Sehnsucht Australien. Jürgen Bertram

Sehnsucht Australien - Jürgen Bertram


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Dafür brauchte man natürlich Personal, und das wurde uns eines Tages zu viel. Nach zehn Jahren haben wir die Farm verkauft, schweren Herzens. Wir haben es geliebt, da draußen. Drei Jahre lang haben wir uns umgeschaut, dann haben wir wieder ein Stück Land im Outback gekauft. Dieses Areal ist nur anderthalb Autostunden von Darwin entfernt, liegt in der Nähe vom Kakadu-Nationalpark. Eigentlich wollten wir nur eine Hütte draufsetzen, aber wie es so geht: Erst baut man eine Veranda, dann ein Schlafzimmer, schließlich noch die Küche – und plötzlich hat man ein vollständiges Anwesen.

      Einen Teil des Landes haben wir verpachtet. Wir haben nur eine 27 Quadratkilometer große Koppel behalten, auf der wir Rinder züchten. Bantengs, die bringen gutes Fleisch, und mir macht das Spaß. Natürlich ist nicht alles vergnüglich da draußen, der Busch ist immer eine Herausforderung. Wir haben zum Beispiel Stechakazien auf unserem Land, ein furchtbares Zeug mit Dornen. Die Dinger wuchern wie verrückt, und die Saat bleibt dreißig Jahre lang im Boden. Ich denke, ich werde noch zwanzig Jahre damit beschäftigt sein, Stechakazien zu vernichten.

      Unser Haus steht auf einem Hügel, man kann von dort die Wasserstellen überblicken. In den Lagunen sind etliche Krokodile, aber normalerweise greifen sie nicht an. Am Ende der Trockenzeit sind sie manchmal sehr hungrig, dann sollte man allerdings aufpassen. Im vergangenen Jahr habe ich zwei männliche Tiere miteinander kämpfen sehen, ein grandioses Spektakel. Ich habe geschrien, aber ich hätte vermutlich direkt neben ihnen stehen können, ohne dass sie voneinander abgelassen hätten.

      Eines der Krokodile ist der Boss, wir nennen es Walter. Ich schätze, dass es an die fünf Meter lang ist. Wenn ein fremdes Auto aufs Gelände fährt, dann schlägt Walter Wellen im Wasser. Krokodile stecken auf diese Weise ihr Gebiet ab. Sie wollen dir damit klarmachen: Hier bin ich, und hier habe ich das Sagen. Unsere Autos kennt Walter. Wenn wir kommen, bleibt die Lagune ruhig. Meine Frau hat Angst, sie geht nicht mehr schwimmen. Mir macht das nichts aus. Wenn’s mir zu warm wird, steige ich ins Wasser. Allerdings: Ich schwimme nicht in der Nacht, das wäre tatsächlich zu gefährlich.

      Wir leben zur Hälfte auf der Farm, zur anderen Hälfte in Darwin. Völlig aus dem Geschäft zurückziehen möchte ich mich noch nicht, auch wenn ich merke, dass ich älter werde. Früher konnte ich einen zwanzig Gallonen schweren Benzinkanister mit einem Ruck auf einen Pritschenwagen hieven – das geht jetzt nicht mehr. Meine Ratgebersendung im Radio habe ich seit zwanzig Jahren. Früher habe ich auch Fernsehen gemacht, aber das wurde mir zu viel. Da müsste ich samstags und sonntags auf Sendung sein, und das sind genau die Tage, an denen hier in der Gärtnerei am meisten los ist.

      Zurzeit verkaufen sich Bougainvilleen am besten, eine sogenannte Bambino-Variante. Sie ist kompakter und hat auch mehr Blüten als der normale Strauch. Wissen Sie, Pflanzen sind auch Modesache. Man verkauft, was die Leute wollen. Wir haben sogar Rosen im Angebot, und sie machen sich gar nicht mal so schlecht, trotz des tropischen Klimas. Wenn’s nach mir ginge: Ich würde keine Rosen pflanzen. Aber die Leute, die aus kühleren Gegenden hierherkommen, wollen ihre Rosen, und dann sollen sie Rosen haben.

      Ich weiß nicht, ob unser Sohn den Betrieb übernehmen wird. Gärtnereien sind sehr arbeitsintensiv, und man kann sich auch verspekulieren. Wir sind eine Partnerschaft mit einem Unternehmen in Saudi-Arabien eingegangen und haben für den Markt dort drüben Pflanzen im Wert von 150 000 Dollar gezogen. Aber die Saudis kommen mit dem Geld nicht rüber, und jetzt sitzen wir auf dem Grünzeug. Natürlich wäre es schön, wenn der Laden in der Familie bleiben würde. Aber wenn es zu schwer wird für Hardy – auch okay. Wir zwingen ihn zu nichts.

      3 »Nie wieder Bellenberg!«

      Ein schwäbisch-australischer Überlebenskampf

      Ein Gurren ist es nicht, was aus dem Dunkel der Wildnis tönt. Zwitschern, Trällern oder Krähen kann man es auch nicht nennen. Irgendwo dazwischen bewegt sich der Ton, der, so viel steht fest, unheimlich klingt.

