Ratgeber E-Zigarette. Heino Stöver
Maße, gemessen an den durch die Amerikanische Gesundbehörde (US EPA) definierten Grenzwerten, abgaben. Der griechische Forscher Konstantinos E. Farsalinos betrachtete diese Forschungsergebnisse genauer und machte kurz darauf auf den folgenschweren Rechenfehler seiner Kolleg*innen aufmerksam. Diese hatten, so Farsalinos, nicht bedacht, dass ein Mensch zwar 17.000 Atemzüge am Tag tätigt, durchschnittliche E-Zigaretten-Konsument*innen hingegen lediglich 400-600mal pro Tag an einer E-Zigarette ziehen. Setzt man die gefundenen Meridianwerte und die Ausführungen von Farsalinos in Relation zu den in Deutschland geltenden und in der Trinkwasserverordnung (TrinkwV/Stand 09.01.2018) definierten Grenzwerte für Schwermetalle, so kann man schlussfolgern, dass die gefundenen Messwerte weit unter den Grenzwerten für Trinkwasser in Deutschland liegen [6].
Sind E-Zigaretten deshalb so gesund wie Trinkwasser? Nein, mit Sicherheit nicht! Dennoch sollten Sie nicht jeder durch die Medien geisternden Geschichte Glauben schenken. Wenn die E-Zigarette wissenschaftlich betrachtet wird, sollte ihr Nutzen und ihre Schädlichkeit immer in Relation zur Tabakzigarette bewertet werden. Tatsächlich ist die Schadstoffbelastung für Konsument*innen durch E-Zigaretten zwischen 100-1000mal geringer als die herkömmlicher Tabakzigaretten.
„Die E-Zigarette ist ein neues Produkt, das noch nicht ausreichend erforscht ist. Es gibt zu wenige aussagekräftige wissenschaftliche Studien“
Innerhalb der letzten 10 Jahre wurden Dutzende von Studien zur E-Zigarette, den Inhaltsstoffen von Liquids, der Belastung von Innenräumen mit dem Aerosol der E-Zigarette, zu Nikotin, zum Thema Gateway-Effekt (E-Zigarette als Einstieg in die Zigarettenabhängigkeit) und zu den verwendeten Aromastoffen durchgeführt. Bereits 2015 veröffentlichte Public Health England eine erste Metastudie, in der die damals bestehende Datenlage zum Thema E-Zigarette zusammengefasst und ausgewertet wurde. Innerhalb kürzester Zeit wurde inzwischen bereits die dritte Aktualisierung des Berichts veröffentlicht. Als Quellen wurden vor allem drei Kategorien herangezogen. Sogenannte „peer reviewed literature”, also wissenschaftliche Arbeiten, die nach Veröffentlichung in Fachjournalen der Kontrolle durch ein Fachpublikum standgehalten haben. Des Weiteren wurden Datenerhebungen und allgemeine Umfragen zum Thema E-Zigarette und Erkenntnisse, die von Public Health England selbst oder anderen Organisationen gewonnen wurden, ausgewertet. Insgesamt umfasst der im Februar 2018 erschienene Report „Evidence review of e-cigarettes and heated tobacco products 2018“ über 400 Quellen. Nach Auswertung aller Ergebnisse kommt Public Health England unter anderem zu folgenden Ergebnissen:
•Die Auswertung der Daten hat gezeigt, dass das Krebsrisiko bei der Nutzung von E-Zigaretten unter 0,5 % gegenüber der Nutzung herkömmlicher Tabakzigaretten liegt.
•E-Zigaretten können Aldehyd freisetzen, wenn sie überhitzt werden. Die Überhitzung verursacht einen aversiven (abstoßenden) Geschmack. Nutzer*innen stellen daraufhin die Verwendung ein.
•Das Suchtpotential von Nikotin ist abhängig davon, wie es konsumiert wird.
•Es ist möglich, dass das Abhängigkeitspotenzial von Zigaretten durch andere Stoffe als Nikotin verursacht wird.
•Es gibt keinen ersichtlichen Grund, nikotinfreie Produkte in die Regulierungen der Tabakproduktrichtlinie (TPD) aufzunehmen.
•Abgesehen von Experimenten sind E-Zigaretten nicht besonders attraktiv für Jugendliche, die zuvor nicht geraucht haben.
•Es gibt keine Hinweise auf mögliche gesundheitliche Risiken von Passivdampf.
•Internationale Erhebungen haben ergeben, dass die Nutzung von E-Zigaretten bei den Nichtraucher*innen bei unter 1 % liegt.
•Es gab Vergiftungen durch Liquids. Diese Vergiftungen betrafen vor allem Kinder unter dem fünften Lebensjahr. Die Vergiftungserscheinungen waren kurzfristig und nicht lebensbedrohlich.
•Es gibt derzeit keine Beweise, dass bestimmte Aromen eine Gesundheitsgefährdung darstellen.
•Die Anteile von Metallen im Dampf geben keinen Anlass zu Sicherheitsbedenken.
