Sehnsucht Australien. Jürgen Bertram

Sehnsucht Australien - Jürgen Bertram


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der das ganze Areal entflammenden Blütenpracht flattern die schönsten Schmetterlinge. Selbst die Tauben, eigentlich ziemlich ordinäre Vögel, tragen in diesem Garten Eden Krönchen auf ihren Köpfen. Über dem Saum des Buschs, der gleich hinter dem Anwesen beginnt, leuchten die Dünen des Indischen Ozeans in der Abendsonne.

      Seinen Redefluss, der ein ungewöhnliches Auswandererschicksal beschreibt, unterbricht unser Gastgeber immer wieder durch ein dunkles, aus der Tiefe der Brust hervorquellendes Lachen. Wie ein Tusch auf jede Etappe seines Erfolgs wirkt es – und wie eine spöttische Bestrafung derer, die ihn vor acht Jahren, als er sich mit seiner Frau für Australien entschied, warnten: Mensch bleib hier, Andreas; sei nicht so verrückt, alles aufzugeben, was du dir in Deutschland aufgebaut hast!

Bildtextbeschreibung

      Spektakel im Abendlicht: Kamelkarawane am Strand von Broome

      Andreas und Claudia Billiau – und das unterscheidet sie von der Mehrzahl unserer bisherigen Interviewpartner – setzen sich mit ihrem Schritt nicht aus der Armut ab, sondern sie wollen dem Stress entfliehen, den für sie der Wohlstand mit sich bringt. Erst das gutgehende Geschäft für Zeitschriften und Schreibwaren in ihrem Geburtsort Berlin, dann ein neuer Laden in bester Lage im Ostseebad Dahme, schließlich die prosperierende Zimmervermittlung an der Strandpromenade – das alles bringt eine Menge Geld ein, doch es fehlen die Zeit und die Muße, es auszugeben, das Leben zu genießen. »Achtzig Arbeitsstunden in der Woche«, erinnert sich Andreas Billiau, »waren für uns beide die Regel.«

      Als das Paar aus einem Australienurlaub an die Ostsee zurückkehrt, wird es mit einer schockierenden Nachricht konfrontiert. Der beste Freund, mit dem man vor wenigen Monaten noch an der nächsten Geschäftsidee bastelte, ist tot. Herzinfarkt. Mit fünfzig. »Das«, so Andreas Billiau, »war der Wendepunkt in unserem Leben. Ich habe mir gesagt: Wenn du so weitermachst, passiert dir das auch. Und damit stand fest: Wir kehren in das Land, in dem wir gerade unsere Ferien verbracht haben, zurück – für immer.«

      »War es schwer, nach Australien auszuwandern?«

      »Ich muss sagen, der Beamte in der australischen Botschaft hat uns sehr geholfen. Ganz unbürokratisch lief das ab. Wir konnten nachweisen, dass wir bereits in Deutschland als Geschäftsleute erfolgreich waren und unser Geld nicht im Lotto gewonnen hatten. Das war sehr hilfreich. Und ein solides Startkapital hatten wir durch den Verkauf unseres Besitzes auch.«

      »Und wie hätte das ohne Startkapital ausgesehen?«

      »Also, wenn du zum Beispiel Elektriker, Klempner oder Zimmermann bist, ist das kein Problem. 250 000 Handwerker werden in Australien gerade gesucht, vor allem in Gegenden mit Bergwerken. Die boomen nämlich wie verrückt, weil die Chinesen alles an Rohstoffen aufkaufen, was die Minen hergeben. Eine Menge Geld kann man da verdienen. Man muss natürlich bereit sein, eine Zeit lang fern von jeder Zivilisation zu leben.«

      »Was hat Sie an Broome gereizt?«

      »Da lief in Deutschland im Fernsehen so eine Sendung mit Malcolm Douglas, der in Broome eine Krokodilfarm betreibt. Dieser Typ brachte auch die herrliche Natur und den lockeren Lebensstil so gut rüber, dass wir gesagt haben: Broome, das wär was für uns. Außerdem liegt die Stadt wirklich am Ende der Welt. Und wir wollten so weit weg vom Stress wie möglich. Vor allem wollten wir ›draußen‹ leben und nicht ›drinnen‹ wie in Deutschland.«

      Die Billiaus wissen, welches Risiko es bedeutet, sich mit drei Kindern, die so gut wie kein Wort Englisch sprechen, in eine der Randzonen des Fünften Kontinents zu begeben. Doch Michelle (5), Marcel (6) und Pascal (7) bekommen sofort nach der Einschulung eine deutsche Pädagogin zur Seite gestellt, die ihnen jeden Tag von 8 bis 14 Uhr, also praktisch während des gesamten Unterrichts, bei der sprachlichen Eingliederung hilft. »Das hat uns sehr beeindruckt«, sagt der Vater. »Allen ethnischen Minderheiten steht dieser Service zu. Das fördert die Integration immens. Ich glaube, in Australien funktioniert das Prinzip Multikulti. ›Ausländer raus‹, habe ich hier jedenfalls noch nicht gehört.«

