Wäldar ka nüd jedar sin!. Alois Niederstätter

Wäldar ka nüd jedar sin! - Alois Niederstätter


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–. Erstere haben etwas Aristokratisches, ihre Haltung ist grade, ernst und würdig, nur beim Sprechen durch große Anmuth bewegt, der Gesichtsschnitt fein und edel, die Gestalten sind ebenmäßig aber mehr dem Magern zugeneigt«. Der andere Typus sei »klein und voll«, »aus den großen schwarzen Augen« spreche »Lebenslust und Schalkheit«. Allerdings: »Nur Eines mangelt ihnen wie ihren blonden Schwestern völlig: die Brust. […] Dies mag mit daher kommen, daß Mütter solchen Töchtern, die etwa vor andern Mädchen sich durch das, was diesen fehlt, auszeichnen könnten, tellerartige Hölzer anschnallen und so mit Gewalt eine der schönsten Zierden des Weibes in ihrer Entwicklung hemmen.« Diese verstörende Praxis entsprang nicht etwa Oppermanns Phantasie, sie ist vielmehr noch mehr als ein halbes Jahrhundert später in der medizinischen Literatur bezeugt.

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      »Die Frauen verleihen dem ›Walde‹ erst jenen eigenthümlichen Zauber, der jeden fremden Wanderer auf das angenehmste überraschen muß«, Darstellung in Albert Kretschmers »Trachten der Völker« (1864).

      August Wilhelm Grube billigte den Wälderinnen 1875 »überhaupt mehr Gewandtheit und Lebensart« zu als ihren Männern, »die, wie es scheint, auch in manchen anderen Stücken das Herrschaftsscepter willig der schöneren Hälfte ihres Ichs überlassen.« Die Bregenzerwälder »Weiberherrschaft« ist auch in Franz Michael Felders Roman »Reich und Arm« thematisiert und auf diesem Weg zum Standardtopos geworden.

      Die Talschaftsbewohner ließen sich die im Großen und Ganzen schmeichelhaften Versuche reisender Intellektueller, die regionale Mentalität zu ergründen, offenkundig bereitwillig gefallen. Es soll hier nicht um die Frage gehen, ob man innerhalb weniger Tage, auch wenn man zu Fuß unterwegs war, überhaupt so pauschale Eindrücke gewinnen konnte. Wichtiger scheint eher die Überlegung, ob nicht die Beschriebenen in weiterer Folge bewusst oder unbewusst die Beschreibungen, die vielfach rezipiert bis heute ihr Eigenleben führen, sich zu eigen gemacht haben.

       Die sagenhafte »Weiberschlacht« an der »Roten Egg«

      Zum Bild von der starken und selbstbewussten Wälderin trug eine Geschichte bei, die im Dreißigjährigen Krieg anlässlich der Eroberung von Bregenz und der Besetzung Vorarlbergs durch Truppen des schwedischen Feldmarschalls Gustav Wrangel im Jahr 1647 spielt. Der Lingenauer Kaplan Johann Konrad Herburger (1780–1845) schrieb sie 1818 nieder: Als in Lingenau einquartierte Soldaten zu einem ihrer Plünderungszüge auf brachen, entschlossen sich die Frauen aus Egg, Andelsbuch und Schwarzenberg, ihnen mit Arbeitsgeräten bewaffnet entgegenzuziehen. Am Fallenbach bei Egg trafen die Schweden auf die in Schlachtordnung aufgestellten Wälderinnen, hielten sie wegen ihrer weißen Tracht für österreichische Soldaten und wollten deshalb fliehen. Dazu kam es nicht mehr, die Frauen stürzten sich mit großer Wut auf sie und machten alle nieder. Der mit dem Blut der Getöteten getränkte Platz hieß fortan »die Rote Egg«. Weil dieser Sieg um zwei Uhr nachmittags errungen worden war, läutete man fortan in den Pfarrkirchen der drei Orte um diese Zeit die Glocken, außerdem erhielten die Frauen das Recht, beim Opfergang um den Altar den Männern voranzugehen.

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      Schwarzenberg vor 1900.

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      Die wehrhaften Bregenzerwälderinnen als Ansichtskartensujet.

      Wenige Jahre später veröffentlichte der in Wien wirkende, aus Hittisau stammende Historiker Joseph Bergmann Herburgers Text und machte ihn damit einem breiteren Publikum bekannt. Mit der Variante, die Wälderinnen seien von den überraschten Schweden für himmlische Wesen gehalten worden, und dem Zusatz des Gelöbnisses der Frauen, die weißen Kleider gegen dunkle zu tauschen, legte Josef Ellensohn 1866 die Grundlage für die Aufnahme der Geschichte in die späteren Vorarlberger Sagensammlungen.

