Guardiola. Dietrich Schulze-Marmeling

Guardiola - Dietrich Schulze-Marmeling


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Mailand folgt ihm Fabio Capello als Trainer, unter dem die Rossoneri zum alten Defensivstil zurückkehren. In der Saison 1993/94 gewinnt die Mannschaft die italienische Meisterschaft mit nur 36 Toren in 34 Spielen, kassiert aber auch nur 15. Was bedeutet, dass bei einem Spiel mit Beteiligung des Capello-Teams im Schnitt nicht mehr als 1,5 Tore zu erwarten sind. Noch nie zuvor war in Italien mit so wenigen Toren und Gegentoren eine Meisterschaft gewonnen worden.

      Cruyff erhebt das Finale zu einem ideologischen Gefecht und giftet gegen den Gegner: „Milan ist eine vulgäre Mannschaft, die in die Zeiten des Catenaccios zurückgefallen ist. Unter Sacchi spielte Mailand attraktiv und erfolgreich, unter Capello nur noch erfolgreichen 1:0-Fußball.“

      Aber in Athen kommt dann alles ganz anders. Vor 65.000 Zuschauern glänzt nicht der FC Barcelona, sondern der AC Mailand durch ideenreiche Angriffe. Barças so häufig gerühmtes Kombinationsspiel wird durch Milans Pressing bereits im Keim erstickt, wodurch Romario und Stoichkov, von den Medien als gefährlichstes Angriffsduo der Welt gerühmt, meistens in der Luft hängen bleiben. Das Spiel demonstriert, in welchem Ausmaß Barças Spiel von technisch brillanten, wendigen und handlungsschnellen Akteuren abhängt. Ronald Koeman zeigt sich im Finale ziemlich hüftsteif, ebenso sein Nebenmann Nadal. So wird Barças Mittelfeld mit Guardiola, Guillermo Amor und José Maria Bakero von Milan überrannt. Das Spiel liefert eine weitere Blaupause für den späteren Coach Guardiola, der mit seinem Team an diesem Abend maßlos enttäuscht. Der AC Mailand gewinnt völlig verdient – nicht mit 1:0, sondern mit 4:0.

      Nach diesem Fiasko und dem Ende der Saison 1993/94 schickt Johan Cruyff Guardiolas „großen Bruder“ Zubizarreta weg. Guardiola ist verstört und deprimiert. Weinend sitzt er allein in einer Ecke, als die Mannschaft den langjährigen Keeper mit einem Dinner verabschiedet.

      Zubizarreta wird noch vier Jahre für den FC Valencia spielen und an den WM-Turnieren 1994 und 1998 sowie der EM 1994 teilnehmen. Nebenbei erwirbt er an der Universität in Valencia einen Abschluss in Geschichte. Durch den Weggang von „Zubi“ steigt Guardiola in der Teamhierarchie nach oben. Nun ist er der neue Anführer.

      Das Fußballhirn

      Ein großer Fan Guardiolas ist Jorge Valdano, der als Spieler 1986 mit Argentinien Weltmeister wurde, von 1994 bis 1996 Real Madrid trainierte und danach für einige Jahre dort als Sportdirektor amtierte. In Spanien und Lateinamerika firmiert Valdano, der auch feuilletonistische Betrachtungen zum Spiel verfasst, als „Philosoph des Fußballs“. Über Guardiola schreibt er: „Der Fußball kreist um Pep. In diesem Fußball von unterwürfigen und vorhersehbaren Fußballspielern bleibt er immer noch ein Subversiver, der originelle Standpunkte vertritt. Schon seit Langem haben wir uns damit abgefunden, dass die Mannschaften von hinten nach vorne aufgestellt werden. Guardiola analysiert das Spiel von seinem Platz (dem Mittelkreis) aus und kommt zu einem anderen Schluss: ‚Fußball beginnt auf zwei Flügeln.‘ Das heißt, er analysiert den Fußball mit dem Ball am Fuß, mit dem Blick auf das gegnerische Tor und im Wissen, dass man im Angriff die ganze Breite des Spielfelds ausnutzen muss. Der Fußball ist Täuschung: eine Sache auslassen, um etwas anderes zu Ende zu führen. Er brachte diese trügerische Logik ins Spiel seiner Mannschaft ein: Er fing an, auf einer Seite zu suchen (um abzulenken), und tauchte überraschend auf der anderen Seite auf. Könnte der Ball denken, würde er in dem Moment, wenn er zu Guardiola käme, drei Dinge wissen: dass er sofort wieder losgeschickt würde (Pep hat viele Ballkontakte, behält den Ball aber nur kurz), dass sein Weg von Guardiola zum Fuß eines Mitspielers kurz sein wird (er tritt ihn flach, stark und hart) und dass er ihn von einer gesicherten Position aus spielen wird, denn seine Spezialität sind die freien Räume.“

      Gianluca Vialli, der Guardiola im Europapokalfinale 1992 begegnete, erinnert sich an ihn als einen der „einflussreichsten Mittelfeldspieler im Weltfußball. Er besaß ein überragendes Fußballhirn und die Fähigkeiten, seine Gedanken in die Tat umzusetzen. Aber er war weder kräftig noch beweglich. Und ich kann mir vorstellen, wie ihn die heutigen Scouts und Juniorentrainer betrachten würden. Da sie sein Hirn und seine Füße nicht auf einen anderen Spieler übertragen können, wäre für Guardiola kein Platz unter den Topfußballern.“ Vieles von dem, was über Guardiolas Spielweise geschrieben wird, trifft auch auf seinen Nachfolger Xavi zu. Und beschreibt exakt den Fußball, den der Trainer Guardiola später bevorzugt.

