Sehnsucht Australien. Jürgen Bertram

Sehnsucht Australien - Jürgen Bertram


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Weg. Sie verkaufen ihr Haus in Melbourne und investieren den Erlös in einen Caravanpark, den sie zusammen mit einem anderen Auswandererpaar in einer reizvollen Flusslandschaft in der Nähe der Ostküste betreiben.

      Eine vielversprechende Perspektive ist das auf einem Kontinent, den in zunehmendem Maße die »grauen Nomaden« erobern. So nennt man die Pensionäre, die, statt nach Bali oder auf die Fidschi-Inseln zu jetten, monate- oder jahrelang mit ihren Wohnwagen durch Australien reisen, um die wilde Schönheit und die historischen Wurzeln ihres eigenen Landes zu entdecken.

      Die Zielgruppe stimmt, aber die Chemie unter den Geschäftspartnern nicht. »Irgendwann hat es dann echt geknallt«, erinnert sich Regina Wiebelskircher. »70 000 Dollar haben wir bei diesem Geschäft in den Sand gesetzt. Also, wir hatten in Australien wirklich unsere ups and downs

      Rauf, runter, rauf: Das bleibt für das Ehepaar aus Bellenberg noch über Jahre der Lebenstakt. Die Rückkehr nach Melbourne in die noch immer von Turbulenzen geschüttelte Computerbranche – gescheitert. Das Angebot, in Darwin, ausgerechnet in Darwin, für die Finanzbehörde die Wartung der Computer zu übernehmen – ein Hoffnungsschimmer. Udo Wiebelskircher sagt zu, zieht mit seiner Frau in den gottverlassenen Norden. Doch schon bald entledigt sich das Amt seines alten Systems – und seines deutschen Spezialisten. »Das geht alles ganz schnell hier. Da gehst du morgens auf die Arbeit und nach dem zweiten Frühstück bist du wieder zu Hause.«

      Es ist die Kehrseite einer Flexibilität, die auch der Arbeitgeber für sich in Anspruch nimmt. Udo Wiebelskircher macht sich selbstständig, will sein eigener Herr sein. Ein letztes Mal versucht er es mit Computern – und scheitert. Doch statt aufzugeben, trifft das Ehepaar eine ebenso mutige wie weitsichtige unternehmerische Entscheidung. Es betreibt, wie es in der Fachsprache heißt, Diversifikation. Man stellt sich, einfacher ausgedrückt, wirtschaftlich auf mehrere Beine.

      Der erste Schritt: Die beiden verkaufen ihr Haus in Darwin und ziehen in eine Mietwohnung. So zu existieren, ist die Ausnahme in Australien, wo Hausbesitz oft als einzige Absicherung für das Alter dient. Mit dem Gewinn erwirbt das Ehepaar einen Imbiss, den Regina Wiebelskircher, die mit jungen Jahren bereits Erfahrungen in der Gastronomie sammelte, in der Fußgängerzone der aufstrebenden Stadt betreibt. Der Laden wirft immerhin so viel ab, dass es »für das Brot und die Butter reicht.«

      Udo Wiebelskircher, der seit 1988 die australische Staatsbürgerschaft besitzt, profitiert nun endlich von einer Beobachtung, die er seinerzeit auf dem Gelände des Caravanparks machte. »Viele der Besucher«, erinnert er sich, »hatten ihr Boot dabei und Schwierigkeiten damit, es am Ufer festzumachen. Solide und flexible Bootsstege, hab’ ich mir damals schon gesagt, das könnte mal was sein.«

      1993, gut zehn Jahre nach seiner Ankunft in Australien, gründet Udo Wiebelskircher eine Firma, die sich auf dieses Gebiet spezialisiert – und diesmal gewinnt er. Überall an den prosperierenden Küsten siedelt sich eine kaufkräftige und bootsbesessene Mittelschicht an. Auch in Darwin werden innerhalb weniger Jahre drei neue Anlegestellen, marinas, errichtet. »Achtzig Prozent der Anlagen«, betont Udo Wiebelskircher, »habe ich installiert. Die Lehre als Elektromechaniker, die ich in Deutschland gemacht habe, kommt mir bei der Lösung der elektrischen Probleme natürlich sehr entgegen. Im Moment laufen bei mir so viele Anfragen ein, dass ich Tag und Nacht arbeiten könnte.«

Bildtextbeschreibung

      Ein Leben im Takt der Achterbahn: Regina und Udo Wiebelskircher

      »Ist es ein gefährlicher Job?«

      »Nur in krokodilreichen Gegenden. Aber wenn ich an den Flussmündungen im Norden tätig bin, steht immer jemand mit dem Gewehr neben mir. Der würde sofort schießen, wenn mir ein Krokodil zu nahe käme.«

      Auch für Regina Wiebelskircher hat sich die Geduld, die sie im Existenzkampf bewiesen hat, am Ende gelohnt. Sie arbeitet jetzt selbstständig für einen Grundstücksmakler, vermietet Immobilien für ihn. In einer Gesellschaft, zu deren Merkmalen seit jeher Mobilität und Fluktuation gehören, ist das ein blühender und auch angesehener Geschäftszweig.

