Megan Rapinoe. Luca Caioli
auf der Fassade des Hauptgebäudes. Die Schule liegt ungefähr vierzig Kilometer vom Haus der Rapinoes in Palo Cedro entfernt und verspricht, ihre Schüler zu „autonomen Menschen auszubilden, die in der Lage sind, ihren Beitrag zu einer sich ständig wandelnden Welt zu leisten“.
Auf dem Gymnasium besuchen die Mädchen die Oberstufe (von der neunten bis zur zwölften Klasse) und stillen in diesen drei Jahren ihre Gier nach Sport: Sie machen Leichtathletik, spielen Volleyball und vor allem Basketball. Ihre Noten sind ausgezeichnet, und Megan tut sich von Beginn an hervor. Jedes Semester wird sie lobend für ihre herausragenden Leistungen erwähnt. Ihre Klassenkameraden wählen sie zur Sportlerin des Schuljahres 2000/2001, und ihr Name erscheint in Who’s Who Among American High School Students1.
Die Rapinoes gehören in der neunten und zehnten Klasse zum Leichtathletikteam der Schule und spielen drei Jahre lang in der Basketballmannschaft der Mädchen. In dem Jahrbuch der Schule sieht man mehrere Aufnahmen der zwei Schwestern als Basketballspielerinnen: einerseits im weißen Trikot (Megan mit der Nummer 3, Rachael mit der 10), andererseits auch, den Ball in der Hand, in einem zweiten, rot-blauen Trikot, dem ihrer eigenen Mannschaft, den Cougars. Man erkennt sie außerdem auf Bildern, wie sie – in einer Reihe stehend – die Nationalhymne singen (Megan mit gesenktem Kopf), oder wie sie gerade dabei sind, eine ihrer Mitspielerinnen anzuspornen. In dem Buch gibt es auch ein Foto von ihnen beim NBA Day in Foothill: Megan und Rachael tragen Michael Jordans Trikot mit der Nummer 23 zur Schau, das er bei seinem zweiten Comeback am 25. September 2001 trug, als er Teilhaber der Washington Wizards war und beschlossen hatte, noch einmal selbst in die Basketballschuhe zu schlüpfen. Heiter lächeln die beiden und versuchen, die berühmten Posen von M.J. nachzustellen.
Sie lieben Basketball, auch wenn Megan mit ihrer stürmischen Art meistens fünf Fouls kassiert und das Match nicht beenden darf. Angefangen zu spielen haben die zwei Schwestern vor dem Basketballkorb, der an ihrem alten Haus in Oak Meadow hing, unter Anleitung ihres Bruders Brian. Das waren endlose, erbitterte Partien, Frau gegen Frau, in denen die Schwestern ihre Geschicklichkeit und Beharrlichkeit im Zweikampf schulten. In der dritten und vierten Klasse auf der Junction School ging ihr Training in der Sporthalle weiter; sie spielten in einer Jungenmannschaft und scheuten sich nicht, ältere Schüler herauszufordern.
Als sie im Jahr 2000 auf das Gymnasium wechseln, ziehen sie den orangfarbenen Ball mit der Aufschrift Spalding sogar dem schwarzweißen Fußball vor. Der Grund liegt auf der Hand: In der Region finden die Turniere und Meisterschaften im Fuß- und Basketball stets im Winter statt, und die Zwillinge wollen nicht draußen, in der Kälte, bei Wind, Regen und Schnee spielen. Sie tauschen die matschigen Fußballplätze gegen die angenehm temperierten Hallen ein, wo sie während der zweieinhalb Monate der Wintersaison das Körbewerfen trainieren können, und begnügen sich damit, im Sommer Fußball zu spielen, während sie auf den entscheidenden Moment warten.
Damals geht es Megan und Rachael in erster Linie darum, zu spielen und sich auszutoben. Denise und Jim haben ihre Töchter nie dazu gezwungen, sich für eine Sportart zu entscheiden, sie wollten, dass sie einfach Spaß haben. Vater und Mutter dienten lediglich als Fahrer, wenn es darum ging, die zwei Schwestern durch den ganzen Bundesstaat zu chauffieren, winters wie sommers, damit sie an den verschiedenen Partien der Mädchen- und Jungenmannschaften teilnehmen konnten. Nie mischten sie sich ein, sondern unterstützen die Entscheidungen von Megan und Rachael immer. Allerdings bestand Denise in ihrer überbehütenden Art darauf, dass die Mädchen schwimmen lernen und ein Musikinstrument spielen. Mit Erfolg: Megan spielt noch immer Gitarre und ist eine begeisterte Schwimmerin.
Die Zwillinge machten ihre ersten Erfahrungen als Sportlerinnen vollkommen unbeschwert, ohne Erwartungen, ohne Erfolgsdruck, auch wenn sie sich irgendwann entscheiden und sich auf ein Ziel festlegen mussten. Letztendlich fiel Megans und Rachaels Wahl auf Fußball – eine Entscheidung, die sie während ihres ersten Jahres an der Foothill High School trafen und, Ironie des Schicksals, dem Basketball zu verdanken haben.