      »Geistervögel«, klärt uns Regina Wiebelskircher auf. »Die heißen so«, fügt ihr Mann Udo hinzu, »weil man sie zwar hören kann, aber nie zu sehen bekommt. Sie sind nachtaktiv. Das sind die Kängurus, die auf unserem Grundstück grasen, zwar auch, aber die zeigen sich wenigstens morgens und abends in der Dämmerung.«

      In Howard Springs, einem der ausufernden, sich in der zaunlosen Weite verlierenden Vororte von Darwin, liegt das 10 000 Quadratmeter große Anwesen. Das Einfamilienhaus in seiner Mitte dient als Wohnung und als Büro und taugt auch zum Refugium. Das gilt besonders für die riesige Veranda, von der man direkt in den vor tropischer Vitalität strotzenden Busch blickt.

      Es dauert eine Weile, bis man sich in diesem Ambiente an Begriffe wie »atomare Bedrohung«, »Baader-Meinhof-Hysterie« oder »Nato-Doppelbeschluss« gewöhnt. Wie verbale Irrläufer schwirren sie durch den Raum und verlangen doch gespannte Aufmerksamkeit. Schließlich markieren sie den Anfang einer Auswandererkarriere, die nach der Dramaturgie der Achterbahn verlief.

      »Wenn man Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre die Fernsehnachrichten eingeschaltet hat«, blickt Udo Wiebelskircher zurück, »dann gab es doch fast nur Gewalt und Bedrohung. Gloom and doom, wie es auf Englisch heißt. Na ja, und irgendwann haben wir es mit der Angst bekommen und beschlossen, Deutschland zu verlassen. Wirtschaftliche Gründe waren es jedenfalls nicht. Wir waren beide um die dreißig. Ich hatte einen guten Job in der Computerbranche. Und ein Haus besaßen wir auch schon. Eigentlich hätten wir glücklich sein können in Bellenberg – wenn da nicht diese pessimistische Grundstimmung gewesen wäre.«

      Der Schwabe Udo Wiebelskircher spricht bedächtig, legt zwischen den Sätzen Denkpausen ein, die der Ruf der Geistervögel füllt. Für Spontaneität und Emotion sorgt seine aus der norddeutschen Elbniederung stammende Frau. »Die Atmosphäre war es nicht allein«, relativiert sie, »ich wollte auch unbedingt was sehen von der Welt. Tag für Tag Bellenberg – bis zum Lebensende? Das kann’s doch nicht sein. Mit achtzehn bin ich schon mal nach Südafrika abgehauen. Toll war das. Ich war die treibende Kraft hinter unserem Entschluss. Der Udo ist mehr ein Familienmensch, dem ist die Entscheidung schwerer gefallen als mir. Sie müssen wissen: Ich hab’ Zigeunerblut in den Adern.«

      Udo Wiebelskircher nimmt einen kräftigen Schluck aus seinem Bierglas, wendet den Blick in die schwarze Nacht, lässt die Worte seiner Frau erst einmal sacken. Er selbst, das spürt man, würde sich nicht dazu durchringen können, wildfremde Besucher mit persönlichen Bekenntnissen zu konfrontieren. Eine paralysierende Pause entsteht. Regina Wiebelskircher befreit uns mit einem Temperamentsausbruch von der zwanghaften Vorstellung, die Stille mit einer womöglich unpassenden Frage überbrücken zu müssen. »Und dann«, schimpft sie, »war da noch diese Ungeheuerlichkeit mit unserer Tochter. Als sie fünf war, haben wir sie für die Schule angemeldet. Dabei kam heraus, dass sie nicht getauft ist. Und da hat’s dann geheißen: Die Getauften kommen in die katholische Klasse, die Nichtgetauften in die Ausländerklasse. Das hat das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht. Ich kann nur sagen: Nie wieder zurück nach Bellenberg!«

      Es gibt also eine Reihe von Gründen, die dieses in einer schwäbischen Kleinstadt etablierte Ehepaar 1981 veranlassen, das Wagnis einer Auswanderung einzugehen: politische, atmosphärische und individuelle. Zur Wahl stehen damals Kanada und Australien. Dass die beiden sich für Australien entscheiden, liegt an einem Bekannten, der sich in den Bundesstaat New South Wales absetzte und ihnen Fotos von der faszinierenden Landschaft dort schickt. Weiße Strände, blauer Himmel, üppige Vegetation ... Regina Wiebelskircher würde am liebsten sofort ihre Koffer packen. Doch ihr Mann wählt den sicheren Weg. Er formuliert eine fristgerechte Kündigung, vergattert seine Frau aber, das Schreiben erst mal zu Hause aufzubewahren. Dann setzt er sich in ein Flugzeug und lotet an der Südostküste, einem der wirtschaftlichen Zentren Australiens, die Arbeitsmöglichkeiten aus. Sie gestalten sich erfolgversprechend. Also signalisiert er nach Bellenberg: Kündigung abschicken!

      Die Entscheidung zahlt sich aus – zunächst. Als eine technologische Revolution die Computerbranche erfasst und die Firma, für die der deutsche Auswanderer arbeitet, mit der übermächtigen Konkurrenz nicht mehr mithalten kann, steht das Ehepaar vor dem Nichts.

      Zurück in die Heimat, sich wieder einrichten im schwäbischen Idyll und nie mehr ein solches Risiko eingehen – das wäre eine typisch deutsche Reaktion.


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