      »War es schwer, in diesen Beruf einzusteigen?«

      »Überhaupt nicht. Man absolviert einen vierwöchigen Kurs, bezahlt dafür 1200 Dollar – und dann heißt es nur noch: ›Off you go!‹ In Deutschland könnte ich einen solchen Job nicht ohne Lehre ausüben. Da musst du doch schon eine Prüfung ablegen, wenn du den Rasen betreten willst.«

      »Wie oft reisen Sie nach Deutschland?«

      »Alle zwei Jahre.«

      »Welchen Eindruck haben Sie, nachdem Sie dort gelandet sind?«

      »Es ist furchtbar. Du bist kaum aus dem Flugzeug raus, da wirst du schon von irgendwelchen Beamten belehrt. Dann willst du morgens um fünf auf dem Bahnhof ein Ticket kaufen und hast nur einen großen Schein dabei, weil du ja gerade aus Australien kommst. Aber da heißt es gleich: ›Also, Kleingeld muss man immer bei sich haben!‹ Wenn man etwas falsch macht, dann ist gleich immer großes Theater, dann wird man von oben bis unten angeguckt.«

      »Und wie ist das in Australien?«

      »Da will man dir immer helfen. Ich bin mal in Melbourne direkt unter einer Autobahnbrücke mit einem Achsbruch liegen geblieben und habe Udo angerufen. Es ist unglaublich, wie viele Autofahrer in der Stunde, die ich auf ihn gewartet habe, anhielten und mir ihre Hilfe anboten. In Deutschland hätte man mich nur angeglotzt.«

      Die Variationen des Lächelns, mit denen Udo Wiebelskircher die Suada seiner Frau begleitet, verraten Einverständnis mit dem Trend, aber Abweichung im Detail. »Ja, es stimmt, der Service ist miserabel in Deutschland. Aber wenn ich an die Kneipen denke, die alten Städtchen, die Kultur – das gefällt mir bei unseren Besuchen immer wieder. Und das vermisse ich in Australien.«

      »Gibt es etwas, was Ihnen in Australien besonders missfällt?«

      »Die Verherrlichung der Gewalt im Sport. Rugby, Football – da geht es wirklich brutal zu. Und irgendwie durchzieht das die gesamte Gesellschaft. Ich habe den Eindruck, dass jemand, der in eine Schlägerei verwickelt ist, besser wegkommt, als einer, der bei Rot über die Kreuzung fährt.«

      Darwin, am nächsten Abend. Wir sind zu Gast im »Night Cliffs Sports Club«. Das Ehepaar Wiebelskircher hat uns eingeladen. »Ordentliche Kleidung« verlangt die Vereinsordnung. Das bedeutet: »Nach 19 Uhr keine Schlappen, zu keiner Zeit schmutzige Arbeitskleidung.« Das ist kein antiquierter Dresscode, sondern die Festlegung auf ein Minimum.

      An einem Ecktisch des mit geldfressenden Spielautomaten ausgestatteten Saales tagt der harte Kern des »Deutschen Clubs«. Udo Wiebelskircher steht ihm vor. Harry Maschke, der Unternehmer und Konsul, hatte das Amt auch schon mal inne. Die Herren spielen Skat, die Damen Canasta. In den Kommentaren, ohne die keine solche Runde auskommt, vermischen sich Deutsch und Englisch. »Ick hab’ nur rubbish«, schimpft Vera aus Berlin. Sie ist mit Jürgen verheiratet, einem Maschinenschlosser aus Harry Maschkes Betrieb. Eine Partie später klagt Vera: »Ick hab’ noch immer keenen jolly jezogen!«

      Der »Deutsche Club« war mal eines der gesellschaftlichen Zentren Darwins. Heute ist er auf sechzig Mitglieder geschrumpft – obwohl die Zahl der Deutschen zugenommen hat. »Darwin«, erläutert Udo Wiebelskircher, »hat sich zu einer multikulturellen Stadt entwickelt. Menschen aus sechzig Nationen leben hier mittlerweile zusammen. Die Deutschen sind dafür bekannt, dass sie auf die anderen zugehen. Ich glaube, keine Nation integriert sich schneller in die Gesellschaft. Auch wir im Club sind keine Vereinsmeier, sondern offen für alle.«

      »Demnächst«, ergänzt Regina Wiebelskircher, »gründen wir in Darwin einen europäischen Club. Das ist zeitgemäßer. Aber unsere Tochter wird auch daran kaum Interesse haben. Sie ist jetzt 32 und arbeitet als Laborantin in einem Krankenhaus. Die versteht sich als waschechte Aussie.«

      Es ist unser letzter Tag in Darwin. Die Chance, diesen Kreis nach deutschen Auswanderern zu fragen, die an unserer Reiseroute residieren, lassen wir uns nicht entgehen. So viele Namen werden uns wie auf Startschuss serviert, dass wir Mühe haben, sie zu sortieren.

      »Also


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