Sehnsucht Australien. Jürgen Bertram

Sehnsucht Australien - Jürgen Bertram


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liegt. Bereits auf einer Drehreise, die uns vor acht Jahren schon einmal in diese Gegend führte, hatte es auf uns, trotz seines spärlichen Angebots, die beglückende Wirkung einer Oase.

      Da leuchtet sie wieder, die grasgrüne Zapfsäule. Auch der Wassertank, die einsame Palme, die Voliere mit den kreischenden Papageien und der auf diesem staubigen Areal ziemlich deplatziert wirkende Pfau kommen uns bekannt vor. Aber wo ist die Raststätte? Stand sie nicht exakt zwischen den beiden Eukalyptusbäumen? Oder geistert sie als gedankliche Fata Morgana, als Trugbild, durch unsere Erinnerung?

      »Abgebrannt«, klärt uns ein vierschrötiger Typ auf, der seinen Lebensmitteltransporter wohl regelmäßig über diese Strecke lenkt. »Kurzschluss«, fügt er hinzu.

      »Und die Feuerwehr?«

      »Mein Gott, die Feuerwehr ... Die braucht ein paar Stunden zum Sandfire Roadhouse. In dieser Zeit brennt jeder Laden bis auf die Grundmauern ab. Ist doch sowieso alles Plunder, wie die hier bauen.«

      Abgebrannt. Dann existiert auch das Wandgemälde nicht mehr, das einen deutschen Australienforscher würdigte. Während der Durchquerung einer Wüste, hieß es in einer Erläuterung zu dem Porträt, habe er in seinem Tagebuch notiert: »Der Sand glüht, als ob er brennt.« Deswegen heiße die Raststätte »Sandfire Roadhouse«.

      Friedrich Wilhelm Ludwig Leichhardt wird am 23. Oktober 1813 in dem Dorf Trebatsch in Brandenburg als sechstes von neun Kindern geboren. Sein Vater ist preußischer Torfinspektor in der Moorlandschaft bei Cottbus, seine Mutter, die Fabeln, Märchen und Sagen liebt, infiziert ihn schon während seiner Kindheit mit ihrem Hang zum Romantischen. Gleichzeitig erschließt sich ihm die Wunderwelt der Natur. In der Grundschule, die er besucht, erhält jedes Kind ein Stück Land, auf dem es Gemüse, Gewürze und Blumen züchten muss und das ihm gleichzeitig die Vielfalt an Käfern, Schmetterlingen oder Ameisen offenbart. Zu Hause legt sich der Schüler Leichhardt ein Herbarium und eine Sammlung von Insekten an, die er akribisch klassifiziert.

Bildtextbeschreibung

      Wo der deutsche Forscher Ludwig Leichhardt verschwand: Szenario im australischen Busch

      Am Ende eines Studiums, das sich zunächst den Geisteswissenschaften und später den Naturwissenschaften widmet, ist ein junger Mann herangereift, der den welterfahrenen Forscher Alexander von Humboldt bewundert, selbst von Fernweh gepackt wird und, in einem Anflug von missionarischem Hochmut, eine Erkenntnis aus Johann Wolfgang von Goethes Dichtung Iphigenie auf Tauris zu seinem Lebensmotto macht: »Die Götter brauchen manchen guten Mann zu ihrem Dienst auf dieser weiten Erde.«

      In dem brandenburgischen Fürsten Hermann Pückler, Schöpfer genialer Parks und ein populärer Reiseschriftsteller, findet der tatendurstige Jüngling einen einflussreichen Förderer. Studienaufenthalte in London und Paris und der inspirierende Umgang mit einem britischen Freund vervollständigen eine Entwicklung, der zwangsläufig die erste große Herausforderung folgt. Leichhardt strebt nichts Geringeres an, als den »geheimnisvollen Schleier« der australischen Flora und Fauna zu lüften. »Dieses Innere, dieser Kern der dunklen Masse, ist mein Ziel«, schreibt er kryptisch an einen seiner Schwäger. »Und ich werde nicht eher nachlassen, als bis ich es erreiche.«

      1. Oktober 1844. Zusammen mit neun Begleitern, 17 Pferden, 16 Ochsen und fünf Hunden bricht Ludwig Leichhardt im Moreton Distrikt an der australischen Ostküste zu seiner ersten bedeutenden Forschungsreise auf. Ziel ist die 4828 Kilometer entfernte Siedlung Port Essington, das heutige Darwin. Um es wohlbehalten zu erreichen, hat der Trupp 550 Kilo Mehl, 90 Kilo Zucker, 40 Kilo Tee und 10 Kilo Gelatine geladen – viel zu wenig, wie sich schon bald herausstellt.

      »Es herrschte eine ständige Knappheit an Nahrung«, heißt es in einer australischen Chronik. »So war man gezwungen, alle möglichen einheimischen Tiere zu verzehren, einschließlich von Flughunden und Eidechsen. Als ein Sack Mehl zu Boden fiel und aufplatzte, vermischte man den Inhalt mit vertrockneten Blättern und Staub und verrührte das ganze zu einem Brei.« Im Übrigen, so die Chronik, »war die Gruppe ständig in Gefahr, die Orientierung zu verlieren«. Denn: »Mit den Bedingungen des Buschs war Leichhardt nur unzureichend vertraut.«

      Zwei der Begleiter steigen schon bald nach dem Start des Unternehmens aus. Einen dritten, einen Naturkundler, bringen am 28. Juni 1845 Aborigines um. Zwei andere Teilnehmer der Expedition werden bei dem Überfall verletzt.

