Ekkehard. Joseph Victor von Scheffel

Ekkehard - Joseph Victor von Scheffel


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ging er hinab zu seinem Schiffe. Der Abt hätte lieber ein Büchslein mit Pfeffer zum Frühmahl eingenommen, als diese Erinnerung. Glückliche Reise! rief er dem Scheidenden nach.

      Von dieser Zeit hatte Ekkehard es mit den Reichenauer Klosterleuten verdorben. Er ließ sich's nicht kümmern und fuhr mit seinem Ermatinger Fergen den Untersee hinab.

      Träumerisch schaute er aus seinem Schifflein hinaus ins Weite. Im durchsichtigen Duft des Morgens wogte der See, zur Linken hoben sich die schlanken Türmchen von Eginos Klause Niederzell, – dort streckt das Eiland seine letzten Spitzen ins Gewässer hinaus, eine steinerne Pfalz schaute aus den Weidenbüschen vor – aber Ekkehards Blick haftete auf der Ferne, der er zusteuerte; groß, stolz, in steiler kecker Linie trat ein felsiger Bergrücken aus dem Gehügel des Ufers vor, gleich dem Gedanken eines Geistesgewaltigen, der wuchtig und tatenschwer flache Umgebung überragt, die Frühsonne warf helle Streiflichter auf Felskanten und Gemäuer. Fern zur Rechten hoben sich etliche niedere Kuppen von gleicher Form, bescheiden, als wären sie Feldwachen, die der Große ausgesendet.

      Der Hohentwiel! sprach der Fährmann zu Ekkehard. Der hatte das Ziel seiner Fahrt in früheren Tagen noch niemals erschaut, aber es brauchte des Schiffers Wort nicht, um's ihm zu sagen. So musste der Berg sein, den sie zu ihrem Sitze erkoren. Eine ernste Stimmung kam über Ekkehard. Züge des Gebirges, weite Flächen Wasser und Himmel, große Landschaft wirkt jederzeit Ernst im Gemüt, nur des Menschen Getrieb ruft ein Lächeln auf des Beschauers Lippe. Er gedachte des Apostels Johannes, wie der einst der Felseninsel Patmos entgegengefahren, und wie ihm dort eine Offenbarung aufgegangen...

      Der Fährmann steuerte rüstig vorwärts. Schon waren sie dem Ufervorsprung, der die Zelle Radolfs und die wenig umliegenden Behausungen trägt, nahe. Da trieb ein seltsames Schifflein im See, roh, ein hohler Baumstamm, aber ganz verdeckt und überbaut mit grünem Gezweig und Schilfrohr, und war kein Ruderer zu erschauen, der es lenkte. Der Wind schaukelte es dem Geröhricht am Gestade entgegen.

      Ekkehard hieß seinen Fergen das absonderliche Fahrzeug anhalten. Da stieß derselbe mit seiner Ruderstange in die grüne Verhüllung.

      Pest und Aussatz Euch ins Gebein! fluchte es mit tiefer Stimme aus der Höhlung hervor, oleum et operam perdidi, Hopfen und Malz ist verloren. Wildgans und Kriekente sind des Teufels!

      Ein Zug Wasservögel, der mit heiserem Geschnatter in der Nähe aufstieg und landeinwärts flog, bestätigte des Fluchenden Ausspruch.

      Im Buschwerk des Schiffleins aber knisterte es und hob sich auf, ein wettergebräuntes runzeldurchfurchtes Antlitz schaute herüber, um den Leib schmiegte sich ein verblichen geistlich Kleid, das, an den Knien mit unsicherem Messerschnitt gekürzt, zerzaust herabhing; im Gürtel stak ein Köcher statt des Rosenkranzes, die gespannte Armbrust lag auf des Schiffleins Vorderteil.

      Pest und Aussatz – wollte des Fahrzeugs Insasse nochmals anheben, da schaute er Ekkehards Tonsur und Benediktinergewand und änderte den Ton: Hoiho! salve confrater! Beim Bart des heiligen Patrik von Armagh, so mich Euer Fürwitz noch eine Viertelstunde länger ungehindert gelassen, könnt' ich Euch zu einem weidlichen Bissen Seewildbret einladen. Mit Bewegung schaute er den in die Ferne streichenden Wildenten nach.

      Ekkehard aber hob lächelnd den Zeigefinger: Ne clericus venationi incumbat! Kein Geweihter des Herrn soll der Jagd pflegen.

      Stubenweisheit, rief der andere, gilt nicht bei uns am Untersee. Seid Ihr etwann gesendet, beim Leutpriester zu Radolfszelle Kirchenschau zu halten?

      Beim Leutpriester von Radolfszelle? frug Ekkehard. Steht hier der Bruder Marcellus vor mir? Er tat einen Seitenblick auf des Weidmanns rechten Arm, an dem sich die Kutte zurückgestreift hatte; in rauhen Linien war ein von einer Schlange umwundenes Heilandbild eingeätzt und stund mit punktierten Buchstaben drüber Christus vindex. Bruder Marcellus? lachte der Gefragte und strich mit der Hand über die Stirn, fuimus Troes, willkommen in Moengals Revier!

      Er stieg aus seinem hohlen Baum in Ekkehards Schiff hinüber. Der heilige Gallus soll leben! sprach er und küsste ihn auf Wange und Stirn, lasset uns ans Land fahren, Ihr seid mein Gast, wenn auch ohne Wildenten.

