Die Lösungsbegabung. Markus Hengstschläger
Ethical IT Innovation, 2016). Einerseits findet man in der maslowschen Hierarchie den Begriff »Erfolg« unter den Individualbedürfnissen, gemeinsam mit dem Wunsch nach Wertschätzung, Prestige oder Ansehen. Ökonomischer Erfolg, das Haus, das Auto etc., wird oft deshalb angestrebt, weil sie dem Menschen zu Status, Anerkennung und Bewunderung verhelfen. Andererseits muss man aber auch die Frage stellen, ob nicht unter bestimmten Umständen, unter bestimmten Lebensbedingungen und Voraussetzungen das Stillen von Grund- und Sicherheitsbedürfnissen schon als erfolgreiches Leben angesehen werden muss, so bedauerlich das auch ist. Und noch viel bedauerlicher ist schließlich, dass die Erfüllung vieler, vor allem so wichtiger Bedürfnisse wie zum Beispiel Ernährung, Gesundheit oder Sicherheit immer noch viel zu oft nicht in den Händen des Individuums liegen. Jeder soll für sich selbst entscheiden, was sein gutes Leben ausmacht! Wie viel Arbeit in der Gegenwart und in der Zukunft liegt noch vor uns, um das Ziel zu erreichen, in einer so »gerechten« Welt leben zu können, in der dieser Appell endlich seine Naivität verliert?
Selbst Hans Rosling, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Menschen zu zeigen, wie sehr sich die Welt auch beim Befriedigen von Grund- und Sicherheitsbedürfnissen verbessert hat, hat stets zusätzlich darauf hingewiesen, dass noch sehr viel Luft nach oben ist (Rosling: Factfulness. Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist, 2018). Bilder von hungernden Menschen, vom Bürgerkrieg in Syrien, vom Elend in Flüchtlingslagern oder auch von mit COVID-19-Erkrankten überfüllten Intensivstationen schüren zumindest für unsere Gegenwart noch den einen oder anderen Zweifel am Ausgangspunkt für die Homo-Deus-These. Yuval Noah Harari argumentiert, dass, nachdem Hunger, Kriege und Seuchen für die meisten Menschen ihre Bedeutung verloren haben, die nächsten Erfolgsebenen, die der Homo sapiens auf dem Weg zum Homo deus anstrebt, Unsterblichkeit und ewiges Glück sind (Harari: Homo Deus: A Brief History of Tomorrow, 2016). Auch wenn es vollkommen verständlich ist, dass in Zeiten einer Corona-Krise auch ge- und verzweifelt wird, so bleibt es doch ein Faktum, dass im Vergleich zu den letzten Jahrhunderten die Konsequenzen von Seuchen wie auch von Krieg und Hunger weltweit verhältnismäßig eingedämmt werden konnten. Und selbst, wenn im Speziellen im Silicon Valley unglaublich viel Geld in die entsprechende Forschung gepumpt wird, so ist es doch wissenschaftlich aktuell unumstritten, dass die Unsterblichkeit des Homo sapiens noch in keiner Weise unmittelbar vor der Tür steht.
»Aber wie steht es mit dem ewigen Glück, dem Glücklichsein? Vorausgesetzt, die grundlegendsten Bedürfnisse können gestillt werden, scheint gerade das Führen eines glücklichen Lebens immer öfter als Erfolgsparameter Nummer eins angesehen zu werden. Wer es schafft, ein glückliches Leben zu führen, hat es geschafft. Aber was ist das – ein glückliches Leben? Der emotionale Zustand der Deutschen zum Beispiel lässt sich wahrscheinlich mit Zufriedenheit auf hohem Niveau beschreiben. Selbst in Zeiten der Euro-Finanzkrise, der Euro-Schuldenkrise oder auch der polarisierenden Zuwanderungsdebatte nahmen die Lebenszufriedenheit und das gesamtdeutsche Glücksniveau zu. Ob nun das Glück im Augenblick oder das Glück, das man empfindet, wenn man sagt, sein Leben könne so wie jetzt eigentlich weiterlaufen, es ist stets von vielen Einflussfaktoren abhängig. Gern werden als die wichtigsten dafür Geld, Gesundheit, Gemeinschaft und genetische Disposition (angeborene Persönlichkeitsmerkmale) angegeben (Schlinkert, Raffelhüschen: Deutsche Post Glücksatlas, 2018).«
Nicht nur im Wandel der Zeit, sondern auch im Lauf eines Lebens ändert sich die Lebenszufriedenheit (Frey, Frey Marti, Glück: die Sicht der Ökonomie, 2010). Was man gern als die U-Kurve des Glückes bezeichnet, beschreibt, dass die Lebenszufriedenheit, ob bei Frauen oder Männern, in der Jugend hoch ist, Mitte 40 auf einen Tiefpunkt sinkt und dann wieder steigt. Der kanadische Psychoanalytiker Elliott Jaques hat den Begriff »Midlife-Crisis« geprägt. Kieran Setiya, Professor für Philosophie am Massachusetts Institute of Technology (MIT), vermutet hinter der »Mid-Career-Crisis« das Schwinden der Wahlmöglichkeiten, die Tyrannei der Projekte, die eines nach dem anderen abgeschlossen und durch neue ersetzt werden, das Fokussieren auf das Beheben von Problemen, anstatt Projekten von existenziellem Wert nachzugehen, und letztendlich auch das Wissen, dass ein kompletter Bruch mit dem Bestehenden zwar gut, aber nicht machbar sein könnte. »Die Zufriedenheit liegt immer entweder in der Zukunft oder in der Vergangenheit; kein Wunder, dass sich die Gegenwart leer anfühlt. Und was noch schlimmer ist: Wenn ein Projekt für Sie eine Bedeutung hat, dann ist nicht nur Ihre Befriedigung aufgeschoben, sondern Ihre Arbeit an dem Projekt zerstört seine Bedeutung.« (Setiya: Die Krise in der Karrieremitte, 2019). Man ist irgendwie geneigt zu hinterfragen, ob stetiger – um nicht zu sagen monotoner – Erfolg auf einem gewissen Niveau überhaupt glücklich macht. Der wahrgenommene Erfolg verliert vielleicht mit der Zeit an Kraft. Und so könnte auch die Zufriedenheit unter objektiv gleichbleibenden Rahmenbedingungen sinken. Es drängt sich der Verdacht auf, dass das stetige Arbeiten an sicheren, bekannten Projekten, ohne immer wieder einmal etwas Neues, etwas anderes zu machen, sogar unglücklich machen könnte.
