Guardiola. Dietrich Schulze-Marmeling
das auch. Barça entwickelt solche Spieler. Ich bin mir sicher, dass auch Iniesta und Xavi wunderbare Trainer werden. (…) Es ist auffallend, dass die meisten dieser Spieler eher langsam sind. Aufgrund dieses Defizits müssen sie vorausdenkend spielen. Sie sind Großmeister, wenn es um taktische Dinge geht.“ Auch der Bundesligatrainer Lucien Favre erinnert sich an Guardiola als einen „sehr langsamen Spieler, aber mit großer Spielintelligenz“.
Als Guardiola 2008 Trainer der Blaugrana wird, mutmaßt er, dass er heute als 21-Jähriger beim FC Barcelona keine Chance mehr besäße. Der Fußball habe sich weiter verändert, heute werde mit einem erheblich höheren Tempo gespielt. Außerdem habe der Mittelfeldspieler vor der Abwehrkette heute Bälle zu erobern und anschließend nach vorne zu stürmen, wie etwa Liverpools Steven Gerrard oder Chelseas Frank Lampard. Eben das habe nicht zu seinen Qualitäten gezählt: „Ich würde niemals Profi werden, es höchstens bis in die dritte Liga bringen. Ich bin nicht schnell, ich habe nicht die Kondition, um 90 Minuten über das Feld zu rennen, wie es die heutigen Mittelfeldspieler tun. Ich bin nicht gut in der Luft, ich bin nicht kräftig. Alles, was ich kann, das ist Passen.“ Aber Passen ist noch heute der Kern des Barça-Spiels.
Teambuilding
Nach seinem Amtsantritt hatte Cruyff den Kader von Barças 1. Mannschaft kräftig umgebaut. 13 Spieler mussten gehen, elf neue kamen. Das Team, das Cruyff nun zusammenstellt, ist eine ideale Mischung. Es besteht aus jungen Akteuren, die der Trainer aus dem B-Team in die 1. Mannschaft hochgezogen hat (Guardiola, Albert Ferrer, Guillermo Amor und zunächst auch Luis Milla), zähen Basken (José Marí Bakero, Andoni Goikoetxea und Txiki Begiristain), ausländischen Superstars (Ronald Koeman, Michael Laudrup und Hristo Stoichkov) und erfahrenen Akteuren (Andoni Zubizarreta, Eusebio Sacristán, Julio Salinas und José Ramón Alexanco). Das Team ist nicht gerade groß gewachsen: Ferrer und Eusebio messen nur 1,70 Meter, Begiristain 1,72, Amor 1,73, Bakero 1,76. Nur Keeper Zubizarreta (1,87), Nando (1,87) und Salinas (1,88) haben Gardemaß, Laudrup und Guardiola stellen den Mittelbau.
Cruyff beweist bei der Spielerauswahl einen guten Instinkt – sportlich wie politisch. In den fünf Jahren vor seinem Amtsantritt haben mit Lattek, Menotti und Venables drei Ausländer den FC Barcelona trainiert. Das Schicksal des Klubs lag auf den Schultern ausländischer Akteure wie Bernd Schuster, Diego Maradona, Steve Archibald, Mark Hughes und Gary Lineker. Nicht nur war deren sportliche Bilanz eher mager, auch die Identifikation der Mitglieder und Fans mit dem Team nahm ab. Immer weniger Zuschauer besuchten die Heimspiele im Camp Nou. Cruyff zieht daraus seine Schlüsse: „Überall auf der Welt möchten die Fans Spieler sehen, die ihre Mentalität teilen – vorzugsweise Spieler aus ihrem eigenen Land. Wenn ein Trainer die Wahl zwischen einem ausländischen Akteur und einem heimischen hat und die Qualität der beiden identisch ist, sollte er den heimischen verpflichten. Die Fans pfeifen dann nicht so schnell, wenn es nicht so gut läuft.“
Jungprofi Guardiola bewundert vor allem seine sieben bzw. zehn Jahre älteren Mannschaftskameraden Laudrup und Zubizarreta. Laut Barça-Biograf Jimmy Burns liefern sie ihm ein Beispiel dafür, „was gut und nobel im Fußball ist – in der Kabine und draußen auf dem Feld“. Der intelligente Däne Laudrup ist ein torgefährlicher Mittelfeldspieler, den Cruyff 1989 von Juventus Turin geholt hat. Der Baske Zubizarreta ist auf dem Weg zum spanischen Torwartdenkmal. Bis 1998 wird er 126-mal das Tor der Selección hüten.
Laudrup und Zubizarreta sind – wie Guardiola – kulturbeflissene Profis. Der Däne spielt Klavier und ist ein Kenner des edlen Tropfens. Noch als Profi baut er in Kopenhagen einen Importhandel mit spanischen Weinen auf. Mit Zubizarreta verbindet Guardiola das Interesse an Literatur. Guardiola liest gerne Hermann Hesse. Beispielsweise „Das Glasperlenspiel“, „weil er das Zusammenspiel von sich und der Welt, vom Ich und Du und von sich mit sich selbst verstehen wollte“ (Cathrin Gilbert). Zu Zubizarretas bevorzugten Autoren gehört der deutsche Nobelpreisträger Heinrich Böll. Das Lieblingsbuch des Torwarts ist Bölls „Ansichten eines Clowns“. Nach dem Ende seiner Karriere wird Zubizarreta auf einer Konferenz einen Vortrag über Böll halten.
