Schlachtbank Düppel: 18. April 1864.. Tom Buk-Swienty
blasen ließ, bäumten sich die dänischen Artilleristen in einer geradezu übermenschlichen Kraftanstrengung auf. Granaten und Kartätschen explodierten in der Luft, pfiffen über den Boden und schlugen auch dort ein, wo Friedrich Karl sich befand. Er war verunsichert und verwirrt und musste erkennen, dass es trotz der Übermacht, über die er verfügte, unmöglich war, die dänischen Stellungen einzunehmen. Der Prinz hatte notgedrungen den Befehl zum Rückzug zu geben, ein an Menschenleben teures Manöver. Kartätschen schlugen in die retirierenden Reihen und zahlreiche deutsche Soldaten blieben auf der gefrorenen Erde liegen.
Ein Fiasko. Der erste Angriff auf die dänischen Stellungen war fehlgeschlagen, und Friedrich Karl wusste, mit welchem Ernst diese Niederlage in den leitenden Kreisen in Berlin aufgenommen werden würde. Die Kriegsskeptiker hatten reichlich Gelegenheit, den König und seinen Minister Bismarck zu kritisieren, die sich auf einen Krieg gegen diese Skandinavier eingelassen hatten.
Elend hatte der Prinz sich auch Ende März gefühlt. Das schwere, regnerische dänische Wetter zehrte an seiner Gesundheit und an seiner Stimmung. In seinem Hauptquartier auf Schloss Gråsten schlief er schlecht, außerdem fror er den ganzen Tag. Als gäbe es keine Wärme in diesen Breitengraden, schrieb er später.
Zusammen mit Stabschef Oberst Blumenthal war er einer der führenden Betreiber eines groß angelegten Angriffsplans, der Ende März umgesetzt werden sollte: das sogenannte Ballebro-Projekt. Laut Plan wollte man die Dänen mit einem Angriff über den Alsenfjord überraschen, mit dem Ziel, das dänische Heer zu umzingeln und niederzuschlagen. Von dem kleinen Fährhafen Ballegård sollten große Truppeneinheiten nach Alsen gebracht werden, um dem dänischen Heer von dort aus in den Rücken zu fallen. Der Prinz ging davon aus, dass die Dänen sich aufgrund ihrer Überlegenheit zur See auf Alsen sicher fühlten. Sie würden sich nicht vorstellen können, dass Preußen auf eine derart riskante Idee wie ein Übersetz-Manöver kam. Die Überraschung wäre vollkommen, und mit einem raschen Kneifzangenmanöver ließen sich die dänischen Truppen auf Alsen und in Düppel aufreiben.
Der Gemeine Wilhelm Gather und seine Kompanie gehörten zu den Soldaten, die an diesem Manöver teilnehmen sollten. Sie fürchteten sich vor dem Angriff, und auch Friedrich Karl gefiel der Plan nicht wirklich. Einerseits war er begeistert von dem Gedanken an einen glorreichen Sieg – gelänge der Plan, würde er den Ruhm als großer Heerführer davontragen. Auf der anderen Seite war und blieb er wankelmütig. War es nicht doch ein zu gewagtes Projekt? Laut Plan wollte man nicht an der schmalsten Stelle über den Sund setzen – hier standen die Dänen bereit, um sich zu verteidigen –, sondern an der breitesten Stelle des Fahrwassers, am Alsenford. Dort allerdings bestand die Gefahr, dass die dänischen Kriegsschiffe eingriffen, wenn es nicht gelang, den Feind vollständig zu überrumpeln. Der groß angelegte Angriff könnte somit auch zu einer totalen Niederlage werden. Der Prinz wurde krank bei dem Gedanken, und er wurde krank, sich nicht entscheiden zu können. Mehrere seiner Generäle und Ratgeber stimmten gegen das Übersetzen, was ihn noch unschlüssiger werden ließ. Die Tage vergingen. Es kam der 1. April, es kam der 2. April. Ungefähr 160 Ruderboote lagen bei Ballegård bereit. Schwere weitreichende Festungsartillerie hatte man in den Stellungen verankert, um die dänischen Kriegsschiffe zu empfangen. Tausende deutscher Soldaten waren zusammengezogen worden, außerdem wurde ein Scheinangriff auf die Schanzen als Ablenkungsmanöver vorbereitet.
Sollte er, sollte er nicht? Es herrschte Uneinigkeit unter den preußischen Generälen, vor allem der aufbrausende und temperamentvolle Blumenthal regte sich auf. Auch er war deutlich nervös und voller Zweifel, doch andererseits ertrug er die Wankelmütigkeit seines Vorgesetzten nicht. Er wollte das Ganze überstanden wissen. Abmarsch und kurzer Prozess. Er beschimpfte den Prinzen bei den Treffen des Generalstabs. Die anderen Generäle hörten staunend zu, als der Oberst brüllte: »So tun Sie doch etwas! Angriff!«
Friedrich Karl indes unternahm nichts. Am 1. April zog ein schweres Unwetter auf. Die Wellen türmten sich meterhoch im Sund, und Friedrich Karl betrachtete es als ein Eingreifen des Herrgotts, der ihm ein Zeichen gab. Die Überfahrt nach Alsen wurde ad acta gelegt und stattdessen beschlossen, die Stellungen bei Düppel durch einen Frontalangriff zu nehmen.