Die Europäische Wertestudie (European Value Study) hat sich das Monitoring von Werthaltungen, Einstellungen und Wertewandel in der Gesellschaft schon seit Jahren zur Aufgabe gemacht. Zwischen 1990 und 2018 hat beispielsweise die Bedeutung von Freizeit, Familie und Freunden in der österreichischen Bevölkerung deutlich zugenommen. Im Jahr 2018 haben nur mehr knapp die Hälfte der Österreicher (48 Prozent) der Aussage zugestimmt, dass Arbeit im Leben sehr wichtig sei. Im Jahr 1990 waren es noch 62 Prozent. Wohingegen sich die Einstellung zu guter Bezahlung nicht wesentlich geändert hat, wird es immer wichtiger, im Beruf die Möglichkeit zu haben, eine eigene Initiative zu entfalten, die Arbeitszeiten mitgestalten zu können und einen Beruf mit Verantwortung auszuüben. All das unterstützt schon früher gemachte Beobachtungen, dass Arbeit als Teil der Persönlichkeitsentfaltung und Selbstverwirklichung fungiert (Aichholzer, Friesl, Hajdinjak, Kritzinger: Quo vadis, Österreich? Wertewandel zwischen 1990 und 2018, 2019). Arbeit ist also auch der Selbstverwirklichungsebene der maslowschen Bedürfnishierarchie zuzuordnen. Hoffentlich lässt sich das für immer mehr Menschen auch entsprechend umsetzen und mit der gleichzeitig steigenden Bedeutung von Freizeit, Familie und Freunden unter einen Hut bringen. Im Wandel der Zeit ändern sich also die Vorstellungen darüber, was das Leben lebenswert macht. Das ist nicht weiter verwunderlich. Wir leben allerdings in ein und derselben Gegenwart mit verschiedenen Generationen. Und hier scheint der Wandel über die Vorstellungen darüber, was Erfolg im Leben ist, immer wieder für Diskussionen zu sorgen.
»Es ist die Katastrophe. Die Haltung, nichts Wesentliches mehr ändern, nichts Großes mehr leisten, nichts Wegweisendes mehr erreichen zu wollen, breitet sich immer weiter aus. Und das, während die Menschheit vor großen Aufgaben steht. Oder vielleicht gerade deswegen? Weil man vor lauter Anforderungen lieber gar nicht mehr hinschauen will? Das Klima kollabiert, die Meere werden zugemüllt, die Populisten übernehmen Regierungen, die digitale Revolution bedroht Unternehmen und Arbeitsplätze – und jene, die sich der Probleme annehmen sollten, fragen erst einmal nach dem Handy, der Überstundenregelung und ihrer persönlichen Work-Life-Balance?«, schreibt die Betriebswirtschaftsprofessorin Evi Hartmann in ihrem 2018 erschienenen Buch Ihr kriegt den Arsch nicht hoch: Über eine Elite ohne Ambition. Vor Verallgemeinerungen gilt es natürlich zu warnen, und es gab und gibt solche und solche in allen Generationen in allen Gegenwarten. Aber auch die Vertreter der angesprochenen Generationen selbst plädieren dafür, dass sich die Unternehmen auf den Wertewandel in der Arbeitswelt einstellen müssen. Immer mehr junge Menschen wollen heute flexibler, freier und selbstbestimmter arbeiten – Freiheit und Freizeit ist ihnen wichtiger als Geld (Burkhart: Die spinnen, die Jungen! Eine Gebrauchsanweisung für die Generation Y, 2016). Nach über einem Vierteljahrhundert, das ich nun schon junge Menschen an Universitäten unterrichte, schließe ich mich mit meinem ganz persönlichen Eindruck Kerstin Bund, der Autorin des Buches Glück schlägt Geld. Generation Y: Was wir wirklich wollen, an: Die wollen arbeiten, nur eben anders.
Einer erfüllenden Arbeit nachzugehen, ist ohne Zweifel für viele Menschen ein wesentlicher Parameter für ein glückliches und »erfolgreiches« Leben. Es muss angesprochen werden, dass die Gruppe jener Menschen, die unfreiwillig keine Arbeit haben, in der Gesellschaft keine Stimme hat, sich eventuell zurückzieht und dann empfänglich für populistische Strömungen werden kann. Für gar nicht wenige wird ihre Arbeit aber dieser Vorgabe auch nicht gerecht. Und für wieder viele Menschen stehen die Erfolgserlebnisse, die sie als ihre größten aufzählen würden,