Zobel. Albrecht Breitschuh
der Lage, mitzuhalten“, urteilte Günter Netzer, andere sprachen von einem „Offenbarungseid“.
Neben Cajkovski verließ auch Josip Skoblar den Verein, er wechselte zu Olympique Marseille und zeigte sich dort deutlich treffsicherer. Er schoss in der folgenden Saison 44 Tore und stellte damit einen immer noch gültigen Saisonrekord in der ersten französischen Liga auf. In Hannover aber waren viele froh, ihn und den Trainer los zu sein: „Der Jugo-Spuk hat ein Ende“, titelte der Boulevard, jetzt ging es nur noch darum, den Abstieg zu vermeiden.
Tschiks Nachfolger hieß Hans Pilz, er hatte zuvor 1860 München trainiert und galt als ganz harter Knochen. Gesellige Kochabende und Restaurantbesuche waren vorerst nicht zu erwarten, auch war nicht mehr von einem fröhlichen Trainer und einer fröhlicher Mannschaft die Rede. Pilz hatte als Fallschirmspringer und Oberleutnant bereits eine militärische Laufbahn hinter sich und war es gewohnt, dass seine Anweisungen befolgt wurden. Der Ton wurde dem Tabellenstand angepasst und spürbar rauer: „Die Spieler haben so etwas wie Ausgangssperre und stehen unter ständiger Beobachtung“, stellte er zum Einstand klar. Mit Disziplin, Harmonie und Einsatz wollte er den Klassenerhalt erreichen, auch das Auftreten außerhalb des Platzes war ihm wichtig: „Unrasiert kommt mir keiner mehr zum Training“, mahnte er seine Spieler.
Immerhin mussten sie nicht zum Friseur, Zobel durfte seine Haare weiter etwas länger tragen, ohne seinen Trainer allerdings mit den in Mode gekommenen Mähnen der 68er-Avantgarde zu provozieren. Auch mit politischem Engagement hielt er sich wie die allermeisten Profis zurück. In der Bundesliga fielen die Frisuren zwar dem Zeitgeist entsprechend etwas üppiger aus, größere Gefahren drohten aus diesem Milieu aber nicht. Mochten die Wände der Republik manchmal wackeln, das Haus des Deutschen Fußball-Bundes stand auf solidem Fundament und war so schnell nicht zum Einsturz zu bringen.
Ganz unpolitisch war Zobel aber nicht. Im Sommer 1969 kündigten die Hannoverschen Verkehrsbetriebe „Üstra“ eine saftige Fahrpreiserhöhung an, darauf regte sich in der gesamten Stadt Protest, aus dem die „Aktion Roter Punkt“ entstand. Den klebten sich Autofahrer an ihre Scheibe und zeigten damit an, dass sie Passanten kostenlos mitnahmen. Von heute auf morgen verlor die „Üstra“ mehr als die Hälfte ihrer Kundschaft, der Kampf um die begehrten Sitzplätze in Bus und Bahn war bis auf Weiteres ausgesetzt. Zobel beteiligte sich an der Aktion und hatte auf dem Weg zum Training und zurück regelmäßig wildfremde Menschen mit an Bord seines BMW 1602. Nach wochenlangen Protesten, Demonstrationen und Sitzblockaden, bei denen es auch zu Ausschreitungen und Festnahmen kam, nahm die „Üstra“ die Fahrpreiserhöhung zurück und Zobel konnte sich wieder den Regeln unterwerfen, die der Fußballbetrieb diktierte.
Mit einem roten Punkt war der Abstiegskampf jedenfalls nicht zu bestehen und die Spieler verstanden schnell, dass der neue Trainer Engagement vor allem dann zu schätzen wusste, wenn es sich auf dem Fußballplatz zeigte. Die Profis erschienen pünktlich und gepflegt zu den täglichen Einheiten, sie hängten sich mächtig rein. Nach ein paar Wochen konnte Pilz erste Fortschritte erkennen: „Hannover steigt nie ab. Die Burschen trainieren so hart, dass ihnen das Blut aus den Stiefeln läuft.“
Drei Spieltage vor Schluss sah es aber noch ziemlich düster aus. 96 war bei den Bayern mit 2:7 schwer unter die Räder gekommen, hatte nur noch einen Punkt Vorsprung auf die Abstiegsränge. Dann kam Borussia Mönchengladbach, gegen den Tabellenführer waren sie in der Hinrunde bekanntlich ebenfalls kläglich eingegangen. Bei halbwegs erfreulichem Saisonverlauf eigentlich ein Kassenschlager, aber die Mannschaft hatte ihr Publikum mittlerweile so nachhaltig vergrault, dass das Niedersachsenstadion mit 30.000 Zuschauern nicht einmal mehr zur Hälfte gefüllt war. Die machten jedoch einen Lärm für 60.000 und trugen so dazu bei, dass die Heimelf ein 1:0 über die Zeit rettete. Hannover 96 hatte an diesem Tag gleich doppeltes Glück, denn zeitgleich verlor 1860 München gegen Werder Bremen, der Abstand zu den letzten beiden Plätzen war wieder gewachsen. Eine Woche später war nach einem 3:3 in Frankfurt der Klassenerhalt unter Dach und Fach. Die Mannschaft schenkte Hans Pilz „als Dank für die großartige Trainerleistung“ ein Autoradio. Seine Mission war damit erfolgreich beendet.
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