Allerdings waren die Strategen der Ansicht, die Schanzen wären zu stark, um sie lediglich anzugreifen, ohne sie zuvor unter systematischen Beschuss genommen zu haben. Friedrich Karl und die preußischen Generäle spürten gleichzeitig, dass die Zeit gegen sie arbeitete. In Berlin wuchs die Ungeduld. Wo blieb der große Sieg? Es musste bald etwas Entscheidendes geschehen auf dem Kriegsschauplatz im hohen Norden.
Und genau das – etwas Entscheidendes – wollte der Prinz am 17. April zustande bringen. Er und seine Offiziere hatten einen sinnreichen Schlachtplan ausgearbeitet; eine organisatorische Kraftanstrengung, bei der nichts dem Zufall überlassen bleiben sollte.
Seinen Generälen und den anderen hochrangigen Offizieren im Hvilhøj Kro gab er ganz spezielle Befehle, wie die Schlacht um die Düppeler Schanzen am nächsten Tag geschlagen werden sollte. Die Instruktionen lauteten:
In der Nacht zum 18. April rückt die erste Hälfte der Angriffstruppen um 1.30 Uhr bis Bøffelkobbel vor und bezieht von dort aus im Schutz der Dunkelheit und so lautlos wie möglich die preußischen Schützengräben (Parallelen) vor den Schanzen. Um 2.00 Uhr folgt die nächste Angriffskolonne. In den Parallelen legen sich die Truppen auf den Boden und bleiben so still wie möglich liegen – gleichzeitig wird das auf diesem Feldzug heftigste Artilleriefeuer auf die dänischen Schanzen eröffnet. 102 Kanonen werden mit unerhörter Vehemenz und Geschwindigkeit Feuer speien – Granaten und Brandbomben. Sechs Stunden soll dieses Inferno dauern. Um 10.00 Uhr wird der Beschuss der Artillerie für einen Augenblick unterbrochen, die Kanonen werden auf die dänischen Truppen hinter den Schanzen gerichtet. In dem Moment, in dem die Kanonen schweigen – Punkt 10.00 Uhr –, geht es los.
Die Generäle hörten zu. Sie waren bereit. Mehrere Tage hatten Pioniereinheiten den Sturmlauf auf Kopien der dänischen Schanzen trainiert, die man auf Broager und bei Nybøl nachgebaut hatte. Die Angriffstruppen waren aufmarschiert, alle Batterien in Stellung gebracht, die letzte Parallele gegraben.
»Noch Fragen, meine Herren?«, kam es vom Prinzen.
Abb. 7: Preußischer Artilleriepark bei Düppel.
Zunächst Schweigen. Dann durchdrang eine laute, selbstsichere Stimme den Kreis der Offiziere, die Friedrich Karl in einem Halbkreis umstanden. Adjutant von Geisler hielt die Begebenheit fest. Der Ton der Stimme, so von Geisler, war »so ruhig und geschäftsmäßig, als handle es sich um eine Frage nach der Aufnahme der Richtung. Wenn die vorderste Kolonne stutzt, Königliche Hoheit, so darf doch von hinten auf sie geschossen werden [um sie voran zu treiben]? Alles sah nach dem Sprecher hin, einem langen, hageren General mit eigentümlich spitzem Kopf, einer Brille auf der Nase und dem Habitus eines Schulmeisters. Es war Goeben. Der Prinz selbst schien einen Augenblick betroffen, doch bald erwiderte er: ›Das wird nicht vorkommen!‹ Und gleich darauf nochmals mit einer Handbewegung: ›Das wird nicht vorkommen.‹«
4. Schlachtbank Düppel
Nach der Besprechung der Offiziere im Hvilhøj Kro und ungefähr zur gleichen Zeit, als Wilhelm Gather seinen Eltern schrieb, ritt der Rote Prinz mit seinem Stab auf der breiten Sønderborg-Chaussee zur Front bei Düppel. Einen Kilometer westlich der dänischen Schanzen erreichte er den höchsten Punkt der Gegend, den Avnbjerg, von dem er eine vorzügliche Aussicht über die Landschaft hatte. »Ich kam mir vor wie jener König, der mit vergnügten Sinnen auf das beherrschte Samos blickte«, schrieb Prinz Friedrich Karl später über diesen Moment.
Er sah Buchten, Meer und Hügel. Auf der Halbinsel Broager sah der Prinz die großen Batterien bei Gammelmark, die Granaten über den Vemmingbund auf die dänischen Stellungen schossen. Diese Batterien waren die Trumpfkarte des Prinzen. Sie bestanden aus modernen, gezogenen Hinterladerkanonen, die den südlichen Teil des dänischen Verteidigungswerks, die linke Flanke, effektiv beschossen. Seit Anfang April hatten sich die Dänen auf das Duell mit den Batterien von Gammelmark eingelassen. Vor allem Schanze 2, eine der südlichen Schanzwerke, die am höchsten