Wäldar ka nüd jedar sin!. Alois Niederstätter

Wäldar ka nüd jedar sin! - Alois Niederstätter


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      Rechte Seite: Mit der Eröffnung der Bregenzerwaldbahn im Jahr 1902 brach eine neue Zeit an.

      Von da an ging alles sehr schnell: Nur drei Jahre nach der Konzessionierung hatten überwiegend italienischsprachige Arbeiter trotz des schwierigen Geländes das Werk vollendet. Am 15. September 1902 konnte die »Bregenzerwaldbahn« – so der offizielle Name, der Volksmund sprach sogleich vom »Wälderbähnle« – in Dienst gestellt werden. »Und Zuokumpft rumplot mit Gwault daher«, dichtete Gebhard Wölf le aus diesem Anlass.

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      Seit 1989 verkehrt das »Wälderbähnle« zwischen Andelsbuch-Bersbuch und Bezau als Museumsbahn.

      Als Privatbahn gegründet, ging sie 1932 in das Eigentum des Bundes über. Aufgrund negativer Betriebsbilanzen wurde bereits 1936 ihre Einstellung erwogen. Zur stetig wachsenden Konkurrenz durch den Straßenverkehr und der ungünstigen Lage der Stationen im Achtal teils fernab der Siedlungen kam, dass die schwierigen geologischen Verhältnisse und die häufigen Hochwässer der Bregenzerach den Erhalt der Strecke sehr aufwändig machten. 1983 besiegelten Hangrutschungen und Unterspülungen das Schicksal des »Wälderbähnles«. Seit 1989 verkehrt auf der etwa sechs Kilometer langen Strecke zwischen Bezau und Andelsbuch-Bersbuch eine Museumsbahn.

      Was einst für die wirtschaftliche Entwicklung der Talschaft von großer Bedeutung war, wird heute zunehmend auch als Belastung empfunden. So passieren derzeit jeden Werktag zwischen 12.400 und 14.200 Kraftfahrzeuge allein die Ortschaft Alberschwende. Besonders dramatisch ist die Situation infolge des Ausbaus der Schigebiete an Winterwochenenden, nicht selten bilden sich auf der Bregenzerwaldstraße – der L 200 – Staus von Alberschwende bis Mellau.

       Der Blick von außen

      Die Nachrichten aus älterer Zeit sind ebenso selten wie knapp: »Hat starckh, geradt knecht«, bemerkte um 1500 Ladislaus Sunthaym, ein im Dienst Kaiser Maximilians I. tätiger, aus Ravensburg stammender Gelehrter über den Bregenzerwald. Der ein halbes Jahrhundert jüngeren »Kosmographie« Sebastian Münsters zufolge habe es dort »schön, starck und viel Volck, das rauch lebt, und gleichwol nit arm ist«; die »Meidtlein und Jungfrawen« nenne man »ihrer Sprach nach Schmelgen«. Dasselbe erfahren wir aus Johann Georg Schlehs 1618 in Hohenems gedruckter »Hystorischen Relation«, außerdem, dass der Bregenzerwald zwar ein »wild gelend« sei, »jedoch von der vile deß Volcks wol gepflantzt, hat vil Vieh und Molcken, sonderlich erzeucht diß Landt vil Flachs, dahero nehrt es sich meisttheils mit dem spinnen, darob sie den langen Winter zubringen […], hat viel nutzliche Alpen, reich am Wildprät«. Alle drei Autoren verstanden unter »Bregenzerwald« allein den zur Herrschaft Feldkirch zählenden »Hinterwald«.

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      »Reich am Wildprät«, Abbildung in Johann Georg Schlehs »Hystorischer Relation«, 1616.

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      Von einer ganzen Bregenzerwälder Familie betriebene Flachsspinnerei, Abbildung in Johann Georg Schlehs »Hystorischer Relation«, 1616.

      Bei aller Kürze des Berichteten – der Grundstein für das »klassische« Wälder-Bild war gelegt: Eine ebenso zahlreiche wie tüchtige und gut gewachsene Bewohnerschaft hat ihren Lebensraum, ein »wild gelend«, so trefflich kultiviert, dass die Erträgnisse für ein zwar einfaches, aber keineswegs ärmliches Dasein hinreichen. Nur der Mehrerauer Mönch, Prior in Lingenau und Chronist Franz Ransperg (1609–1670) war den Bregenzerwäldern weniger gewogen. Er nannte sie ein von Natur aus ungewöhnlich streitsüchtiges und gewalttätiges Volk.

