Schlachtbank Düppel: 18. April 1864.. Tom Buk-Swienty

Schlachtbank Düppel: 18. April 1864. - Tom Buk-Swienty


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sie »es für unmöglich hielten, mehr Zeit beim Heer zu verbringen. Sønderborg existiert nicht mehr. Die gesamte Stadt ist zerstört. In Augustenborg hat der Typhus die Armee und die Bewohner dezimiert. Lebensmittel und Unterkunft kosten wahnsinnige Preise …«

      Van de Velde verbrachte eine Reihe von Tagen in Kopenhagen mit dem Versuch, die Dänen für die Idee des Roten Kreuzes zu gewinnen. Gewisse Sympathien erlangte er bei Ministerpräsident Monrad wie bei Kriegsminister Lundbye und der Königinwitwe Gräfin Danner. Doch vor allem waren die Dänen in einem Maße skeptisch, dass van de Velde, dem es normalerweise schwerfiel, sich herabsetzend über jemanden zu äußern, sich genötigt sah, festzustellen, der dänische Nationalcharakter sei »langsam«, »kalt« und nicht in der Lage, »Enthusiasmus zu zeigen«.

      Vor allen sein Treffen mit dem dänischen Chefarzt Michael Djørup war niederschmetternd. Van de Velde nannte ihn hinterher »starrköpfig« und »ehrsüchtig«, weil Djørup die Idee rundweg ablehnte, Frauen könnten im Feld als Pflegerinnen fungieren – eine Idee, für die Dunant aufgrund seiner Erfahrungen bei Solferino eintrat. Krankenpflege in Kriegsgebieten sei eine Männerdomäne, für die Frauen weder die Fähigkeiten noch die Nerven hätten, meinte Djørup. Schockiert stellte van de Velde fest, dass die dänische Ärzteschaft sogar schwedische Frauen wieder nach Hause geschickt hatte, die nach Kopenhagen gekommen waren, um sich freiwillig als Pflegerinnen zu melden.

      Obwohl van de Velde seinen Aufenthalt in Kopenhagen mit sehr gemischten Gefühlen betrachtete, konnte er sich doch nicht recht entschließen, nach Düppel zu reisen. Er wirkte ängstlich und schien den Termin der Abreise immer wieder hinauszuschieben. Er schrieb, er hoffe, Gott würde ihm das Leben schenken, denn seiner Ansicht nach würde der Aufenthalt bei der Armee »mit sicheren Gefahren verbunden sein … [in Sønderborg und Düppel] sind überall Bomben«.

      Am 16. April traf er schließlich an der Front ein.

      In seinem Brief vom 17. April beschrieb van de Velde, dass der Widerstand gegen eine internationale Hilfsorganisation, der ihm in Kopenhagen entgegenschlug, nichts war im Vergleich mit der Reaktion des dänischen Chefarztes bei Düppel, John Rørbye. Rørbye hatte ihm erklärt, es gebe keinerlei Bedarf für eine internationale Organisation. Es sei mehr als genug, wenn jedes Land seine eigenen privaten Wohltätigkeitsinstitutionen hätte.

      Rørbye erzählte van de Velde, im dänischen Heer gebe es keinen Mangel an Männern, die »bei der Krankenversorgung helfen. Und wenn man etwas ganz bestimmt nicht wünschte, dann wären es ausländische Ärzte. Wegen ihrer mangelnden Dänischkenntnisse würde es nur zu Verzögerungen kommen.«

      »Ich bot an«, schrieb van de Velde an Dunant, »dafür zu sorgen, Ärzte aus Holland nach Düppel zu senden, aber auch das wollte er nicht. Dann bot ich Hilfe aus Genf an. Er lehnte rundweg ab. Ich unterbreitete ihm die Ideen, wie man bessere Tragen für die Verwundeten bauen könnte. ›Nein, nein‹, antwortete Rørbye, ›es ist jetzt nicht die Zeit, um sich mit solchen Neuerungen zu befassen.‹ … Unglaublich, dass solch ein alter ruhmsüchtiger Mann an die Spitze einer so großen Unternehmung gestellt wird.«

      Weitaus mehr Glück, sich für die Ideen des Roten Kreuzes Gehör zu verschaffen, hatte der zweite Abgesandte, Louis Appia. Die preußische Führung stand der Idee einer neutralen, internationalen Organisation positiv gegenüber (König Wilhelm I. war begeistert, als Dunant ihn 1863 in Berlin besuchte). Appia konnte vor den Generälen bei Düppel sprechen, er wurde von Marschall Wrangel zum Abendessen eingeladen und er bekam die Erlaubnis, sich an der Front frei zu bewegen. Dass seine Anwesenheit so positiv aufgenommen wurde, lag unter anderem an den Fortschritten auf medizinischem Gebiet. Hier waren die Preußen sehr viel weiter als ihre dänischen Gegner. Die preußische Armee hatte einige der fachlich besten Ärzte der Zeit in ihrem Stab, darunter Friedrich von Esmarch, den Vater der modernen Kriegschirurgie, auf den zahlreiche Erfindungen zurückgehen: bessere Blutstillmechanismen, Chloroformmasken, Prothesen und gefederte leichte Wagen für die Verwundeten. Gleichzeitig wurden im Gegensatz zum dänischen Heer auf deutscher Seite weit mehr freiwillige Hilfsorganisationen an der Front zugelassen, unter anderem der Johanniterorden und Diakonissen von einigen religiösen Organisationen in Deutschland.