      Als »historischer Sage« wird der Geschichte zumindest ein »wahrer Kern« zugestanden, zumal sich die Geschichtsschreibung redlich bemühte, sie in das regionale historische Geschehen am Ende des Dreißigjährigen Kriegs einzubetten. Auch an literarischen Verarbeitungen fehlt es nicht. Bereits 1869/70 nahm sich kein Geringerer als der deutsche Schriftsteller Wilhelm Raabe (1831–1910) nach einem Sommeraufenthalt in Vorarlberg des Stoffs in seiner Erzählung »Der Marsch nach Hause« an. Der Theaterverein Bizau führte 1936 das »Schwedenspiel« von Kaspar Meusburger sowie 1953 eine Dramatisierung des ebenfalls auf dieser Thematik beruhenden Romans »Schicksal auf Vögin« (1942) von Nathalie Beer auf.

      Dass ein Quellenbeleg für die Geschichte fehlt und vor allem die zeitgenössische Kriegsgeschichte des Benediktinerpaters und Priors von Lingenau Franz Ransperg (1609–1670) sie nicht kennt, mindert ihre Popularität nicht – genauso wenig wie die schon vor mehr als hundert Jahren vorgenommene Einordnung der »Schlacht an der Roten Egg« als Lokalisation eines alten Mythos, zu dem unter anderem die Walküren und die Amazonen gehören. So ist sie bis heute ein wichtiger Bestandteil der Bregenzerwälder Identität.

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      Bei den Feierlichkeiten anlässlich der Eröffnung der Bregenzerwaldbahn durften szenische Darstellungen der »Weiberschlacht an der Roten Egg« nicht fehlen.

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      Bestandteile der Bregenzerwälder Frauentracht: Juppe, Gürtel, Schapel.

       Mythos Tracht

      »Die Bregenzerwälderin erscheint, zumal an Feiertagen, in einem sehr fein gefalteten, glänzend schwarzen, gegen das Ende mit schmalen Bändern verbrämten, leinenen Rock, einfach schön und leicht geschürzt. Die Aermel des Kleides allein sind bei dem Mädchen des innern Waldes in der Kinderzeit von rother Farbe, und liegen wie Seide an dem anmutig gewölbten Arme. Erst wenn sie mannbar wird, darf sie die schwarzen Ärmel anlegen, und dann ist Jubel unter der männlichen Jugend und es melden sich die Freier. […] An dem schmalen, geschlossenen, weissen Busentuche von feinem Baumwollgewebe (Kammertuch) ist gewöhnlich eine sehr niedliche Stickerei angebracht, und am Busengürtel stehen nicht selten versteckt die Anfangsbuchstaben eines geliebten Namens mit Seiden- und Goldfäden gestickt.« So wie der schwäbische Dichter Gustav Schwab in den 1820er-Jahren zeigten sich auch die meisten anderen Besucher des Bregenzerwalds von der dort getragenen Frauentracht beeindruckt.

      Einen Höhepunkt erlebte das Trachtenwesen, als sich im ausgehenden 19. Jahrhundert die Volkskunde und die Heimatschutzbewegung seiner annahmen und aus ihm einen »gesunden« Gegenpol zu den rasch wechselnden Moden der »dekadenten« Großstädte machten. Davon wusste auch der damals rasch zunehmende Tourismus zu profitieren. Wenige Jahrzehnte später spannten der »Ständestaat« und in weiterer Folge das NS-Regime die Tracht als Mittel der politischen Inszenierung vor ihren Karren.

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      Diese Ideologisierung ließ das Trachtenwesen nach 1945 als »belastet« erscheinen, zumal der Begriff »Heimat« überhaupt brüchig geworden war und es noch lange bleiben sollte. Dazu kamen die vom Zweiten Weltkrieg verursachten Verwerfungen und der wirtschaftliche, soziale sowie kulturelle Wandel, der auch den Bregenzerwald erfasste.

      In den letzten Jahrzehnten erlebte die Bregenzerwälder »Juppe« als durchaus kostspieliges Festtagskleid aber eine regelrechte Renaissance. Das auch in anderen Landesteilen verwendete Wort stammt aus dem Romanischen (französisch »la jupe« für Rock, italienisch »giubba« für Jacke, auch das deutsche Lehnwort Joppe hat denselben Ursprung). Es bezeichnet den vom Typus


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