      Den Ureinwohnern begegnet der preußische Forscher, wie der Leichhardt-Experte Christian Jungblut schreibt, »mit der Neugier eines Kindes, das im Zoo vor einem Elefanten steht«. Und: »Wie die meisten Weißen seiner Zeit hielt Leichhardt den Busch für Niemandsland.« Diese Ahnungslosigkeit führt, da ihr auch etwas Überhebliches innewohnt, zu unberechenbaren Reaktionen. Mal verbrüdert man sich mit den Ureinwohnern und tauscht mit ihnen Geschenke aus, mal erregt man ihren Zorn, weil man bei einer Begegnung in landsknechthaftem Überschwang Gewehrsalven in die Luft ballert, nicht ahnend, dass man damit sowohl die Grenzen als auch die Würde eines Stammes verletzt.

      Entsprechend ambivalent und weitgehend am Erscheinungsbild ausgerichtet fallen Ludwig Leichhardts Urteile über die Aborigines aus. In einer Tagebuchnotiz vom 2. Dezember 1845 entzückt er sich im Stil eines bildungsbürgerlichen, womöglich von homoerotischen Fantasien beflügelten Ästheten: »Als wir auf die Rückkehr eines unserer Ochsen warteten, trat ein bildschöner Eingeborener mit der Leichtigkeit und der Anmut eines Apollos aus dem Wald.« An einer anderen Stelle setzt sich wieder der Missionar in ihm durch: »Könnte man die Kinder von dem Stamm entfernen und in der Ferne regelmäßig erziehen, ließe sich wohl etwas hoffen.«

      Doch die alles überragende Triebfeder bleibt auch während dieser an die physische und psychische Substanz gehenden Expedition die wissenschaftliche Neugier, die Besessenheit des Forschers. Er führt detailliert Buch über Pflanzen und Tiere, Weggabelungen und Witterungsbedingungen. Und indem er Australiens größtes Kohlelager entdeckt, legt er den Grundstein für die wirtschaftliche Prosperität des Kontinents. »Der Wissenschaft«, heißt es in einer australischen Biografie, »ordnete er alles in seinem Leben unter. Dass er dafür die größten Unbequemlichkeiten in Kauf nehmen musste, war ihm völlig egal.«

      Doch je länger die Expedition dauert, desto häufiger mischen sich Eintragungen über die Strapazen in Leichhardts Tagebuch. »Zu diesem Zeitpunkt«, protokolliert er am 7. Dezember 1845, »litten wir alle schlimm unter Geschwüren und einer stechenden Hitze. Die Schnittwunden und die Entzündungen an den Händen faulten schnell ... Aber unser größter Feind war die wachsende Ungeduld, endlich zum Ziel zu gelangen.«

      Am 17. Dezember 1845 erreicht der auf sieben Personen geschrumpfte, völlig ausgebrannte und abgerissene Trupp Port Essington. Fünfzehn Monate hat die Expedition gedauert. »Ich war unbeschreiblich froh«, notiert Ludwig Leichhardt, »mich wieder unter civilisierten Menschen zu befinden.«

      In Sydney, wo er am 25. März 1846 mit einem Segelschiff eintrifft, wird der aus einem brandenburgischen Dorf stammende Forscher wie ein Nationalheld gefeiert. Seine bahnbrechenden Erkenntnisse bringen ihm Geld, Ehrungen und eine Begnadigung durch den preußischen König ein. Leichhardt hätte, während er sich seinen Weg durch den australischen Busch bahnte, eigentlich seinen Militärdienst antreten müssen.

      5. April 1848. Der Mann, der die Wissenschaft sogar über seine vaterländische Pflicht stellte, bricht zu einer zweiten historischen Expedition auf. Von einer Viehstation im Osten Australiens will er sich bis an die Westküste vorkämpfen, den Kontinent also in seiner ganzen Breite durchqueren. Diesmal gehören zu den sieben Mitgliedern der Gruppe auch zwei Aborigines, die mit den Bedingungen des Buschs vertraut sind. Doch Leichhardt begeht wieder einen schwerwiegenden Fehler. Er nimmt nur sieben Pferde mit, ein Tier für jeden Teilnehmer. »Wahrscheinlich«, wundert sich noch heute eine australische Publikation, »hat er überhaupt nicht daran gedacht, dass Pferde auch mal lahmen, abhauen oder sogar krepieren können.«

      Von Ludwig Leichhardt und seinen Begleitern fehlt seither jede verwertbare Spur. Die Berichte der neun großen Expeditionen, die sich auf die Suche nach Leichhardts Gebeinen machen, nähren lediglich die Spekulation. Eine Version lautet, seine eigenen Gefolgsleute hätten Leichhardt ermordet und seien dann selbst von Aborigines getötet worden. Nach einer


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