Frauenlob. Der Roman eines jungen Mannes. Rudolf Stratz
wird mich schliesslich einfangen? Eine italienische Sängerin! Eine Tänzerin des Petersburger Ballets! Irgend eine von diesen Gottlosen! Sie sind raffiniert — diese Sünderinnen! Sie sind stärker als ich! Ich kenne mich: Gott hat mich schwach geschaffen!“
„Was kann ich dafür?“
„Sie, Katja, sollten mich vor diesem Schicksal bewahren, der Mann einer Unwürdigen zu werden!“ Er suchte im Gehen ihre Hand zu ergreifen. „Jeder, der es gut mit mir meint — meine Familie — Alles redet mir zu . . . Begreifen Sie: Ich muss, wenn ich mich in den Schutz einer Frau flüchte, ungefähr in meiner Welt bleiben. Es gibt da Frauen genug. Aber unter diesen Frauen sind Sie ein weisser Rabe. Sie sind anders wie die Anderen, Katja! Jeder weiss es. Jeder achtet Sie! Leichtsinnige Elstern wie die Kobeko, bessern sich durch Ihren Verkehr. Katja — Sie glauben ja gar nicht, was mich diese Frau zuletzt ennuyierte. Ich war froh, als ich sie los war. Sie hat ja keine Seele. Eine Puppe. Buntbemalt, mit Baumwolle gestopft. Ach — diese Sperlinge alle . . . Sie, Katja — sind ruhig. Sie sind rein. Sie sind klar . . . Gott schenkte es Ihnen! Sie sind seine Gnade uns Sündern schuldig . .“
„Sehen Sie . . die Fata Morgana . .“ Katja’s weisse Hand wies in die Weite. Unendlich dehnte sich die Schwarze Erde Südrusslands. Violetter Dunst umschleierte den Horizont. Dicht darüber schwammen grosse Segelschiffe in der milchig-trüben, fahlblauen, unbewegten Luft.
„Nun — lassen wir das! Wir kennen es . . .“
„Es ist merkwürdig — beinahe unheimlich: Diese Schiffe sind kein Spiegelbild von Schiffen draussen auf dem Meer! Es sind wieder — wie neulich — dicke, schwere Ostindienfahrer aus dem achtzehnten Jahrhundert.“
„Gut denn! Gott will das so! . . . In welcher Gesellschaft war ich, Katja? Nichtswürdige umgaben mich. Auch unter den Männern. Ich hatte keine Freunde! Sie, Katja, haben das Talent zur Freundschaft — auch zu Ihrem künftigen Mann — Sie verstehen so vieles . .“
„Bloss mich selber nicht!“ sagte Katja.
„Sie sollen mein Freund werden! Bisher hatte ich Freundinnen. Pfui. Mir ekelt vor dieser Welt! Sie sollen zugleich meine Frau und meine Freundin sein. Sie sehen: Ich rede gar nicht als ein sehr reicher Mensch, sondern als ein sehr armer Mensch, der Hülfe benötigt . .“
„Sie sind sich über Ihren Zustand merkwürdig klar, Herr Murussi!“
„Ich bin verbraucht. Ich bin blasiert. Ich bin übersättigt.“ Aristide Murussi fing beinahe an zu weinen. Er rang kummervoll die Hände. „Ich sage das alles! . . Ich treibe dem Abgrund zu. Ich bin — gestehen wir es uns, Katja — ein grässlicher Mensch. Ich werde an mir zu Grunde gehen, wenn ich mich nicht an einem anderen Menschen aufrichte. Da sind nun Sie! Sie sind auch nicht mehr ganz jung . . .“
„Nein. Fünfundzwanzig.“
„Sie haben sich bisher Ihre Wahl vorbehalten. Sie haben schonungslos Körbe ausgeteilt. Sie haben sich für etwas Besonderes im Leben aufgespart. Nun — hier stellt Ihnen das Leben eine Preisaufgabe wie von der Akademie der Wissenschaften in Petersburg, einen von Haus aus nicht schlechten, armen Sklaven Gottes zu retten, dem Reichtum, schlechte Erziehung und schlechte Gesellschaft zum Verhängnis wurden! Sie können da so viel Gutes stiften wie eine Heilige! . . Meine Familie meint das auch! Katja — heben Sie mich Unglücklichen aus dem Schlamm! Seien Sie meine Wohltäterin!“
Mit süssem Duft füllten die Akazien die glühende Luft. Ringsum war das grosse russische Schweigen. Leuchtend kornblumblau und meergrün, ein flimmerndes Juwel, flatterte drüben der Märchenvogel der Steppe, die Mandelkrähe, und verflog. Katja sagte ruhig:
„Sie kennen die Frauen, Herr Murussi! Sie berechnen sich ganz genau, dass eine unserer besten Eigenschaften und gefährlichsten Schwächen das Mitleid ist!“
„Wollen wir zum Grab meiner Eltern gehen? Ich werde die Hand über die Photographien auf dem Grab legen und schwören, dass ich es ehrlich meine!“
„In diesem Augenblick — das glaube ich! Aber wie lange? Sie sagen selbst: Sie sind schwach!“