      Etwa zwei Jahre lebt das Paar von der finanziellen Substanz, die es sich in Deutschland erarbeitet hat. Dann gerät es unvermittelt in den Sog eines Aufschwungs, den die Region vor allem ihrer attraktiven Lage und einer weltpolitischen Zäsur verdankt. In Broome spannt nämlich nicht nur die wachsende australische Mittelschicht aus, sondern zunehmend auch eine spezifische Klientel aus Europa: Russen, die der Kapitalismus, der in ihrem Heimatland mit der eruptiven Gewalt eines Vulkans ausbrach, zu Millionären machte. Für eine Werkstatt, die mit Perlen und Gold arbeitet, ist das eine ideale Zielgruppe. »Wir hatten hier zwei Russinnen«, berichtet Andreas Billiau, »die hatten sich für eines der teuersten Arrangements entschieden, bestanden aber darauf, dass es mit noch mehr Perlen bestückt wurde. Die konnten gar nicht genug bekommen davon. Wir haben jetzt sogar Agenten in Russland. Und die bestellen und bestellen ...«

      Der Wert der Grundstücke, die das Paar nach der Ankunft in Broome erwarb, steigert sich innerhalb weniger Jahre um ein Vielfaches. Auf einem der Areale betreibt Andreas Billiau eine exklusive, in der Nähe des Strandes liegende »Bed and Breakfast«-Herberge. Musste er sich in Berlin und an der Ostsee noch um jede Kleinigkeit selbst kümmern, so kann er es sich in Broome leisten, einen Manager zu beschäftigen. Der Plan, in Australien die Arbeit mit Muße zu verbinden, ist aufgegangen. »Das liegt aber auch daran, dass die Leute hier nicht diesen No-Future-Blick haben wie in Deutschland. Sie machen es dir einfach, deinen Tag relaxed anzugehen.«

      Toll. Fantastisch. Wahnsinnig. Unglaublich. Unserem Gastgeber galoppieren die Superlative davon, wenn er über das Abenteuer spricht, das er sich mit seiner Frau immer mal wieder an verlängerten Wochenenden gönnt. Die beiden kämpfen sich dann mit ihrem Geländewagen in die unwegsame Einsamkeit der einige hundert Kilometer von Broome entfernten Gebirgszüge vor, breiten dort ihre Schlafsäcke aus und suchen nach Gold. »Wenn du in dieser Gegend einen anderen Menschen triffst, dann ist das Zufall. Irgendwann mal war auch Claudia verschwunden. Ich habe nach ihr gesucht und gesucht ... nichts. Es wurde Nachmittag, Abend – von Claudia keine Spur. Dann tauchte sie plötzlich aus dem Dunkel auf, mit einem Klumpen von einem Kilo. Im Goldrausch hat sie völlig die Zeit vergessen. Später wollen wir in dieser Abgeschiedenheit mal ein paar Wochen oder Monate am Stück verbringen. Ja, das ist unser Traum.«

      »Gibt es auch etwas, wovor Sie Angst haben?«

      »Vor der Küste in der Nähe von Broome ist man auf gewaltige Gasvorkommen gestoßen. Also, wenn die erst ausgebeutet werden, dann ...«

      »Dann?«

      »... weiß ich nicht, ob der Tourismus das überlebt.«

      Der Blick, mit dem Andreas Billiau uns fixiert, lässt darauf schließen, dass er sich von uns, den weit gereisten Journalisten, eine tröstliche Einschätzung erhofft. Es gibt, so viel wissen wir, ein kapitalistisches Naturgesetz: Der größere Profit schlägt den kleineren Profit. Und in der Zeitung haben wir gelesen, dass Malcolm Douglas, der von unserem Gastgeber so geschätzte Besitzer der Krokodilfarm, geweint hat, als er von dem Gasvorkommen erfuhr.

      Aber das behalten wir für uns an diesem wunderbaren tropischen Abend, an dem eine Leiter aus Licht wieder von der Magie des schönen Scheins kündet.

      7 »Die Götter brauchen manchen guten Mann«

      Ein Preuße im Busch

      Die Sonne scheint. Mehr ist über sie nicht zu sagen. Kein Wölkchen schwebt am Himmel, das sich in ihrem Licht verfärbte. Keine Bergkette wächst aus der kargen Ebene, an deren Hängen sie ihre Schattenspiele inszenieren könnte. So bleibt das auf Abwechslung erpichte Auge dem Diktat der Monotonie ausgesetzt: Steine und Büsche links, Steine und Büsche rechts, Büsche und Steine hinten, Büsche und Steine vorn. Hundert Kilometer, zweihundert Kilometer, dreihundert Kilometer, vierhundert Kilometer ... Friss sie, befiehlt das Gaspedal dem Motor. Friss sie!

      Die Kängurus, vor denen Schilder warnen, liegen, die Pfoten bizarr von sich gestreckt, als Opfer nächtlicher Lastwagengewalt im Straßengraben. Krähen, Elstern, Bussarde, manchmal auch Adler, zerren an ihren Kadavern. Mit Plastikblumen bekränzte Kreuze erinnern daran, welche Konsequenzen es haben kann, wenn


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