Der Flüchtling. Max Herrmann-Neisse

Der Flüchtling - Max Herrmann-Neisse


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      »Ein andermal, Frau Schürmann, heut geht’s nicht.«

      »Du hast wohl ein Rendezvous heute, Karle?«

      »Ja, mit seiner Ollen!«

      Der Stadtrat steht auf. »Dann werde ich mich auch gleich empfehlen: wir haben nämlich heut leider Besuch.«

      »Verbrennt euch nischt!«

      »Na, Berthel, da wünsch’ ich noch viel Vergnügen!«

      »Morgen komm’ ich mir Zigaretten holen!«

      Der Zigarrenhändler tätschelt sie noch einmal ab. »Da steck’ ich dir was in dein süßes Mäulchen.«

      »Guten Abend, allerseits!«

      »Guten Abend!«

      »Guten Abend, Frau Schürmann!«

      »Guten Abend, die Herren! Kommen Sie bald wieder!«

      Die Tür kracht.

      »Neue Runde: ›Ums Loch, ins Loch!‹ Oehm gibt an.«

      Die Würfel klappern.

      »Die Ehekrüppel! Pünktlich um neune zu Muttern ins Poocht!«

      »Dem Schmidt, dem ist es ja bloß ums Fressen! Der Dickwanst, der kriegt ja nie genug. Als seine Frau einmal verreist war, da kam er zu uns Mittag essen. Du lieber Gott! Ich hatte ihm sowieso schon größere Portionen gegeben, aber nie war ihm eine groß genug, und Sie wissen doch alle, bei mir sind sie reichlich!«

      »Ja, Mutter Schürmann läßt sich nicht lumpen!«

      »Darf ich mir noch einen Glühpunsch bringen? Und wer gibt jetzt einen Böhm fürs Klavier?«

      »Ich. Aber eine neue Walze!«

      »Die Dollarprinzessin?«

      »Das war schon zu oft.«

      »Matchiche?«

      »Ja gut, Matchiche!«

      Gekurbel. Der Motor schnurrt an; die Tasten hacken.

      Der Rentier grölt: »Wenn meine Frau sich auszieht, wie das dann aussieht . . .«

      Bertha macht sich an ihn heran: »Kennen Sie schon den Witz vom Kompagnon . . .?«

      Der Zigarrenkaufmann Schmidt betritt seine Wohnung. Der Tisch ist gedeckt. Frau Emma schlürft wie Trinkgeld heischend:

      »Na, Männe?«

      »Gibt’s Essen? Ich hab’ einen Riesenappetit.«

      »Ich glaube, die Kartoffeln sind weich. Wir haben heute Koteletts mit Gemüse.«

      »Immer ran! Wo ist Hugo?«

      »Er lernt nebenan.«

      »Na los!«

      »Hugo! Hu–go!«

      »Ich komme ja schon!« Bücher klappen. Ein glupschender Bengel murrt.

      »Ihr stört mich mitten in meiner Lektion.«

      »Man sagt: Guten Abend!«

      »Was ist denn los?«

      »Papa ist gekommen, du siehst. Er hat Hunger.«

      »Das brauchst du mir doch nicht zu erzählen; das ist doch alt. Na, Mojen, Papa!«

      »Man sagt doch nicht Morgen am hellichten Abend!«

      »Wir Pennäler, wir sagen jetzt immer Mojen!«

      »So laß ihn doch, Emma, sie haben ja recht. Man muß sich durch irgendwas unterscheiden. Die Jungens müssen schon eigen sein.«

      »Was war noch im Geschäft los?«

      »Wie immer. Die Rettichen hat fünfzig Stück Zigaretten geholt; die feiert wohl wieder ’ne Orgie mit ihren Zimmerherren . . .«

      »Aber Karl!«

      »Nachher kamen noch die drei Krippensetzer, der Vollert, der Koch, der Adolf, und schleppten mich mit zum Biere. Ich konnte nicht nein sagen, man muß doch auch mal die Kundschaft besuchen!«