Die Saison 2000/2001 ist gut gelaufen, die Ergebnisse sind erfreulich gewesen. Während der Play-offs treffen die Cougars in Palo Alto auf die Frauenmannschaft eines katholischen Gymnasiums aus der Region. Das Match zieht reichlich Publikum an: Scouts und Trainer der größten amerikanischen Universitäten, von Standford bis Berkeley, sind gekommen, um die ersten fünf aus nächster Nähe zu sehen. Zur Halbzeit sind die Cougars noch im Spiel und liegen nur zwei Punkte im Rückstand. Doch mit dem Schlusspfiff müssen sie eine herbe Niederlage mit sechsundzwanzig Punkten einstecken. Die Gegnerinnen waren zu stark. Die Basketballspielerinnen von Foothill waren machtlos, auch wenn sie sich die ersten zwanzig Minuten gut geschlagen haben.
Auf dem Rückweg fragt Denise ihre Töchter, ob sie trotz der Play-offs die Saison genossen haben, ob sie im nächsten Jahr weiter Basketball spielen und sich später an einer entsprechenden Universität bewerben wollen. Die Antwort der Zwillinge lautet in etwa: Lieber konzentrieren wir uns von nun an auf Fußball, denn wenn wir ein Stipendium für ein Studium an einer Uni der NCAA Division I2 ergattern wollen, haben wir damit die besseren Chancen.
Die zwei Mädchen sind intelligent und wissen schon jetzt, was sie wollen. Sie werden zwei weitere Saisons in der Basketballmannschaft der Schule spielen, denn dabei fühlen sie sich trotz ihrer Größe – Megan ist 1,68 Meter groß, Rachael 1,64 Meter – wohl, doch danach wird Fußball an erster Stelle stehen.
Der zweite Wendepunkt im Leben der Zwillinge folgt 2001, als der Trainer des Fußballklubs Elk Grove Pride die beiden bei einem Turnier in Redding spielen sieht. „Das Leistungsniveau war sehr bescheiden, und wir haben das Turnier schließlich gewonnen, nachdem wir insbesondere gegen die Mannschaft von Megan und Rachael gespielt hatten. Die zwei Schwestern waren zweifellos die besten Spielerinnen des Wettbewerbs. Sie haben als Trainerinnen auf dem Platz agiert, ihren Kameradinnen Anweisungen gegeben, wie sie sich aufstellen und bewegen sollten“, erinnert sich ihr zukünftiger Coach: Danny Cruz, einundsechzig Jahre alt, der vierzig davon als Trainer auf Fußballplätzen verbracht hat. „Nach dem Spiel habe ich zu den Zwillingen und ihren Eltern gesagt, sie müssten unbedingt bei uns mitspielen. Das war keineswegs eine sichere Sache, denn die zwei Städte liegen weit voneinander entfernt. Umso erstaunter war ich, als Megan und Rachael in der darauffolgenden Woche zum Training erschienen sind. So hat alles angefangen.“
Elk Grove hat 175.000 Einwohner und liegt im Sacramento County, 285 Kilometer von Redding entfernt. Die Fahrt Richtung Süden dauert etwa drei Stunden. 570 Kilometer auf der Interstate 5. Drei Jahre lang wird das zur Standardstrecke der Familie Rapinoe, wenn die Zwillinge im blauen Trikot für Elk Grove Pride, später umbenannt in Sacramento Pride, zu einem Spiel antreten.
Jeden Dienstag nutzt Denise ihren freien Tag, um Megan und Rachael von der Schule abzuholen und sie nach Elk Grove zu fahren, während die Mädchen auf der Rückbank ihre Hausaufgaben erledigen – anfangs noch mit einem einfachen Auto, das jedoch durch einen Van ersetzt wird, der komfortabler, ökonomischer und sicherer ist und die langen Strecken übersteht, ohne dass der Motor auf einmal heftig qualmt. Sobald sie in Elk Grove ankommen, setzt Denise ihre Töchter am Trainingsplatz ab und wartet. Aus den anderthalb Stunden werden häufig zwei, denn die beiden können gar nicht genug kriegen. Abgesehen von ihrer Pünktlichkeit streben Megan und Rachael vor allem nach Perfektion und üben ihre Spielzüge so lange ein, bis sie einwandfrei sitzen.
Danny Cruz ist überwältigt: „Die zwei Mädchen hatten so viel Talent und Fleiß, wie ich es selten gesehen habe. Megan war kreativ, geschickt, unvorhersehbar, sie führte Spielzüge aus, die nur sehr wenige fünfzehn- oder sechzehnjährige Spielerinnen beherrschen. Sie war schnell, hatte einen guten Blick fürs Spiel, konnte alle Positionen im Mittelfeld und im Angriff besetzen. Rachael war eine wahre Naturgewalt, spielte in der Verteidigung, aber, wenn nötig, auch ohne Probleme im Sturm. Die beiden zusammen zu sehen, war ein Hochgenuss, sie fanden sich mit geschlossenen Augen. Beide waren mit Ehrgeiz und Ernst dabei, immer hochkonzentriert. Außergewöhnlich motiviert. Sobald sie auf dem Spielfeld waren, dachten sie nur an eins – ans Gewinnen. Nicht mal im Training sparten sie Kräfte. Manchmal befanden sie sich im direkten Zweikampf, Stürmerin gegen Verteidigerin. Sie ließen einander nichts durchgehen, schrien sich an, kämpften erbittert um jeden Ball. Das zeigt, wie kompetitiv beide schon damals waren.“
Nachdem sie geduscht und sich umgezogen haben, geht es zurück nach