„Sie sollen meine Stärke sein! Mein Gott — Wem allem brauchte ich nur zu winken: Russinnen, Deutschen, Französinnen — nein ich komme zu Ihnen . . .“
„Überlegen Sie doch: Wir Gebauer sind — gegen Sie — einfach arme Millionäre . . .“
„Meine Familie empfängt Sie mit offenen Armen! Sie dankt es Ihnen, wenn Sie mich retten! Wollen Sie einen lebenden Leichnam aus mir machen? In Paris gibt es im Klub solche geschminkte, siebzigjährige Fossile! Menschen, die ihr Leben vergeudet haben und nur noch herumgehen, weil sie nicht wissen, dass sie längst tot sind. Soll man von einem solchen Gespenst auch einmal sagen: ,C’était le beau Murussil’? Durch Ihre Schuld?“
„Trotz alledem,“ sagte Katja, „sehe ich nicht ein, warum ich mich gerade opfern soll! Ich bin doch keine barmherzige Schwester, Herr Murussi! Ich bin doch auch ein Kind dieser Welt!“
Aristide Murussi’s glattes, mattes und melancholischschönes Antlitz war überhaupt keines eigentlichen wechselnden Ausdrucks fähig. Es verharrte ein für allemal in seiner bleichen, wachsgeformten Regelmässigkeit. Trotzdem glitt jetzt ein Schatten von Unruhe, von Leben darüberhin. Er schaute Katja forschend und traurig ins Gesicht und schwieg. Plötzlich versetzte er leise:
„Ich werde Sie jetzt nicht fragen, ob Sie meine Frau werden wollen. Denn Sie würden mich abweisen. Ich sehe es Ihnen an.“
„Ja.“
„Deswegen stelle ich diese Frage nicht und habe auch keine Antwort darauf empfangen, Katja! Sondern ich habe nur eine Bitte an Sie: Wenigstens wollen wir vorläufig Freunde werden . . . Das dürfen Sie mir nicht abschlagen. Denn es ist ein gutes Werk . . . .“
„Es gibt ja keine solche Freundschaft, Herr Murussi!“
„Sie bemuttern diesen kleinen Vetter in Lyon — Sie halten ihn vor unüberlegten Streichen zurück. Nun — was Ihnen bei diesem Kind recht ist — Seien Sie meine Schwester, Katja! Meine barmherzige Schwester! . . Lesen
Sie in meiner Seele . . Tadeln Sie mich . . Weisen Sie mich auf den rechten Weg! Ich werde Ihnen die Hände küssen . . .“
Den kleinen Sascha hat die böse Welt noch nicht verdorben!“ sagte Katja und lachte, während sie beide langsam nach dem Haus zurückgingen. „Er ist leichter zu erziehen, als Sie es wären, Herr Murussi! Ich fürchte, das ginge über meine Kräfte!“
„Überlegen Sie sich meine Bitte!“ Aristide Murussi blieb noch einmal, mit einer geschmeidigen Schulterbewegung, stehen. „Ich habe mich entschlossen! Ich trete diese unglückliche Reise nach dem Don sofort an! Ich finde noch gerade den Zug! Ich werde dort in Asien oder Halbasien stets an Sie denken. Ich bin ein Spieler — leider Gottes! Eben deswegen setze ich nicht alles auf einmal aufs Spiel. Ich werde, sobald mich meine Direktoren freilassen, zurückkehren. In ein paar Wochen sieht man mich wieder in Odessa! Dann werde ich meine Frage an Sie wiederholen . . Entschuldigen Sie mich bei Ihren Eltern! Ich bin jetzt nicht in der Stimmung, mich zu verabschieden. Ich werde um das Haus herumgehen und wegfahren!“
Der Orlofftraber schleuderte seine Vorderbeine! Das Pfauenspiel auf der Kutschermüsse wirbelte im Wind der Fahrt. Eine Staubwolke. Fort . . . Katja Gebauer atmete auf und trat in das Haus. Es war da zur Rechten ein Wartezimmer für Kleinbürger, hebräische Kommissionäre, Stadtsoldaten und derlei. Abgewetzte, rot, grün und golden lackierte russische Bauernstühle mit geschnitzten Pferdeköpfen als Lehnen standen in einer Reihe an der Wand. Es roch scharf nach Schafpelzen, Stiefeltran und Leder, obwohl niemand in dem Raum war als Otto Gebauer selbst. Er hatte seine Freunde in der anstossenden Zimmerflucht im Stich gelassen. Man hörte durch die geschlossene Tür das Klappern der Billardbälle und gedämpftes Gespräch.
„Ich sah dich kommen!“ sagte er erregt und leise zu der Tochter. „Nun? . . . . Warum zuckest du die Achseln? Warum antwortest du nicht? Was hat sich entschieden?“
„Nichts! . . Bitte gib’ mir doch ’mal eine Papyros . . Ich hab’ meine irgendwo . . Danke!“ Katja zündete sich eine