      Hugo meckert um einen Knochen herum: »Unser neuer Kandidat, der Matuschek, bei dem wir jetzt die Botanik haben, der wohnt bei der Rettichen.«

      »Was du nicht sagst! Wie stehst du mit ihm?«

      »Ich war noch nicht dran. Wir haben schon einen Spitznamen für ihn: wir nennen ihn Naso; er hat so ’ne lange.« Papa grölt geschmeichelt. Frau Emma entsetzt sich. »Wo hätten wir sowas beim Lehrer gewagt!«

      »Das sind doch auch keine Klippschüler mehr!«

      »Vom ›Nämlich‹ der Sohn, der Leutnant, der soll ein Duell gehabt haben im Briesener Walde . . .«

      »Das dacht’ ich mir doch . . . wahrscheinlich wegen der Amtsrichterfrau . . . das ist so eine hochfeine Prise mit ausländischen Sitten; die trieb jeden Sport . . .«

      »Ich war mal auf den Kohlsdorfer Wiesen und fing mir Frösche, da kamen sie zusammen in Karriere geritten.«

      »Geritten ist gut!«

      »Aber Karl!«

      »Die hat – gibt’s noch etwas Käse – die hat sogar Zigarren geraucht, das Dienstmädel von ihr mußte welche holen, als wär’s für den Herrn, die sagte mir mal: Die Gnädige liegt selber halbnackt auf ’m Sofa und pafft alles blau . . .«

      Man steht vom Tisch auf.

      »Ich muß noch Latein und Französisch machen.«

      »Überanstreng’ dich nicht! Jetzt wird auch wirklich zuviel verlangt!«

      »Gute Nacht, Papa!«

      »Dreh’ hübsch das Gas zu, wenn du schlafen gehst! Gute Nacht, mein Junge!«

      Frau Emma wirtschaftet in der Küche. Der Zigarrenkaufmann lüftet sich wohlig und greift nach der Zeitung. »Da soll doch der Geier . . .! Die Müßiggänger, verfluchten die! Schon wieder ein Streik! Wenn das so fortgeht . . .«

      Sie trocknet die Hände noch in die Schürze. »Jedem möchten halt die gebratenen Tauben ins Maul fliegen, ja . . .«

      »Und hier ein Sittlichkeitsverbrechen! Das kommt von der lausigen Nichtstuerei!«

      »Ich bin eigentlich recht müde, Karl! Seit früh um sechs schon auf den Beinen!«

      »Na, gehn wir schlafen; ich eigentlich auch!«

      »Hast du alles abgeschlossen?«

      »Jawohl!«

      »Und morgen früh muß vor allen Dingen der Laden erst wieder mal ausgefegt werden. Und um zehn wollte der Bursche vom Lipka eine Kiste ›Mein Liebling‹ holen, vergiß nicht! Bezahlt ist sie schon.«

      »Was ist heute die Kasse?«

      »Wir hatten schon mehr.«

      Er stemmt die Kassette. Der Schlüssel wird unters Kopfkissen geschoben. Der Zigarrenkaufmann pellt sich den Rock aus, die Weste, den Kragen, zieht seine Uhr auf und hängt sie an den Nagel am Bette. Wenn er die Schuhe ausgezogen hat, löscht seine Frau die Lampe.

      Das Ehepaar Schmidt entkleidet sich weiter im Dunkeln. Man hört Röcke rascheln, Nadeln fallen, Seufzer des Hantierens an heimtückischer Montur.

      In das Bett nach der Tür zu wuchtet der Zigarrenkaufmann Schmidt, in das andre am Fenster, die Füße ihm zu Häupten, schlüpft stöbernd Frau Emma. Ein Blasebalg arbeitet dumpfes Schnarchen, ein dünnes Gepfeif durch spitzwinklige Nase begleitet.

      Die Luft wird dick.

      Der Knabe Hugo feixt mit der Lupe näher über ein paar Bilder, die er unter der französischen Grammatik hervorzog.

      Die Turmuhr schlägt zehnmal.

      Der nächtliche Orient-Expreß saust


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