Schlachtbank Düppel: 18. April 1864.. Tom Buk-Swienty
auf Alsen und bei Düppel befanden – einige kamen sogar aus Japan –, brauchten viel Spaltenplatz, um über die »Rolf Krake«, das erste moderne Panzerschiff Europas, zu berichten.
Seeungeheuer lieferten schon immer eine gute Story.
6. Der Kriegskorrespondent
Einer der wortmächtigsten Journalisten des Kriegsschauplatzes war der Brite Edward Dicey, der sich auf der dänischen Seite der Front aufhielt. Es existiert ein Gemälde von ihm, auf dem er als bildschöner junger Mann abgebildet ist. Gemalt ist es in dem idealisierenden Stil, der typisch ist für die Romantik. Auf unzähligen Abbildungen von Lord Byron, Beethoven und Napoleon ist dieser Stil zu finden, in Dänemark zum Beispiel bei J. L. Lunds berühmtem Porträt des Dichters Adam Oehlenschläger. Diese Bilder – inklusive des Porträts von Dicey – scheinen alle nach derselben Schablone gemalt zu sein: Der Porträtierte trägt lange Koteletten und hat volle, wehende Haare, als befände er sich auf einem sturmumtosten Gipfel nahe dem Olymp. Nach den Maßstäben unserer Zeit ist er an der Grenze zum Vollschlanken. Die Wangen sind eine Spur zu rot. Der Blick indes ist stark, zugleich fern und träumerisch. Er ist ein inspirierter Idealist, und gleichzeitig ein Mann der Tat. Er trägt einen zweireihigen Gehrock, elegant und dennoch leger. Offener Kragen, auf der Brust ein gekräuseltes Jabot, der Stehkragen ist hoch, sauber und schneeweiß.
Doch der zweiunddreißigjährige Dicey war durchaus kein Träumer und auch nicht vollschlank, und sein Hemd war alles andere als sauber und weiß, als er am Nachmittag des 17. April durch das zerschossene Sønderborg ging. In den letzten Wochen war zwischen den ordentlichen Mahlzeiten viel Zeit vergangen. Von einem zivilisierten Leben war er weit entfernt.
Bis zu dem preußischen Beschuss von Sønderborg Anfang April hatte Dicey sich in einem Zimmer in der Stadt einquartiert, in dem er seine Reportagen für die Londoner Tageszeitung The Daily Telegraph schrieb. Dicey war ein erfahrener Reporter, der über den amerikanischen Bürgerkrieg berichtet hatte. Für seine Zeitung lag es daher nahe, ihn als Korrespondenten an den schleswigschen Kriegsschauplatz zu schicken. Man kann nicht behaupten, dass der dänisch-deutsche Krieg für Dicey bis zum Beschuss von Sønderborg abstrakt gewesen wäre. Mit dem Instinkt eines Kriegsreporters war er dort gewesen, wo sich Dramen und Kämpfe abspielten, und bis zu dem Granatbeschuss hatte er von sich aus die jeweiligen Kriegsschauplätze aufgesucht.
In der Nacht zum 2. April kam der Krieg nun zu Dicey – und zu den zweitausend Einwohnern Sønderborgs. Während des preußischen Bombardements wurden ganze Stadtteile dem Erdboden gleichgemacht. Zivilisten starben und ein Meer gefräßiger Flammen wogte mehrere Nächte hintereinander über der unglücklichen Stadt.
Dicey rettete sein Leben, verlor aber den größten Teil seines Hab und Guts. Ein Granateneinschlag pulverisierte das Haus, in dem er wohnte, und wie die Bürger der Stadt, die Hals über Kopf auf den schmalen, von Schlaglöchern übersäten Landstraßen der Insel flohen, wurde er obdachlos. In seiner Reportage über den Tag, an dem er die brennende Stadt verließ, berichtete er:
»Die Menschen flüchteten aus der Stadt wie die Bewohner von Sodom und Gomorrha, den verfluchten Städten. Es blieb keine Zeit, um irgendetwas auf die Flucht mitzunehmen. Frauen mit ängstlichen, bleichen Gesichtern zogen kleine Kinder hinter sich her und verschwanden, Gott allein weiß, wohin. Alte Männer, vom Alter gebeugt, bewegten sich mühselig und furchtsam durch die langen, gewundenen Straßen. Einige von ihnen flüchteten einfach mit Bündeln von Kleidern und Laken, andere schleppten ein Möbelstück mit sich; lange Reihen von Pferdefuhrwerken mit allem, was in aller Hast hinaufgeworfen werden konnte, rumpelten so hastig davon, wie die verschreckten Pferde sie ziehen konnten … Die verletzten Soldaten vom Caroline-Amalie-Lazarett, die normalerweise neben der Kirche lagen, wurden aus ihren Betten gehoben und in langen Kolonnen nach Augustenborg gebracht. Und gleichzeitig mischten sich in das Gewimmel von flüchtenden Bürgern Verwundete, die von der Front kamen … Leichen, halb bedeckt von blutdurchtränktem Stroh, wurden in einem traurigen Aufmarsch vorbeigetragen. Reihe um Reihe von Soldaten rückten ein und trugen ihre verletzten Kameraden auf Krankentragen durch die Straßen der Stadt, und das Wehklagen dieser armen Geschöpfe war noch in mehreren hundert Metern Entfernung zu hören; andere waren bewusstlos, und soweit man sehen konnte, leblos, mit halb verbundenen Wunden und dunklen Blutflecken an Kopf oder Brust. Mir steht nicht der Sinn danach, diese grauenvollen Anblicke zu beschreiben, die ich sah; Männer, deren Beine abgerissen, deren Körper von Granaten aufgerissen waren, die Gesichter zu einer unförmigen Masse Fleisch zerschlagen. Es ist ein Anblick, der nicht angenehm ist und an den man nur ungern denkt, wenn man ihn gesehen hat.«
Zusammen mit dieser bedauernswerten Menschenmasse verließ Dicey Sønderborg und irrte einige Tage auf der Suche nach einer Unterkunft auf Alsen umher, bevor er, verwahrlost, dreckig und hungrig, einen Ort fand, in dem er sich einquartieren konnte – einen Bauernhof in der Nähe von Sundeved, innerhalb der Reichweite der preußischen Kanonen.
