Der Tabakgarten - Sechs Geschichten und ein Motto. Gertrud Fussenegger

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Alte gar viele Mäuler zu stopfen, und es war zu sehen, daß er sich dabei übernahm. Immer, wenn ich ihn traf, erschrak ich von neuem über sein Aussehen. Sein Gesich ward hohl, seine Gestalt krümmte sich, seine Natur und seine Kraft unterlagen.

      Im dritten Winter verfiel er in eine schwere Krankheit. Die Generalin schickte zu uns um Hilfe. Meine Schwester, die Pflegerin, erbot sich, eine Nacht bei dem Kranken zu wachen.

      Gegen Mitternacht machte ich mich leise auf, um nachzusehen, wie es dem Kranken und wie es meiner Schwester bei der Pflege erging. Auf Zehenspitzen betrat ich das Turmgemach. Da war es noch einmal verwandelt – zu einem Krankenzimmer, zu einem Sterbezimmer, mußte ich denken, als ich einen Blick in des alten Mannes Gesicht getan. Er lag nicht zu Bett, das ertrug er nicht; er saß in einem Lehnstuhl, von Kissen umhäuft; eine Entzündung schnürte ihm den Atem in der keuchenden Brust.

      Auf dem Tisch zu seiner Rechten lag groß ausgebreitet ein Stück Papier. Es war mit Reißzwecken festgemacht und mit Fähnchen besteckt. Mit Fähnchen! Mir stockte das Herz. Woran dachte er denn, der sterbende Mann? An Schlachten noch immer? An Aufmärsche und vergebliches Blutvergießen? An Triumphe, die verwelkt, an Hoffnungen, die verwest, an Verheißungen, die zu Staub zerfallen waren? Aber da erkannte ich, wie ich mich darüberneigte, die Karte unserer engeren Heimat, der ländlichen Umgebung unserer kleinen Stadt. Ich las die mir wohlbekannten Namen, erkannte die Linien der Wege, das zerstreute Gepünktel der Siedlungen und einzelnen Anwesen. Der Kranke wies darauf hin. Ich fragte: „Das haben Sie gemacht?“ Er nickte eifrig. Ich beugte mich tiefer, ein stolzes Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

      Für die Farben der Fähnchen war in einer Ecke der Karte ein Schlüssel angebracht, er lautete: Blaue Fähnchen für Milch, grüne für Kartoffeln, gelbe für Eier. – Mit zitternder Hand schob mir der Kranke eine Lupe zu. Mir wurde der Blick trüb hinter dem Schleier der Tränen. Da sprach er: „Wo die weißen Fähnchen stecken, dort wohnen gute Menschen.“

      Ich legte die Lupe nieder und ergriff seine Hand. Am liebsten hätte ich sie geküßt. Er nickte stolz, mit dem bartstoppeligen Kinn niederweisend auf den Plan, auf das letzte Werk seines Lebens. Und siehe, es wimmelte von weißen Fähnchen das ganze Revier.

      Am Tage danach verschied der alte Stratege. Seine Frau brachte mir die Nachricht, er habe mir, wie er zuletzt noch zu erkennen gegeben, die Karte seiner Hamsterfahrten und alle in ihr verbuchten Erfahrungen hinterlassen. Sie ziehe fort mit den Ihren, ihr könne der Plan nicht mehr von Nutzen sein. Aber ich hätte Kinder, Schwestern, Brüder, das ganze Haus voll Menschen, ich könne daraus Nutzen ziehen.

      Ich dankte der Generalin und holte die Karte. Ich studierte sie wohl auch einen Abend lang. Aber ich verstand wohl wenig gut umzugehen mit dem mühsam erstellten Dokument. Das Gestech der Fähnchen kam durcheinander, die Wimpelchen fielen aus ihren Positionen, mit Schrecken sah ich, daß sich mir der säuberliche Aufmarschplan zur Schlacht um das tägliche Brot alsbald verwirrt haben würde.

      Zum Glück bedurfte ich seiner nicht mehr lange. Kurze Zeit nach dem Tode des Generals wurde es besser mit allem, was die äußeren Lebensumstände betraf. Die Läden füllten sich mit Waren, das Hamsterwesen erlosch, die Gilde der wandernden Rucksackleute verschwand aus der Landschaft.

      Das Leben erhob wieder sein Haupt, und gar nicht lange darauf ging das andere wieder an, wovon wir gedacht hatten, wir würden nie mehr dazu versucht werden können, das herzbeklemmende Spiel in den Landschaften der Pläne und Konstellationen, dieses Spiel mit Fähnchen und Fahnen, Ideen und Feldzeichen, um Entscheidungen, die so unabsehbar als gefährlich sind. Die Zeit der Not und der Demütigung hatten es nicht zu verhindern vermocht, daß andere Maßstäbe wieder auftauchten, daß wir aus Überstehenden wieder zu Handelnden wurden, zu Spielern mit hohem Einsatz. Wer nimmt noch Maß an den einfachsten Dingen des Lebens und daran, ob sich an ihnen erfülle, was doch das Erste und Größte und Wichtigste wäre, nämlich daß Friede sei auf Erden für alle, die guten Willens sind.

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