•Raucher*innen sind schlecht über das geringere Risiko der E-Zigarette informiert.
•Die Mehrzahl der Raucher*innen glaubt nicht, dass ein Umstieg auf die E-Zigarette entscheidende gesundheitliche Vorteile mit sich bringt.
•40 % der Raucher*innen denken, dass Nikotin die Ursache für Krebserkrankungen ist.
In Anbetracht der Studien und der bisher existierenden internationalen Forschungslage kommt die Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention am Deutschen Krebsforschungszentrum, Ulrike Mons, zu der Einschätzung, dass E-Zigaretten bei der Raucherentwöhnung unterstützend helfen können und deutlich weniger schädlich sind als herkömmliche Tabakzigaretten [7].
„Die E-Zigarette ist eine Einstiegsdroge für Kinder und Jugendliche und führt dazu, dass sie später Tabakzigaretten rauchen“
Die Annahme, dass Kinder und Jugendliche durch den Konsum von E-Zigaretten gem. ICD 10 eine psychische Störung und Verhaltensstörung (ICD 10 - F17.2) entwickeln könnten, ist weit verbreitet. Innerhalb dieses Szenarios wechseln Kinder- und Jugendliche aufgrund der „Re-Normalisierung“ des Rauchens durch die Nutzung einer E-Zigarette irgendwann von der E-Zigarette zur Tabakzigarette und entwickeln ein Abhängigkeitssyndrom. Dies beschreibt kurz und knapp die Grundannahme dessen, was gemeinhin als „Gateway“-Hypothese benannt wird. Bernd Werse und Anna Dichtl haben sich dieser Thematik gewidmet und kommen zu dem Schluss, dass der Konsum von Tabakzigaretten unter Jugendlichen insgesamt abgenommen hat und dieser Trend durch E-Zigaretten nicht unterbrochen wurde. Das Gegenteil ist der Fall. Werse und Dichtl bestätigen, dass Befunde aus Studien nahe legen, dass ein nicht unerheblicher Teil der Jugendlichen sich mit einem experimentellen oder gelegentlichen Konsum von E-Zigaretten begnügt und nicht zu einem regelmäßigen Konsum von Tabakzigaretten übergeht [8].
Die aktuellste BZgA-Umfrage zeigt, dass sich unter deutschen Jugendlichen (12- bis 17-Jährige) die Nutzung von E-Zigaretten und Tabakerhitzern nicht dramatisch beschleunigt und dass auch in dieser Altersgruppe immer noch Verbrennungsprodukte (Shisha/Wasserpfeife und herkömmliche Zigaretten) das größere Problem darstellen. Zudem zeigt sich unter deutschen Jugendlichen eine historisch niedrige Raucherquote, wahrscheinlich der beste Hinweis darauf, dass der befürchtete Gateway-Effekt, also der Einstig in das Rauchen durch vorheriges Dampfen, nicht zu beobachten ist. Im Gegenteil! Weltweit beschleunigen E-Zigaretten und Tabakerhitzer den Rückgang von Raucher*innenquoten gerade unter Jugendlichen. [9]
Aber vielleicht beruht diese Annahme auch auf einem generellen Missverständnis. In Teilen der politischen Diskussion wird offenbar auch im Jahr 2020 noch so getan, als ob das Produkt E-Zigarette ein ganz neues wäre und es keinerlei Regulierung gäbe. Diese Grundannahme untergräbt jedoch völlig, dass in den letzten Jahren eine fast schon unüberschaubare Vielzahl an Studien, Meta-Studien und Ergebnissen veröffentlicht wurde, und verschweigt die Tatsache, dass Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren per Gesetz (Tabakproduktrichlinie, Tabakerzeugnisgesetz, Tabakerzeugnisverordnung, Jugendschutzgesetz) einen besonderen Schutz genießen: Alle Produkte rund um die E-Zigarette dürfen nicht an Kinder und Jugendliche verkauft oder abgegeben werden und dies muss auch deutlich und ausreichend auf den jeweiligen Produkten gekennzeichnet werden. Soll heißen: De jure und de facto darf (!) kein Shop, Kiosk oder Supermarkt E-Zigaretten oder Liquids (ob mit Nikotin oder ohne!) an Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren verkaufen oder in anderer Weise zugänglich machen. Jugendliche davon abhalten zu wollen, diese Grenze, mit welchen Mitteln auch immer, zu überschreiten, scheint im Angesicht dessen, was Jugendkultur ausmacht (Rebellion, Experimentierverhalten etc.), unmöglich.
„Insgesamt scheint Zigarettenrauchen unter Jugendlichen in den letzten Jahren immer ‚uncooler‘ geworden zu sein […], gleichzeitig wurde dieser Imageverlust aber nicht annähernd durch regelmäßigen E-Zigaretten-Konsum kompensiert. Die in Deutschland immer noch weit verbreitete Skepsis gegenüber E-Produkten als Schadensminimierungsmaßnahme für Raucher*innen ist also auch im Hinblick auf die Verbreitung unter Jugendlichen offenbar unbegründet“ [8]