      Euch hab' ich mir anders vorgestellt, sprach Ekkehard. Das war kein Wunder.

      Nichts gibt ein falscher Bild von Menschen, als nach ihnen an denselben Ort kommen, wo sie einstens gewirkt, vereinzelte Reste ihrer Tätigkeit sehen und aus dem Gerede der Zurückgebliebenen sich eine Vorstellung des Weggegangenen schaffen. Tiefstes und Eigenstes bleibt dritten meist unbeachtet, auch wenn's offen zu Tag liegt, in der Überlieferung schwindet's ganz. Als Ekkehard ins Kloster trat, war der Bruder Marcellus schon nach der verlassenen Zelle Radolfs als Pfarrherr abgegangen. Etliche zierlich geschriebene Urkunden, Ciceros Buch von den Pflichten, und ein lateinischer Priscianus mit irischer Schrift zwischen den Zeilen erhielten sein Andenken. Viel verehrt lebte sein Name noch an der inneren Klosterschule, er war der tüchtigsten Lehrer einer gewesen, tadellos sein Wandel. Seither war er in Sankt Gallen verschollen. Darum hatte sich Ekkehard statt des Weidmanns im See einen ernsten hagern blassen Gelehrten erwartet.

      Das Gestad von Radolfs Zelle war erreicht; eine dünne, nur auf einer Seite geprägte Silbermünze stellte den Fährmann zufrieden. Sie gingen an Land. Wenig Häuser und schmucklose Fischerhütten standen um das Grabkirchlein, das Radolfs Gebeine birgt.

      Wir sind an Moengals Pfarrhaus, sprach der Alte, tretet ein. Ihr werdet hoffentlich dem Bischof zu Konstanz keinen Bericht von meinem Hauswesen erstatten, wie jener Dekan von Rheingau, der behauptete, er habe bei mir Krüge und Trinkhörner von einer jedem Zeitalter verhassten Größe erschauen müssen. Sie traten in eine holzgetäfelte Halle. Hirschgeweih und Auerochsenhörner hingen über dem Eingang, Jagdspieße, Leimruten, Fischgarne lehnten in malerischer Unordnung an den Wänden, an das umgestürzte Fässlein im Winkel schmiegte sich der Würfelbecher: wäre es nicht des Leutpriesters Behausung gewesen, so hätte füglich auch der Förster des kaiserlichen Bannwaldes hier wohnen können.

      Es stand ein Krug säuerlichen Weines auf dem Eichentisch, auch Brot und Butter lieferte die Vorratskammer. Dann kam der Leutpriester aus der Küche zurück, hielt sein Gewand wie eine gefüllte Schürze und schüttelte einen Platzregen von geräucherten Gangfischen vor seinen Gast. Heu! quod anseres fugasti antvogelosque et horotumblum! Weh, dass du mir die Wildgänse verscheuchst und die Enten samt der Rohrdommel! sprach er, aber wenn einer nur die Wahl zwischen Gangfisch und gar nichts hat, greift er immer noch zum ersten.

      Glieder derselben Genossenschaft sind schnell befreundet. Ein lebhaftes Gespräch erhob sich beim Imbiss. Aber der Alte hatte mehr zu fragen, als Ekkehard beantworten konnte; von so manchem seiner alten Brüder war nichts mehr zu berichten, als dass sein Sarg eingemauert stand bei dem der andern und ein Kreuz an der Wand und ein Eintrag im Totenbuch die einzige Spur, dass er gelebt; – die Geschichten und Spässlein und Klosterfehden, wie sie sich vor dreißig Jahren erzählt wurden, waren durch neue ersetzt, und was seit damals geschehen, ließ ihn gleichgültig. Nur wie Ekkehard von dem Zweck und Ziel seiner Fahrt sprach, rief er: Hoiho, Confrater, was habt Ihr wider die Jagd gesprochen und ziehet ja selber auf Edelwild aus!

      Aber Ekkehard lenkte ab. Habt Ihr noch nie Heimweh nach des Klosters Stille und Wissenschaft verspürt? fragte er.

      Da flammte des Leutpriesters Aug': Ward Catilina von Heimweh nach den Holzbänken des römischen Senats geplagt, nachdem von ihm gesagt war: excessit, evasit, erupit? Junges Blut versteht das nicht. Fleischtöpfe Ägyptens?! ille terrarum mihi praeter omnes... sprach der Hund zum Stall, in dem er sieben Jahre gelegen.

      Ich versteh' Euch allerdings nicht, sprach Ekkehard. Was schuf Euch solche Änderung der Sinnesart? Er warf einen Seitenblick auf das Jagdgerät.

      Die Zeit, gab der Leutpriester zurück und klopfte seinen Gangfisch auf dem Eichentisch mürb, – die Zeit und wachsende Erkenntnis. Das braucht Ihr aber Eurem Abte nicht zu berichten. Bin auch einmal ein Bursch gewesen wie Ihr, Irland zieht fromme Leute, sie wissen's hier zu Land. Eheu, wie war ich untadligen Gemütes, wie ich mit Oheim Marcus von der Wallfahrt gen Rom zurückkam. Hättet den junge Moengal sehen sollen, die ganze Welt war ihm keinen Gründling wert, aber Psallieren, Vigilien singen, geistliche Übungen halten:


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