Der Flüchtling. Max Herrmann-Neisse
leben alle in bunter Reihe und techteln ein bissel untereinander. Das hat bei denen nicht viel zu besagen.«
»Auf unserm Flur bei der Witwe Depta, da hat auch mal eine vom Schauspiel gewohnt. Ich glaube, die erste Heldin war’s. Ich kam mal nachmittags um viere vorbei, da stand die Tür zu der Stube offen, da waren noch nicht mal die Betten gemacht!«
»Wer ist denn jetzt Dezernent fürs Theater?«
»Der Stadtrat Knappe.«
»Da kann er lachen!«
Die Turmuhr schlägt sieben.
»Was? Wirklich schon sieben?«
»Ja, machen Sie schon die Bude zu und kommen Sie mit rüber! Ich bleib heut nicht lange, meine Frau hat Besuch, da muß ich bald da sein.«
»Aha, der zukünftige Schwiegersohn!«
»Woher wissen Sie?«
»Man hat doch Augen!«
»Der Sohn von meinem Geschäftsfreund aus Danzig. Sie wissen, er wurde zur Bahn her versetzt, und weil er doch niemanden kannte hier . . . so junge Leute haben gern Anschluß . . .«
»Eine gute Partie?«
»Meine Else muß noch kochen lernen . . . im Hotel zum ›Stern‹ . . . Sie ist auch erst sechzehn . . .«
Der Zigarrenkaufmann hat abgeschlossen.
»Gute Einnahme heut?«
»Soso . . . lala . . . Grad, daß man nicht übermütig wird . . .«
»Noch eine auf den Weg gefällig?«
»Meinetwegen. Und merken Sie sich die Kiste! Die ich’s letztemal bekam, waren anders.«
»Genau dieselben. Bloß länger gelagert.«
Sie pendeln über den Ring hinüber.
Aus dem Warenhaus tropfen die Mädchen. Ein paar Jünglinge stelzen unauffällig von Schaufenster zu Schaufenster, die vier bleiben stehen und stieren hinter einer Blondine.
»Seh’ einer, wie die sich rausgemaust hat!«
»Ich hatte mich auch mal verleiten lassen; gleich sollte ich’s dann gewesen sein. Da muß sie sich schon einen Dümmeren suchen!«
»Sie hat ja auch den Prozeß verloren.«
»Das war ich meiner Reputation doch schuldig, ich habe doch Frau und Sohn. Die Sache hat mir ohnehin genug Ärger gemacht!«
»Wo ist denn das Kind?«
»Ich glaube, gestorben.«
»Die haben stets Glück!«
Sie werden gegrüßt und grüßen wieder.
Dann schieben sie sich in den Torweg hinein und klettern die vierzehn Stufen.
Hallo! Rauch, Licht, Klaviermusik schlägt entgegen.
»Die drei Heiligen aus dem Morgenlande!«
»Und der Tabakfritze! Je später der Abend, desto schöner die Gäste!«
»Sie haben grad noch zum Dutzend gefehlt. Bertha, noch viere mehr!«
»Ihr knobelt gleich mit, es kommt sowieso jetzt ’ne neue Runde!«
»Hier das ist Bertha, die neue runde!«
»Die neue runde Bertha!«
Gequieke.
»Darf ich mir auch noch ’nen Glühpunsch bringen?«
»Freilich! Der neue Herr hier bezahlt’s. Zur Begrüßung! Er muß Sie doch willkommen heißen.«
»Den kenn’ ich noch nicht.«
»Sie werden mich schon noch kennen lernen, hoffe ich . . .«
»Der Zigarrenfritze ist es von vis-à-vis.«
»Ach, bringen Sie mir mal Zigaretten mit!«
»Sie will gleich was in die Fresse haben, daß es roocht, von Ihnen!«
Die Würfel kollern.
Die Schürmann-Wirtin kommt aus der Küche. »Hier ist der Gulasch! Ah, der Herr Stadtrat . . . und der Herr Koch . . . und der Herr Sekretär . . . Guten Abend, Herr Schmidt . . .«
»Ich bestimme! Semiramis!«
»Wie ist denn das?«
»Semiramis mit Hängetitten, das kennen Sie nicht? Die Sechsen und Einsen!«
»Aber Herr Stadtrat!«
»Wenn der nicht immer so ’n unschuldiges Späßchen machen kann, dann ist ihm nicht wohl!«
»Na, Jungfer Bertha?«
»Prost! Haben Sie nicht was zu roochen für mich!«
»Hier, die ist aber stark! Jungfer Bertha, da möchtste dir wohl die Hosen zubinden!«
»Sie hat ja gar keene an!«
»Woher weißt du?«
Ein Würfel springt vom Tische herunter. Man jagt ihm nach. »Unterm Sofa muß er doch liegen . . . ich hörte ihn deutlich rollen.«
»Hat niemand ein Streichholz?«
Der Zigarrenhändler verirrt sich in gelbseidene Spitzen und Bändchen und Hitze und rundliches Fleisch. Er schnauft.
»Das sollte Ihre Frau sehn!«
»Verflucht!«
»Der Schmolke muß zahlen!«
»Nun sagt mal, Kinder, wie lange sitzt ihr denn eigentlich hier?«
»Wir waren noch gar nicht Mittag essen.«
»Wir haben uns auf dem Gericht getroffen. Schmolke hat seinen Erbschaftstermin. Na, deine Alte, die wird schön spukken!«
»Ob sie immer noch mit dem Essen wartet?«
»Nun aber die letzte Runde, ja! Wieviel hab’ ich denn schon zu bezahlen?«
»Ach was, die Bertha muß doch eingeweiht werden!«
»Ja, trinken wir mal auf die neue Bertha!«
»Die dicke Bertha!«
Sie grapschen nach ihr.
»Ich glaube, ich hab’s wieder gut getroffen. Wo ich zuletzt war, bei Klose in Brieg, da waren auch so fidele Brüder. Die letzten drei Nächte kam ich kaum schlafen, wir feierten ohne Pause Abschied, wir wurden alle immer wieder besoffen und nüchtern; dann nahmen sie Droschken und brachten mich alle zusammen zum Bahnhof, am hellichten Tage, das war ein Klaumauk! Der Landmesser Langer, der kriegte sogar noch mit dem Stationsvorsteher Krach, weil er immer noch mal die Coupétür aufriß, als der Zug sich schon längst im Fahren befand. Mir ist nachher von dem verfluchten Geratter bald mordsübel geworden; wir hatten auch alles durchsammen getrunken, noch mal den ganzen Keller durch, jede Sorte Schnaps und Wein; ich kotzte wie sieben Reiher – ein herrlicher Abschied!«
»Du scheinst ja ’nen guten Magen zu haben. Ich glaube, du vertilgst eine Stange!«
»Seit sie mir den Blinddarm hamm rausgeschnitten . . .«
»Was, du hast keen Blinddarm mehr? Nu da! Zeig’ mal . . . da muß ich doch einmal fühlen!«
»Hast du etwa auch sonstwas nicht mehr? Am Ende haben sie dir aus Versehen noch was andres mit weggeschnitten.«
»Abdenitten! Abdenitten!«
Der Zigarrenkaufmann erhebt sich.
»Was? Hinsetzen! Dageblieben! Sie müssen erst auch mal ’ne Runde verlieren!«
»Ein andermal! Ich habe Hunger.«
»Wir haben noch nicht einmal Mittag gegessen.«
»Ja