Der Beschuss von Sønderborg öffnete Dicey endgültig die Augen über die Destruktivität des Krieges. Es hatte nichts Schönes, nichts Angenehmes, nichts Romantisches, auf Alsen zu sein. Mit der Zerstörung von Sønderborg waren nahezu alle Geschäfte auf der Insel verschwunden. Dicey aß mit Soldaten und Offizieren und bekam auch auf dem Hof, auf dem er jetzt wohnte, etwas zu essen. Aber nur unregelmäßig. Alles war unregelmäßig. Nicht zuletzt der Schlaf. Tag und Nacht lärmten die Kanonen. Der Kanonendonner und die Explosionen kamen ihm in der Dunkelheit so heftig vor, dass Dicey bisweilen schlagartig mit dem Gefühl erwachte, eine Granate sei direkt vor seiner Tür eingeschlagen, obwohl sie in Wahrheit viele Kilometer entfernt niedergegangen war.
Angeschlagen waren auch die dänischen Truppen mit ihren harten Gesichtern und kalten Blicken, wie Dicey bemerkte. Stumm bewegten sich die Abteilungen durch die Ruinenhaufen von Sønderborgs Straßen zur Front, wenn die Ablösungen anstanden. Das Lied vom tapferen Landsoldaten war längst verstummt.
Die zahlreichen Toten setzten ihm zu. Innere Bilder wollten keine Ruhe geben, seit er eines Tages in der Dämmerung auf Karren voller Soldatenleichen gestoßen war, die zum Friedhof in Sønderborg gefahren wurden. Das heißt, den Resten von Soldaten. Stück für Stück wurden die Glieder von dem Fuhrwerk gehoben. Dicey sah einen Kopf, der vom Körper gerissen war: »Schwarz und mumienhaft, und doch konnte man die Züge erkennen und das Entsetzen in dem Gesicht lesen, als die Granate explodierte.«
Dicey empfand sich selbst als eine wandelnde Mumie. Er hatte keine Seife mehr und war schmutzig. Er hatte seinen Hemdkragen mehrfach umgenäht, um die jeweils sauberste Seite nach außen zu wenden. Aber jetzt wäre es egal, seine Kleidung wäre vollkommen verdreckt, erklärte er seinen Lesern. Auf Alsen waren alle vollkommen verdreckt.
Mit anderen Worten, es war alles andere als ein bildschöner und schon gar nicht göttlich inspirierter Reporter, der sich am 17. April in die Ruinen von Sønderborg wagte. Dicey war müde, seine Stimmung düster – doch glücklicherweise schien die Sonne. In den vergangenen Wochen hatte es häufig geregnet, es war sehr kalt gewesen. Endlich schien wieder die Sonne. In seinem Artikel über diesen Tag bemerkt Dicey, »der Wind ist beißend kalt, aber wenn man eine windgeschützte Stelle findet, spürt man, dass eine freundlichere Jahreszeit naht«. Ein grotesker Gedanke angesichts der unerfreulichen Umgebung, in der er sich befand. Aber gerade hier, am Nachmittag, konnte man sich mit ein wenig gutem Willen den Krieg als etwas Fernes vorstellen. Man konnte einen Moment so tun, als würde man einen Spaziergang unternehmen, um einen Frühlingstag zu genießen. Einfach so. Der Beschuss hatte für eine Weile aufgehört, und das Donnern der Kanonen schien vor allem oben bei Düppel stattzufinden – aus diesem Grund wagte sich Dicey auch in die Stadt.
Abb. 11: Sønderborg, durch Granatenbeschuss zerstört.
Der nördliche Stadtteil, den die Granaten der preußischen Batterien von der Halbinsel Broager nur schwer erreichten und wo noch immer Häuser standen, war so gut wie menschenleer. Im südlichen Teil, einem einzigen Ruinenhaufen, begegnete Dicey niemandem. »Es lag«, schrieb er seinen Lesern, »etwas Unheilverkündendes über dieser Stille, die hier einen großen Teil des Tages herrschte.« Und während