Zobel. Albrecht Breitschuh

Zobel - Albrecht Breitschuh


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laufen hinter Sie. Und nicht Sie hinter diese.“

      Er hielt sich daran, trotzdem verlor Hannover 96 die Auftaktpartie mit 2:3. Cajkovski ärgerte sich über das Ergebnis, seinem Neuling aber zollte er großes Lob: „Bester Mann war für mich Zobel!“, teilte er den ebenfalls beeindruckten Reportern mit. Die „Hannoversche Allgemeine“ schrieb: „Von den drei Amateuren, denen Cajkovski eine Chance gab, schnitt der schmächtige Zobel am besten ab. Er hatte Witz und bewies auch mit dem Ball umzugehen.“ Zobel gehörte zu den wenigen Spielern, die die 30.000 Zuschauer daran erinnerten, warum sie ins Weserstadion gekommen waren: „Werder hat teilweise Rugby gespielt“, schimpfte Cajkovski, aber auch seiner Mannschaft wurde „Fußball nach Catchermanier“ attestiert: „Sie stürzten wie die Habichte auf den Gegner. Blinder Eifer schadet nur.“

      Nach sechs Spielen wartete Hannover 96 immer noch auf den ersten Sieg und stand auf dem vorletzten Tabellenplatz. Dann schien mit Alemannia Aachen genau der richtige Gegner zu kommen, um den eigenen Anhang zu versöhnen. Die Niedersachsen spielten in der ersten Halbzeit einen berauschenden Fußball und hätten locker 8:0 führen können, begnügten sich aber mit einem 4:0. Im zweiten Durchgang bauten sie dann stark ab, sodass trotz eines 5:2-Siegs kaum einer zufrieden nach Hause ging. Irgendwie steckte der Wurm drin, die Saison kam nicht so richtig ins Rollen. Nach einer 1:2-Heimniederlage gegen Eintracht Frankfurt schwoll der Volkszorn so richtig an. Einige hundert der nur noch 18.000 Zuschauer hatten sich vor dem Stadion versammelt, weil sie mit dem Trainer ein paar ernste Worte wechseln wollten. Cajkovski hatte keinen Gesprächsbedarf und wurde auf Umwegen aus dem Stadion gebracht.

      Das 1:0 gegen den späteren Meister Bayern München brachte immerhin einen versöhnlichen Abschluss der Vorrunde, aber die 96er schafften es auch in der Rückrunde nicht, sich von den Abstiegsrängen abzusetzen. Drei Spieltage vor Schluss standen sie auf Platz 11, nur zwei Punkte vor dem Tabellenletzten, dem Titelverteidiger und späteren Absteiger 1. FC Nürnberg. Ansehnlicher Fußball war unter diesen Bedingungen längst nicht mehr gefragt, nach einem 1:1 bei Schalke 04 bemerkte deren Trainer Rudi Gutendorf: „Eine solche Catchertruppe wie Hannover 96 habe ich noch nie gesehen.“ Und sein begnadeter Rechtsaußen Reinhard „Stan“ Libuda stöhnte: „Junge, Junge, was für Treter. Das hatte mit Fußball nun wirklich nichts mehr zu tun.“

      Einen Spitzenplatz hatte „Tschik“ mit seiner Mannschaft angestrebt, am Ende einer enttäuschenden Saison waren alle froh, den Klassenerhalt gesichert zu haben. Zu den wenigen erfreulichen Erscheinungen zählte Rainer Zobel. Wie von seinem DFB-Trainer Udo Lattek vorhergesagt, eroberte er sich einen Stammplatz, stand in 33 von 34 Spielen in der Startelf und schoss auch vier Tore. Sein Trainer hielt ihn jetzt für so stabil, dass er Zobel künftig ohne seine Ration Ochsenblut aufs Feld schickte.

      Von einem rundum gelungenen ersten Jahr konnte trotzdem nicht die Rede sein. Seine Schulkarriere lag auf Eis, der Verein fühlte sich an die mündlich gegebene Zusage nicht mehr gebunden, ein regelmäßiger Unterrichtsbesuch ließ sich angeblich nicht mit den Anforderungen an einen Bundesligaspieler verbinden. Seinem Vater machte das mehr zu schaffen als ihm selbst. Otto Zobel ärgerte sich über seine Gutgläubigkeit, er hätte sich die Zusage schriftlich geben lassen sollen und alles hätte seine Ordnung gehabt. So dachte ein Staatsdiener. Es war schon ein dubioses Milieu, in das sein Sohn da hineingeraten war.

      9

      Josip Skoblar war ein Typ nach Zobels Geschmack. Was für ein Fußballer! Einen besseren hatte er noch nicht gesehen. Beim 4:1 in Hamburg, einem der wenigen wirklich guten Spiele der abgelaufenen Saison, hatte der Kroate den Ball mit dem Rücken zum Tor angenommen, sich kurz gedreht und dann in den Winkel geschossen. Aus über 20 Metern! Zobel stand mit offenem Mund auf dem Platz, dieses Tor würde er nie vergessen. Bei jedem anderen hätte er von Glück oder Zufall gesprochen, nicht aber bei Skoblar, einem Weltklassespieler mit entsprechendem Repertoire. Der konnte so etwas.

