt/Mundart, in Riga westfälischer). Die meisten Entlehnungen im NiederdeutschenDeutschlandNiederdeutsch, das im BaltikumBaltikum von damals gesprochen wurde, stammten jedoch aus dem EstnischenEstland/EstoniaEstnisch/Estonian, LettischenLettland/LatviaLettisch/Latvian und RussischenRusslandRussisch/Russian, in geringerem Maße aus dem JiddischenJiddisch, SchwedischenSchwedenSchwedisch und PolnischenPolenPolnisch/Polish.
Im 16. bis 17. Jahrhundert geriet das NiederdeutscheDeutschlandNiederdeutsch schon allmählich außer öffentlichen schriftlichenSchriftschriftlich Gebrauch, verdrängt vom aufsteigenden HochdeutschDeutschlandHochdeutsch. In der mündlichenMündlichkeitmündlich Sphäre konnte sich das NiederdeutscheDeutschlandNiederdeutsch immerhin gelegentlich noch bis zum 19. Jahrhundert behaupten. Die geschriebenen und die gesprochenen SprachenSprache, gesprochene im BaltikumBaltikum gingen