      Eine erste umfangreichere, noch lange Zeit nachwirkende Beschreibung des »Volkscharakters« geht auf die »Vorarlbergische Chronik« des Bregenzer Buchhändlers und -druckers Joseph Brentano von 1793 zurück: »Die Bewohner des Walds sind größtentheils anstellige, verständige Leute, zu allen Geschäften und Unternehmungen vorzüglich aufgelegt, und viele wissen sich ein ansehnliches Vermögen zu erwerben. […] Mit beyspielloser Sorgfalt behalten sie die von Voreltern her angeerbten Ueberlieferungen und Meynungen, die sie sich um alles nicht wegschwatzen lassen. Der Religion sind sie mit dem seltensten Eifer getreu, und man hat keineswegs zu fürchten, daß sie, auch wenn es auf das Märtyrerthum ankäme, sie niederträchtig verläugnen würden. Ihr Charakter ist bieder, leutselig, dienstfertig, gutherzig. Sie leben einfach, begnügen sich mit der Befriedigung der natürlichsten Bedürfnisse und kennen glücklicherweise den geldfräßigen Aufwand des verderblichen Luxus nicht

      In gleichermaßen hohen Tönen lobten die Reiseschriftsteller des 19.Jahrhunderts das Wälder Volk. Gustav Schwab (1792–1850) attestierte ihm 1827 »viel Anlage zum Witz, Leichtigkeit in Behaltung aufgefaßter Ideen, Fähigkeit in schneller Trennung und Verbindung der Begriffe« […], »viel Gefühl für Anstand und edle Freimüthigkeit« und »schuldlose Schalkheit«. Den »Hügeleinwohnern des vordern Bregenzerwaldes« sage man jedoch einen Hang zur Trunksucht nach. Beeindruckt vom »Selbstgefühl« und dem »edlen Stolz« der Bregenzerwälder zeigte sich Karl Wilhelm Vogt, der 1840 den Bregenzerwald durchwanderte. Ähnlich auch Andreas Oppermann im Jahr 1859: »Was soll ich von den Menschen sagen? Bieder und gutmüthig besitzen sie doch auch einen hellen, schnell Alles erfassenden Verstand und eine anmutige Grazie des Geistes« – oder Heinrich Hirzel 1868: »Der Wälder ist von Natur aufgeweckt und verständig, freundlich und bieder, treu und fromm. Die beiden Elemente von grübelnder Tiefe und gediegener Fröhlichkeit sind in schönem Gleichgewicht in ihm vereinigt.« Einzig Ludwig Steub fand 1878 den Wälder »sehr zugeknöpft«: »Er vergißt sich selten so weit, den Fremdling auf der Straße oder im Wirthshause zuerst zu grüßen, oder ihm das erste Wort zu schenken. Wenn man ihm aber die verdiente Ehre erweist, ihn zuerst grüßt, zuerst anredet, ihm mittheilt, daß er in den letzten Jahren wieder etlichemal entdeckt worden sei und daß sich die Welt jetzt fast nur mit ihm beschäftige, dann schmilzt das Eis um sein stolzes Wälderherz, und er kann recht munter und gesprächig werden.«

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      Linke Seite: Anfang der Beschreibung des Bregenzerwalds in Johann Georg Schlehs »Hystorischer Relation« von 1616.

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      1827 erschienen die Bregenzerwälder Reiseeindrücke des schwäbischen Gelehrten und Dichters Gustav Schwab.

      Viel Licht also und kaum Schatten? Immerhin ließ sich ein weit verbreitetes Laster mit ziemlich üblen Folgen finden: »Das ›Freßtobakli‹ ist sehr häufig […]. Die ätzende Wirkung verursacht Beulen im Munde und an der Wange, entstellt die Gesichtszüge und hindert am Essen. Dem alten Tabakkauer fällt es schwer, dieser Gewohnheit zu entsagen. Der Kopf schwillt ihm auf und der Zufluß und der Reiz der Säfte ist heftig, daß man oft Männer und Greise sieht, welche, wenn ihnen der Kautabak plötzlich fehlt, sich den Sack herausschneiden und daran kauen« (Wilhelm Vogt). Auch dass Solidarität selten über die Ortsgrenzen hinausreichte, konnte sogar der Gast bemerken: »Es wird auch von den Wäldern selbst zugestanden, daß gemeinnützige Unternehmungen und Verbesserungen bei ihnen nicht durchzuführen, weil die Gemeinden gegen einander zu scheelsüchtig und zu gehässig seien« (Ludwig Steub).

      Die besondere Aufmerksamkeit der zumeist alleine reisenden Schriftsteller galt den Bregenzerwälderinnen: »Die Frauen verleihen dem ›Walde‹ erst jenen eigenthümlichen Zauber, der jeden fremden Wanderer auf das Angenehmste überraschen muß«, sie »sind in ihrem Benehmen äußerst unbefangen«, »plaudern außerordentlich gern und viel, doch sind sie leider etwas weniger leicht zu verstehen als die Männer, da sie bei weitem rückhaltloser den Dialekt vorherrschen lassen«, so exemplarisch Andreas Oppermann im Jahr 1859.


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