      Und er konnte noch viel mehr. Von ihm lernte Zobel auch, sich gegen die einschlägigen Raubeine der Liga zur Wehr zu setzen. Verteidiger wie Otto Rehhagel und Uwe Klimaschewski vom 1. FC Kaiserslautern oder die Bremer Sepp Piontek und Horst-Dieter Höttges waren für ihre von hinten angesetzte Grätsche zu Recht gefürchtet. Zwar ließ es sich bei diesen Attacken nie ganz vermeiden, dass sie gelegentlich auch den Ball trafen, aber in erster Linie sollten die Knochen der gegnerischen Stürmer etwas davon haben. Rechtzeitiges Hochspringen war die Lösung, klärte Skoblar Zobel auf, auch wenn es vielleicht ein bisschen feige aussehen würde: „Ein Spieler auf dem Arsch ist langsam, bleib also oben“, ermahnte er den Neuling. Fast noch wichtiger als das Hochspringen war die Landung, denn vom zweiten Teil der Lektion hing ab, ob sich die Haudegen danach anderer Mittel bedienten: „Wenn Du wieder auf den Boden kommst, achte darauf, dass Du die Hände der Verteidiger triffst. Wenn Dir das gelingt, hast Du für den Rest des Spiels Ruhe.“ Ganz Hartnäckige müsse man darauf hinweisen, beim nächsten Mal in ihrem Gesicht zu landen. Solche Fälle seien aber selten, beruhigte ihn Skoblar.

      Auch von seinem zweiten Sturmpartner schaute sich Zobel einiges ab, er lernte überhaupt mehr vom Beobachten seiner neuen Kollegen als vom Training. Jupp Heynckes war sehr torgefährlich und antrittsschnell, seine direkte Art zu spielen beeindruckte den Neuling. Wäre da nur nicht diese Verbissenheit gewesen, Heynckes war ihm eine Spur zu ehrgeizig. Gut drei Jahre älter als Zobel war er für eine fast schon anstößig hohe Ablösesumme von 275.000 Mark aus Mönchengladbach nach Hannover gewechselt und davon überzeugt, dass Fußball auf hohem Niveau vor allem eines bedeutete: jeden Tag und in jedem Training hart an sich zu arbeiten. Ganz falsch konnte er damit nicht liegen, immerhin hatte ihn diese Berufsauffassung bis in die Nationalmannschaft gebracht. Aber taugte der als Vorbild?

      Josip Skoblar kam seinem Ideal schon deutlich näher. Er war ebenfalls Nationalspieler, sah die Dinge aber ein bisschen entspannter und ließ den Fußballgott ab und zu auch mal einen guten Mann sein. Wie Heynckes trainierte auch sein Sturmpartner nach eigenen Prinzipien, eines war, dass seine Klasse nicht davon abhing, beim Intervallsprint ganz vorne mit dabei zu sein. Wann immer er es für richtig hielt, schaltete er im Training einen Gang zurück. Zobel fand diese Einstellung durchaus mannschaftsdienlich, denn ein Josip Skoblar mit müden Beinen nützte niemandem etwas. Er konnte sich bei Hannover 96 einiges erlauben, war aber trotzdem ein Star ohne Allüren, ohne das übliche Gehabe. Auch das gefiel Zobel.

      Einmal brachte Skoblar ihn allerdings schwer in Bedrängnis. Der Jugoslawe hatte mal wieder genug vom Lauftraining gehabt und wollte sich für heute vom Dienst verabschieden: „Komm Rainer, wir fahren.“ Zobel traute seinen Ohren nicht. Für solche Eskapaden war er noch nicht lang genug bei 96, er gehörte zu denen, die sich bei der Massage nach dem Training ganz hinten anstellen mussten. „Ich kann hier nicht so einfach weg, ich muss mitlaufen“, antwortete er. Skoblar sah das anders: „Trainer“, rief er „Tschik“ zu, „ich mache Schluss für heute.“ Dann zeigt er auf Zobel: „Und der Junge hier ist auch genug gelaufen.“ Cajkovski nickte den beiden zu, wenig später saßen sie frisch geduscht in Skoblars Citroen DS und fuhren dorthin, wo größtmögliche Aufmerksamkeit garantiert war: ins Café Kröpcke. Zentraler ging es in Hannover nicht. Dass so etwas nicht zur Regel werden durfte, war ihm schon klar, trotzdem war er stolz, sich mit dem unumstrittenen Star der Mannschaft an einem so prominenten Ort zeigen zu dürfen.

      In seiner zweiten Saison musste Zobel seinen Platz im Sturm räumen, der Verein hatte mit Zvezdan Cebinac einen weiteren Jugoslawen verpflichtet. Der Rechtsaußen war 1968 mit dem 1. FC Nürnberg Meister geworden und ein Jahr später als Absteiger zu den Niedersachsen gewechselt. Das sollte ihm erst einmal einer nachmachen. Noch ungewöhnlicher war aber eine andere Geschichte, die Cebinac während seiner gesamten Karriere begleitete: Angeblich hatte er 1965 erfolgreich ein Probetraining beim 1. FC Köln absolviert, allerdings nicht für sich, sondern für seinen weniger talentierten Zwillingsbruder. Srdan Cebinac konnte die ersten Eindrücke von ihm oder seinem Bruder jedenfalls nie bestätigen und kam nur auf drei Spiele für die Kölner. Bei Hannover 96 war man sich aber sicher, den Richtigen verpflichtet zu haben und hoffte auf eine deutlich bessere Platzierung als im Vorjahr.

      Zobel wechselte ins defensive Mittelfeld; wo er spielte, war und blieb für ihn zweitrangig. Im Rampenlicht durften gerne andere stehen. Ansonsten änderte sich nicht viel: Die für viel Geld eingekauften Stars blieben


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