      Aber noch spielen nicht alle so beim FC Barcelona. Cruyffs Entdeckung Guardiola ist ein Vorgriff auf die Spieler, die das Barça der Jahre 2008 bis 2012 prägen werden. Und es wird noch einige Jahre dauern, bis der Cruyff’sche Fußball auch im restlichen Spanien und der spanischen Nationalmannschaft Fuß fasst.

      „Fußballkrieger“ kontra „Schönspieler“

      Für den spanischen Mainstream dieser Jahre steht Cruyffs Kritiker Javier Clemente, ein Fan des „harten und gearbeiteten Fußballs“. Der Baske behauptet, Cruyff sei lediglich in der Lage, sich Teams „zusammenzupflücken“. Seine taktischen Vorstellungen seien „selbstmörderisch“ und nur aufgrund der Klasse seiner Spieler erfolgreich.

      Clementes Verhältnis zum FC Barcelona ist bereits seit Längerem gestört. In den Jahren, in denen der Baske Athletic Bilbao trainierte, entwickelte sich eine bittere Rivalität zwischen den katalanischen „Schönspielern“ und den baskischen „Fußballkriegern“. Am 24. September 1983 brachte ein brutales Foul des Athletic-Verteidigers Andoni Goikoetxea an Barças Diego Maradona, begangen vor 120.000 Zuschauern im Camp Nou, das Fass zum Überlaufen. Der uruguayische Schriftsteller, Journalist und Essayist Eduardo Galeano bezichtigte den Übeltäter des „vorsätzlichen Totschlags“. Für den damaligen Barça-Coach César Luis Menotti gehörte Goikoetxea zur „Rasse der Antifußballer“, und Barça-Präsident Núñez zog Vergleiche zum Bombenterror der ETA.

      1992 wird ausgerechnet Clemente Trainer der spanischen Nationalelf, verhilft Guardiola zu seinem Debüt und nimmt ihn auch zur WM 1994 in die USA mit. Das Auftaktspiel gegen Südkorea endet 2:2, Guardiola ist nicht dabei. Gegen Deutschland steht Guardiola 77 Minuten auf dem Feld. Die Begegnung endet erneut unentschieden. Im letzten Gruppenspiel gegen das ersatzgeschwächte Bolivien sichert sich Clementes Selección durch einen 3:1-Sieg einen Platz im Achtelfinale. Guardiola erzielt in der 19. Minute per Elfmeter die 1:0-Führung. In der 68. Minute verlässt er für seinen Klubkameraden Bakero das Feld. In den folgenden K.o.-Spielen gegen die Schweiz (3:0 und Italien (1:2) wird er nicht eingesetzt.

      Zwei Jahre später, bei der Europameisterschaft 1996 in England, verzichtet Clemente sogar ganz auf Guardiola und lässt ihn zu Hause. Kritiker werfen dem Basken eine Bevorzugung baskischer Spieler vor. Auf jeden Fall frönt Clemente einer anderen Fußballphilosophie als Guardiola. Der Trainer Guardiola wird Clemente später attestieren, dass seine Vereinsteams schwer zu besiegen seien, weil sie „aggressiv und direkt“ spielen und Charakter besitzen würden. Clemente mag keinen Ballbesitzfußball. Seine Teams sind auf Konterfußball getrimmt und halten sich nur wenig im Mittelfeld auf. Deshalb wird er auch später den Fußball José Mourinhos der Spielweise Guardiolas und seiner Barça-Teams vorziehen.

      Ein letzter großer Auftritt

      1995/96 ist Cruyffs letzte Saison bei Barça. Der Klub hat sich mit dem 22-jährigen Portugiesen Luís Figo von Sporting Lissabon verstärkt, mit dem Guardiola Freundschaft schließt. Wie schon in der Vorsaison bleibt der FC Barcelona ohne Titel.

      Immerhin erreichen Guardiola und Co. im UEFA-Cup das Halbfinale, in dem man auf den FC Bayern München trifft. An das Hinspiel im Münchner Olympiastadion erinnert sich Guardiola noch Jahre später gerne. Es ist eine weitere Begegnung, die dem späteren Trainer bleibende Aufschlüsse liefert. Zumindest in den ersten 45 Minuten.

      In München stehen in Cruyffs Anfangself sieben Spieler, die aus La Masia stammen. Das Tor hütet Carles Busquets, dessen Sohn Sergio später unter dem Trainer Guardiola spielen wird, in der Abwehr lässt Cruyff mit einer Dreierkette aus Popescu, Guardiola und Ferrer agieren. Da bei den Katalanen die gesperrten Defensivkräfte Nadal, Sergi und Abelardo fehlen, hat Cruyff Guardiola auf eine Linie mit Popescu (gegen Klinsmann) und Ferrer (gegen Papin) zurückgezogen. Nur einer der elf Akteure, die in München auflaufen,


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