Ekkehard. Joseph Victor von Scheffel

Ekkehard - Joseph Victor von Scheffel


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auf- und abrennt an der Esche Yggdrasil und des Adlers zürnende Worte im Wipfel hernieder trägt zu Nidhöggr, dem Drachen in der Tiefe: das war nicht seines Amtes, das tat er aus freien Stücken.

      Heute aber schaute er gar vergnüglich drein, deß trug die Güte der Weinlese Schuld. Und er tauchte sein Krüglein in ein offenes Faß, hielt's gegen das Fenster und schlürfte bedächtig den unklaren Stoff. Den schlafenden Gast nahm er nicht wahr.

      Auch dieser ist süß, spach er, und kommt doch vom mitternächtigen Abhang der Hügel. Gelobt sei der Herr, der vom Notstand seiner Knechte auf dieser Au eine billige Einsicht nahm und nach so viel magern Jahren ein fettes schuf, und frei von Säure!

      Inzwischen ging draußen Kerhildis, die Obermagd, vorüber, sie trug eine traubengefüllte Butte zur Kelter. Kerhildis, sprach der Kellermeister leise, getreueste aller Mägde, nimm mein Krüglein und füll es mit dem Neuen vom Wartberg, der drüben an der Kelter steht, auf dass ich ihn mit diesem vergleiche.

      Kerhildis, die Obermagd, stellte ihre Last ab und ging und kam und stand vor Rudimann, reichte ihm das Krüglein, schaute schalkhaft an ihm hinauf, denn er überragte sie um eines Kopfes Länge, und sprach: Wohl bekomm's!

      Rudimann tat einen langen, frommen, vergleichenden Zug, so dass ihm der Neue auf den Lippen schmelzen mochte wie Schnee in der Morgensonne; alle miteinander werden süß und gut, sprach er, und seine Augen hoben sich gerührt, und dass sie an der Obermagd strahlendem Antlitz haften blieben, daran trug der Kellermeister kaum Schuld, denn diese hätte sich inzwischen auch zurückziehen können.

      Da fuhr er mit Salbung fort: So ich aber Euch anschaue, Kerhildis, so wird mein Herz doppelt froh, denn auch Ihr gedeihet wie der Klosterwein in diesem Herbst, und Eure Bäcklein sind rot, wie Granatäpfel, die des Pflückenden harren. Preiset mit mir des Jahrgangs Güte, getreuste aller Mägde!

      Und der Kellermeister schlang seinen Arm um der schwarzbraunen Obermagd Hüfte, die wehrte sich nicht groß – was liegt an einem Kuss im Herbst? – und sie wusste, dass Rudimann ein Mann von reifen Sitten war und alles mäßig tat, wie es einem Kellermeister geziemt.

      Da fuhr der Schläfer auf der Steinbank aus seinem Schlummer. Ein eigentümlich Geräusch, das von nichts anderem herrühren kann als von einem wohlaufgesetzten verständigen Kuss, schlug an sein Ohr, er schaute zwischen den Fässern durch, da sah er des Kellermeisters Gewandung und ein Paar fliegende Zöpfe, die nicht zu diesem Habit gehörten... er richtete sich auf, ein ungestümer Zorn kam über ihn, denn Ekkehard war jung und eifrig, und in Sankt Gallen war strenge Sitte, und es hatte ihm noch nie als möglich vorgeschwebt, dass ein Mann im Ordenskleid ein Weib küssen möge.

      Sein wuchtiger Haselstock ruhte ihm noch im Arm; jetzt sprang er vor und schlug dem Kellermeister einen wohlgefügen Streich, der zog sich von der rechten Schulter nach der linken Hüfte und saß fest und gut wie ein auf Bestellung gelieferter Rock – und bevor sich jener der ersten Überraschung erholt, folgte ein zweiter und dritter von gleichem Schrot... er ließ sein steinern Geschirr fallen, dass es am Pflaster zerschellte; Kerhildis entfloh.

      Beim Krug von der Hochzeit zu Kana! rief Rudimann, was ist das? und wandte sich gegen den Angreifer. Jetzt erst schauten sich die beiden von Angesicht zu Angesicht.

      Ein Gastgeschenk ist's, sprach Ekkehard ingrimmig, das der heilige Gall dem heiligen Pirmin sendet! und er erhob seinen Stab von neuem.

      Dacht' ich's doch, schalt der Kellermeister, sankt gallische Holzäpfel! Man kennt euch an den Früchten: Boden hart, Glaube roh, Leute grob! Wartet auf das Gegengeschenk.

      Er sah nach etwas Greifbarem um, ein namhafter Besen stand in der Ecke, mit dem waffnete er sich und gedachte auf den Störer seines Friedens einzudringen...

      Da rief's gebietend von der Pforte her: Halt! Friede mit Euch! Und eine zweite Stimme frug mit fremder Betonung: Was ist hier für ein Holofernes aus dem Boden gewachsen?