Krönung in Wembley
In der Saison 1991/92 gewinnt der FC Barcelona erneut die Meisterschaft, dieses Mal allerdings nur äußerst knapp. Die Krönung des Cruyff’schen Schaffens erfolgt im Europapokal der Landesmeister. Es ist die 37. und letzte Auflage des Wettbewerbs, der eine Spielzeit später von der Champions League abgelöst wird – einem Kompromiss zwischen einer europäischen Liga und dem alten, klassischen K.o.-Wettbewerb.
In seiner letzten Saison nähert sich der Landesmeistercup bereits dem neuen Format an. So wird nach zwei K.o.-Runden erstmals in zwei Vierergruppen gespielt, deren Sieger anschließend das Finale austragen. Guardiola und Barça treffen in der frühen K.o.-Phase auf zwei deutsche Mannschaften; zunächst wird Hansa Rostock ausgeschaltet, der letzte Meister der DDR-Oberliga. Nach dem ostdeutschen wartet in der zweiten Runde der westdeutsche Meister auf die Katalanen. Der 1. FC Kaiserslautern hatte in der Liga überraschend den FC Bayern München auf Platz zwei verwiesen, doch auf europäischer Bühne traut man den Pfälzern nicht viel zu. Das Hinspiel gewinnt Barça mit 2:0, aber im Rückspiel wird der Betzenberg um ein Haar zum Stolperstein auf dem Weg zum Titel. Bis zur 90. Minute führen die Pfälzer mit 3:0, dann trifft Bakero mit dem letzten Angriff, und Barça kommt aufgrund des auswärts erzielten Tores doch noch weiter. Die 90 Minuten vom Betzenberg stecken Guardiola noch 17 Jahre später in den Knochen. In der Saison 2008/09 schlägt Barça den FC Bayern München im Hinspiel des Viertelfinales der Champions League souverän mit 4:0. Aber der Chefcoach Guardiola warnt vor dem Rückspiel in München: „Ich war damals in Kaiserslautern dabei. Wir müssen verhindern, dass sich eine ähnliche Dynamik entwickelt.“
In der Gruppenphase muss sich der FC Barcelona nun mit Sparta Prag, Benfica Lissabon und Dynamo Kiew messen. Es scheint ein souveräner Durchgang für Barça zu werden, bis die Katalanen nach einer 0:1-Niederlage in Prag noch einmal zittern müssen. Doch am letzten Spieltag schlägt man Benfica mit 2:1, während Sparta in Kiew 0:1 unterliegt. Damit steht der FC Barcelona zum zweiten Mal nach 1986 im Finale des europäischen Meisterwettbewerbs, wo im Londoner Wembley-Stadion Italiens Champion Sampdoria Genua wartet.
Sampdoria wird vom Jugoslawen Vujadin Boskov trainiert, der wenige Tage vor dem Showdown seinen 61. Geburtstag feiert und zu den erfahrensten Trainern Europas zählt. Von 1974 bis 1978 hatte er in den Niederlanden gearbeitet (ADO Den Haag, Feyenoord), anschließend in Spanien (Real Saragossa, Real Madrid, Sporting Gijon) und in Italien (Ascoli Calcio, Sampdoria Genua). Mit den Genuesen gewann er 1990 bereits den Europapokal der Pokalsieger. Der Jugoslawe ist ein Disziplinfanatiker und wie Cruyff ein Verfechter des offensiven Fußballs, der für ihn aber – anders als für den Niederländer – in erster Linie ein Laufspiel ist.
35.000 Genuesen und 30.000 Katalanen sorgen im mit 75.000 Zuschauern ausverkauften Wembley-Stadion für eine fantastische Stimmung. Für Cruyff ist es keine Frage, wer gewinnen wird: „Wir gewinnen, weil wir den besseren Fußball spielen.“ Dabei setzt der Trainer auf die Aufstellung: Zubizarreta – Koeman – Ferrer, Nando – Eusebio, Guardiola, Juan Carlos – Laudrup, Bakero – Salinas, Stoichkov. Auch Sampdoria kann einige bekannte Spieler aufbieten: Gianluca Pagliuca hütet das Tor, den Sturm bilden Gianluca Vialli und Roberto Mancini, der spätere Inter-Mailand- und Manchester-City-Trainer.
Cruyff, dem der Spaß am Spiel wichtig ist, gibt seiner Mannschaft als letzte Anweisung auf den Weg: „Geht raus und genießt.“ Was die Zuschauer in der ersten Halbzeit von beiden Teams geboten bekommen, ist allerdings vornehmlich Rasenschach. Erst nach der Pause entledigt man sich der taktischen Fesseln und riskiert mehr. Barça entwickelt aus dem Mittelfeld heraus viel Druck und Tempo, aber Pagliuca und einmal der Pfosten (nach einem Schuss von Stoichkov) verhindern die Führung. Mit der Zeit werden die Konter der Italiener immer gefährlicher. Zu Barças Glück versemmelt Vialli drei gute Möglichkeiten. Trotz des offenen Schlagabtauschs bleibt das Spiel auch nach 90 Minuten torlos und muss in die Verlängerung.
Cruyff interessierte sich nie für den ruhenden Ball, Standards wurden unter ihm kaum trainiert. Umso kurioser, dass es die erfolgreiche Ausführung einer Standardsituation ist, die dem Trainer Cruyff den größten Triumph beschert. Denn in der 110. Minute schenkt der deutsche