      Insgesamt hatten die Deutschen somit die Möglichkeit, für höhere hygienische Standards zu sorgen. Der dänisch-deutsche Krieg wurde der erste Krieg, in dem eine der Parteien – die Preußen – mehr Menschenleben auf dem Schlachtfeld verlor als durch ansteckende Krankheiten.

      Er war somit auch ein Meilenstein in der humanitären Geschichte der Menschheit.

       9. An der Front

      Der Konstabler Nr. 68 der 4. Landwehrkompanie Johan Peter Larssen kniete bei einem übel zugerichteten Kameraden. Wenige Augenblicke zuvor war eine Brandgranate in der Schanze 6 eingeschlagen, die laut Larssen »die Luft mit einem hässlichen Schwefeldampf erfüllte, der geradezu erstickend war. Nichts war zu sehen in dem dichten Rauch; ich hatte einen so heftigen Schlag auf mein rechtes Schienbein bekommen, dass meine Freude groß war, als ich spürte, dass ich mein Bein ausstrecken konnte.«

      Sein Nebenmann war nicht so gut davongekommen. Er jammerte: »Ich brenne, ich brenne.« Und dann fragte er Johan Peter Larssen: »Bin ich an beiden Beinen schwer verletzt?«

      Larssen schrieb: »Sein rechtes Bein war direkt unter dem Knie abgerissen und lag unter ihm (er lag auf dem Rücken), es hing nur noch an einem halben Zoll dicken Hautfetzen. Sein linkes Knie war ganz weg, die Knochen lagen frei, ohne dass es blutete; vom Knie an aufwärts bis nah an die Hüfte war das Fleisch zerfetzt, und in dieser großen offenen Wunde stand seine Hose in Flammen. Ich versuchte, das Feuer zu löschen, indem ich meine Hände auf das klaffende Fleisch legte, aber nein, es gelang mir nicht. Durch mein wiederholtes Rufen nach Wasser kam schließlich ein barmherziger Mensch mit Wasser und ich konnte das Feuer löschen … Jetzt untersuchte ich ihn näher, der linke Oberarm des Menschen war gebrochen, der Mund stand voller Blut, und auch überall im Gesicht hatte er Blutspritzer.«

      Der Soldat, der das Wasser gebracht hatte, verschwand wieder, überhaupt schien es so zu sein, als würden sich alle von dem malträtierten Soldaten abwenden. Vergeblich rief Larssen nach Hilfe durch die Sanitäter. Was sollte er machen? Er schaute auf den Verwundeten, der ihn anflehte zu bleiben. »Um Gottes willen, um der Barmherzigkeit Christi willen, verlass mich nicht.« Ihre Blicke trafen sich. »Ich werde es vermutlich niemals vergessen«, schrieb Larssen.

      »Was ist das doch für eine merkwürdige Macht, die bisweilen im Auge des Menschen liegt? Dieser Blick, den er mir zuwarf, und der schuld daran war, dass ich sofort nach Sanitätssoldaten suchte, machte einen tieferen Eindruck auf mich als der Anblick seines erbärmlichen Zustands und seiner flehenden Worte; er verfolgte mich lange – noch in diesen Stunden steht er lebhaft vor mir, ja, in diesem Blick spiegelten sich deutlicher, als Worte es wiedergeben können, all seine Leiden, all seine Furcht und all seine Hoffnung. Er hatte das linke Bein angewinkelt, ein paar Mal musste ich es zurechtlegen, aber das verursachte nur noch größere Schmerzen. Bei jedem Schuss, der kam, während er dort lag, schauderte er vor Angst, er zitterte und drückte meine linke Hand, die er mit seiner rechten hielt, noch fester …«

      Die Hilfe blieb aus. Trotz der Versicherungen des Oberarztes Rørbye gegenüber van de Velde, dass es genügend Krankenpersonal bei der dänischen Truppe gäbe. Während ringsum Granaten einschlugen, hatte Larssen alle möglichen Gründe, darüber zu spekulieren, warum in aller Welt er sich freiwillig zu diesem Krieg gemeldet hatte. So hatte er es sich jedenfalls nicht vorgestellt. Er hatte eine wogende Schlacht vor sich gesehen: rasches Vorrücken, lebhaftes Artilleriefeuer. Ruhm, Mut, Ehre. Aber das hier? Dieses Elend?

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      Abb. 18: Johan Peter Larssen, Konstabler, 42 Jahre alt.

      Bei Johan Peter Larssen handelte es sich um eine der kurioseren Erscheinungen im dänischen Heer. Unter anderem war er mit zweiundvierzig Jahren der älteste gemeine Soldat der Armee. Dazu kam seine Bekleidung. Er hatte keine vollständige Uniform, sondern trug eine ganz alltägliche Jacke. Immerhin besaß er eine Uniformhose und einen Militärmantel nebst Artilleriekonstabler-Käppi.


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