      Es war der Abt Wazmann, der mit seinem Freund Simon Bardo, dem ehemaligen des griechischen Kaisers, von der Einsegnung der Weinlese zurückkehrte. Das Geräusch des Streits unterbrach eine gelehrte Auseinandersetzung des Griechen über die Belagerung der Stadt Hai durch Josua und die strategischen Fehler des Königs von Hai, da er mit seinem Heer auszog wider die Wüste. Der alte Griechenfeldherr, der die Heimat verlassen, um im byzantinischen Ruhestand nicht an Mattigkeit der Seele zu sterben, lag in seinen Mußestunden im deutschen Kloster eifrig dem Studium der Taktik ob; sie hießen ihn scherzweise den Hauptmann von Kapernaum, wiewohl er das Ordenskleid genommen.

      Gebt dem Streit Raum, sprach Simon Baro, der mit Bedauern den Zweikampf unterbrochen sah, zum Abte: ich hab' heut im Traume ein Sprühen von Feuerfunken erschaut, das deutet Schläge...

      Der Abt aber, in dessen Augen die Eigenmacht Jüngerer ein Greuel war, gebot Ruhe und ließ den Streitfall zur Schlichtung vortragen.

      Da hob Rudimann an zu erzählen, was geschehen war und verschwieg nichts.

      Leichtes Vergehen, murmelte der Abt; Hauptstück sechsundvierzig: von dem, was bei der Arbeit, beim Gärtnen oder Fischfang, in Küche oder Keller gesündigt wird – alemannisches Gesetz: von dem was mit Mägden geschieht... der Gegner spreche!

      Da trug auch Ekkehard vor, wie er die Sache angeschaut und in gerechtem Zorn dreingefahren.

      Verwickelt! murmelte der Abt, Hauptstück siebenzig: kein Bruder nehme sich heraus, den Mitbruder vor der Ermächtigung des Abts zu schlagen, Hauptstück zweiundsiebenzig: von demjenigen Eifer, der einem Mönch wohl ansteht und zum ewigen Leben führet... Wie viel Jahre zählt Ihr?

      Dreiundzwanzig!

      Da sprach der Abt ernsthaft: Der Streit ist aus. Ihr, Bruder Kellermeister, habt Eure Streiche als wohlverdient Entgelt Eurer Zerstreutheit aufzunehmen; – Euch, Fremdling des heiligen Gallus, vermöchte ich füglich anzuweisen, Eures Weges weiter zu ziehen, denn es stehet geschrieben: Wenn ein fremder Mönch aus anderweiten Provinzen ankommt, soll er zufrieden sein mit dem, was er im Kloster vorfindet, sich nur einen demütigen Tadel erlauben und sich in keiner Weise überflüssig machen. In Erwägung Eurer Jugend und untadeligen Beweggrundes aber mögt Ihr zur Sühnung am Hauptaltar unserer Kirche eine einstündige Abendandacht verrichten: dann seid als Gastfreund willkommen!

      Dem Abte erging es mit seinem Schiedsspruch wie manchem gerechten Richter. Keiner der Beteiligten war zufrieden; sie gehorchten, aber unversöhnt. Wie Ekkehard in der Kirche sein Sühngebet tat, mochten ihm allerlei Gedanken durch die Sinne ziehen von gutem Herzen, von rechtzeitigem Eifer und von anderer Leute Urteil drüber. Es war eine der ersten Lehren, die er im Zusammenstoß mit Menschen erlitt. Durch eine Seitenpforte ging er ins Kloster zurück.

      Was Kerhildis, die Obermagd, an jenem Abend den dienstbaren Frauen im Nähsaal zu Oberzell erzählte, allwo sie beim flackernden Scheine des Kienspans ein Dutzend neue Mönchsgewänder zu fertigen hatten, war mit so beleidigenden Ausfällen gegen die Jünger des heiligen Gallus untermischt, dass es besser verschwiegen bleibt...

      Um dieselbe Zeit, da Ekkehard in der Klosterkirche der Insel eine unfreiwillige Andacht abhielt, war Frau Hadwig auf dem Söller von Hohentwiel gestanden und hatte lange hinausgeschaut – aber nicht nach der untergehenden Sonne. Die ging ihr im Rücken, hinter den dunkeln Bergen des Schwarzwaldes zur Ruhe. Frau Hadwig aber schaute erwartungsvoll nach dem Untersee und nach dem Pfad, der von seinem Ausgang sich dem Hohentwieler Fels entgegen zog. Die Aussicht schien ihr nicht zu genügen; wie's dunkel ward, ging sie unwillig zurück, ließ ihren Kämmerer rufen und verhandelte lang mit ihm...

      Am frühen Morgen des andern Tages stund Ekkehard gerüstet zu weiterer Fahrt an der Schwelle des Klosters. Der Abt war auch schon wach und machte einen Frühgang im Gärtlein. Der Richterernst des gestrigen Tages lag nicht mehr auf seiner Stirne. Ekkehard sagte ihm Valet. Da raunte ihm der Abt lächelnd ins Ohr: Seliger, der du eine solche Schülerin die Grammatik lehren darfst! Das schnitt in Ekkehards Herz. Eine alte Geschichte stieg in seiner Erinnerung auf, – auch in den Klostermauern gab's böse Zungen und überlieferte Stücklein, die von einem zum andern die Runde machten.

      Ihr gedenket


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